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Neues Islamisten-Image

Matthias Sailer13. Juli 2013

Erneut haben in Kairo Nicht-Islamisten und Mursi-Anhänger demonstriert. Die Islamisten inszenieren sich als Revolutionäre und versuchen zunehmend, den Protest von der Person Mohammed Mursi zu lösen.

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Pro-Mursi-Proteste in Kairo (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Es wirkt fast friedlich: Vor dem Präsidentenpalast haben sich etwa 200 Anti-Mursi Demonstranten versammelt, um gemeinsam das Fasten zu brechen. Auf dem Asphalt liegen Decken, auf denen Männer, Frauen und Kinder aller Altersklassen Essen und Getränke ausbreiten. Doch die Stimmung ist gespannt. Immer wieder brechen kleinere Handgemenge zwischen einigen der jüngeren Demonstranten aus. Einige sind versteckt mit Messern bewaffnet. Das Picknick findet direkt vor dem Präsidentenpalast statt.

Sechs Schützenpanzer hinter einem Stacheldrahtverhau schützen nicht nur den Palast, sondern auch die Demonstranten. Denn einige Islamisten haben angekündigt einen Protestmarsch zum Palast zu veranstalten. Der 25-jährige Mohamed Hosni ist Mitglied der Tamarod-Bewegung, die die Massendemonstrationen vom 30. Juni organisiert hat. Er demonstriert, weil die vom Militär herausgegebene Verfassungserklärung noch nicht seinen Vorstellungen entspricht: "Sie war gut, aber noch nicht genug. Ich bin hier als Vertreter von Tamarod. Wir haben einige Änderungen in der Verfassungserklärung gefordert und jetzt wird es bald eine neues Verfassungsdekret geben." Viele der Demonstranten sind äußerst skeptisch gegenüber Ausländern. An einem Zelt hängt eine große Plane mit einem Foto der US-amerikanischen Botschafterin, die auf Englisch in üblen Worten beschimpft wird.

Fastenbrechen bei einer Demonstration vor dem Präsidentenpalast mit Schützenpanzern im Hintergrund (Foto: M. Sailer)
Fastenbrechen bei einer Demonstration vor dem PräsidentenpalastBild: M. Sailer

"Nein zur Militärherrschaft" als neuer Slogan der Islamistendemo

Etwa zehn Autominuten entfernt demonstrieren seit fast zwei Wochen viele hunderttausend Islamisten. Der Charakter der Demonstration hat sich jedoch verändert. Inzwischen ist zunehmend weniger von einer Pro-Mursi Demonstration die Rede. Auch die Zahl der Mursi-Plakate ist etwas gesunken. Auf einer von zwei Rednerbühnen steht nun ganz allgemein "Nein zur Militärherrschaft".

Vielleicht haben die Führer der Islamisten die Rückkehr ihres abgesetzten Präsidenten inzwischen aufgegeben und wollen ihre Klientel allmählich daran gewöhnen. Vermutlich finden im Hintergrund auch längst Verhandlungen der Führer der Muslimbrüder mit dem Militär über eine mögliche Lösung des Konflikts statt. Ein Abrücken von Mursi oder ein Ende des Widerstands wäre für viele Demonstranten ein Schock. Der 45-jährige Hussein ist zum Beispiel längst für eine Verschärfung der Konfrontation: "Wir sollten zivilen Ungehorsam beginnen. Wenn das nicht funktioniert, sollten wir die Beziehungen mit dem Westen abbrechen, da er all das hier passieren lässt. Wenn das auch nicht funktioniert, sollten wir einen bewaffneten Aufstand beginnen."

Wut auf die USA und das Militär

Mehrere neben Hussein sitzende Islamisten schütteln jedoch den Kopf und lehnen Gewalt ab. An eine Verschwörung der USA und des Westens glauben jedoch viele der Demonstranten. Das ist das Einzige, worin sich Nicht-Islamisten und Mursi-Anhänger einig sind: Die USA würden Ägypten Schaden zufügen. Die Nicht-Islamisten glauben, die USA unterstützten die Islamisten und letztere beschweren sich, dass die USA die Muslimbrüder fallen gelassen hätten und jetzt wieder das Militär unterstützten.

Hussein sieht die gesamten Demonstrationen vom 30. Juni ohnehin als von den USA gesteuert. Die Medien hätten die damalige Zahl der Demonstranten dramatisch übertrieben. Auch die Stimmung gegen das bisher so hochgepriesene Militär scheint sich bei einigen Demonstranten zu verschlechtern. Fawzy Mohamed zum Beispiel nimmt kein Blatt mehr vor den Mund. Er ist wütend über die über 50 jüngst vom Militär getöteten Islamisten: "Unsere Armee hat sich in eine Armee von Geschäftsleuten verwandelt. Sie wird zunehmend die Armee von Israel und den USA. Unsere Armee wird momentan bezahlt, um Menschen umzubringen. Das sind jetzt Mörder und Killer."

Schützenpanzer bei einer Demonstration vor dem Präsidentenpalast in Kairo (Foto: M. Sailer)
Schützenpanzer bei einer Demonstration vor dem Präsidentenpalast in KairoBild: M. Sailer

Inszenierung als Revolutionäre und Propagandalügen

Die Muslimbrüder versuchen unterdessen, sich vor dem jungen Publikum wieder als zunehmend revolutionär zu inszenieren. Auf einer von zwei Rednerbühnen spielen sie populäre Musik, zu der die jungen Anhänger der Islamisten tanzten. Der Sprecher ruft "Nieder, nieder mit dem Militärrat!" – es sind die gleichen Rufe wie die der Revolutionäre auf dem Tahrirplatz unter der Militärherrschaft bis 2012. Der Sprecher erinnert auch an die Verbrechen des Militärrats aus dieser Zeit. Doch er ignoriert dabei, dass es oft gerade die Muslimbrüder waren, die diese Verbrechen gegen Demonstranten toleriert haben, nachdem sie die Mehrheit im Parlament gewonnen hatten.

Der Repräsentant der politischen Partei der Muslimbrüder auf der Bühne behauptet sogar, dass auch nicht-islamistische Aktivistengruppen die Bühne mitorganisieren würden, so zum Beispiel die einflussreiche "Bewegung 6. April". Doch Ayman Abdel Meguid, Mitglied des Politbüros der Bewegung, entlarvt die Behauptung als völligen Unsinn und dreiste Propagandalüge. Die Muslimbrüder scheinen es mit der Wahrheit momentan generell nicht so genau zu nehmen: Auf ihrer Webseite veröffentlichten sie ein angeblich aktuelles Foto, das eine große Anzahl an Pro-Mursi Demonstranten in Alexandria zeigen soll. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein Foto von einem Protest im November 2012, wie auch an der Winterkleidung der fotografierten Demonstranten deutlich zu erkennen ist.