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Island: "Jeder kann hier Elfen sehen"

Barbara Gruber (Juni 2007)

Sie haben große Ohren und lange, dünne Beine: Elfen. Nur ganz selten bekommt sie jemand zu sehen. Und trotzdem, die Isländer glauben an ihre Elfen. Vielleicht hat es etwas mit den rauen Naturbedingungen der Insel zu tun.

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Blick auf Reykjavik
Es gibt sie überall in Island - ElfenBild: picture-alliance/dpa

Gibt es Elfen? Nein, denken wohl die meisten Menschen. In Island jedoch liegen die Dinge anders. Umfragen auf der Insel zeigen immer wieder, dass dort die Mehrheit der Bevölkerung an Elfen glaubt - oder zumindest ihre Existenz nicht ausschließt.

In der Hauptstadt der Elfen

Sigubjörg Karlsdottir ist den Elfen auf der Spur
Sigubjörg Karlsdottir ist den Elfen auf der SpurBild: DW

Sigubjörg Karlsdottir, auch Sippa genannt, ist eine kleine pausbäckige Frau mit funkelnden blauen Augen und einem leuchtend roten Hut. Ein bisschen schaut sie selbst wie eine Elfe aus. Zweimal in der Woche organisiert sie für Touristen eine Elfen-Tour in Hafnarjördur. Von dieser kleinen Stadt südlich von Reykjavik wird behauptet, sie sei die Hauptstadt der Elfen und der "verborgenen Menschen" in Island.

Sippa erklärt, was es mit denen auf sich hat: "Verborgene Menschen sind fast wie normale Menschen: groß, dünn und gut aussehend - wie wir!" Elfen hingegen sähen etwas seltsamer aus. Sie hätten große Ohren und lange, spindeldürre Beine. Die Erscheinungsformen von verborgenen Menschen und Elfen seien also unterschiedlich, aber alle lebten im Geheimen. Die meisten verborgenen Menschen sind gutmütig, so Sippa, aber sie können auch richtig böse werden und ihre Opfer verhexen.

Eine Frage des Glaubens

Dave ist ein Elf-Tourist. Er ist begeistert von dem isländischen Glauben an die übernatürlichen Wesen. Seiner Meinung nach hat jede Kultur ihre Mythen und Geschichten. John, ein anderer Tourist, ist hingegen skeptisch: "Ich bin katholisch und glaube nicht an solche heidnischen Sachen." Aber Elfen und verborgene Menschen sind in Island eine ernste Sache.

Mehr über dieses Phänomen weiß Professor Terry Gunnell, Leiter der Folkloreabteilung der Universität von Island. Er ist Brite, lebt aber schon seit fast 30 Jahren in Island. Seine Frau und Kinder glauben an Elfen, erzählt Gunnell, er selbst hat bisher allerdings noch keine gesehen.

Unsichtbare Kräfte bestimmen die Welt

Island auf der Karte
Hafnarjördur: die Hauptstadt der ElfenBild: AP Graphics/DW

Trotzdem kennt sich Terry Gunnell sehr gut mit Elfen aus. "Elfen leben in der Nähe, in den Bergen, und sie sind uns ähnlich. Sie leben wie wir, nur: sie sind mächtiger, ansehnlicher und meistens geschickter. Sie personifizieren in gewisser Weise die Naturkräfte und zeigen uns, dass man mit der Natur leben und mit ihr zusammenwirken kann." Diese Einsicht sei den Isländern seit jeher vertraut.

Gunnell fügt hinzu, dass diese reiche Mythologie über Elfen in scharfem Kontrast zu den Schwierigkeiten steht, mit denen sich die Isländer traditionell konfrontiert sahen. Vulkane brachen überall auf der Insel aus, das Land war von Packeis umgeben, Ernten und das Vieh gingen zugrunde. In diesem Umfeld brauchten die Isländer etwas, von dem sie träumen konnten. Der Glaube an Elfen hängt stark mit dem Glauben an Naturkräfte zusammen, so Gunnell.

Elfen spielen im Alltag eine große Rolle

Die Isländer leben in einer Welt, die von unsichtbaren Kräften bestimmt ist. Es ist wie ein Erdbeben, das ein Haus erschüttert. Man spürt es, bevor es kommt, und obwohl die Ursache nicht unmittelbar erkennbar ist, ist doch deutlich sichtbar, wie das Haus bebt. In Island kann einen der Wind an einem stürmischen Tag zu Boden werfen. Und in einem Schneesturm kristallisiert sich der Schnee zu bizarren Formen. Die Isländer sind sich der Kräfte, die ihr Leben bestimmen, sehr bewusst.

Sogar beim Straßenbau wird auf übernatürliche Wesen Rücksicht genommen
Sogar beim Straßenbau wird auf übernatürliche Wesen Rücksicht genommenBild: DW

Geschichte und Mythologie sind eine Sache, aber Elfen spielen tagtäglich eine große Rolle im heutigen Island - sogar beim Straßenbau. Der Sprecher der isländischen Straßenbaubehörde, Victor Ingolfsson, glaubt selbst nicht an Elfen, gesteht jedoch ein, dass man die Elfen bei einem Straßenbauprojekt nicht außer Acht lassen kann. "Elfen gehören zu unserer Öffentlichkeitsarbeit", sagt Victor Ingolfsson. "Wir kennen Geschichten, die sich in den letzten vierzig Jahren ereignet haben, und wir kennen Bürger, die zu uns gekommen sind, weil sie wegen Bauvorhaben besorgt waren und uns warnten, dass Elfen und verborgene Menschen auf den Bauplätzen lebten. Island ist eine kleine Gesellschaft. Hier wird jeder ernst genommen. Wir können es uns nicht leisten, jemandem zu sagen, er sei verrückt; wir müssen ihm zuhören."

Elfen sind selbst Schuld, wenn sie sich sehen lassen

In Island leben Menschen und Elfen in Eintracht
In Island leben Menschen und Elfen in EintrachtBild: DW

Jemand, der immer zuhört, wenn ihm von Elfen berichtet wird, ist Magnus Skarphendinsson. Er ist Elfen-Experte und sammelt seit mehreren Jahrzehnten Berichte über das Auftauchen von Elfen und verborgenen Menschen. In seinen Unterlagen hat er Berichte mit Beschreibungen von mindesten zwölf verschiedenen Typen von Elfen, mindestens drei Typen von verborgenen Menschen, zwei Arten von Gnomen, drei Arten von Feen und vier Typen von Zwergen. "Aber an die 70 Prozent der Geschichten handeln von verborgenen Menschen, weil diese hier am meisten gesehen werden", sagt er.

Jenny ist in Island aufgewachsen. Heute sieht die 40-Jährige regelmäßig Elfen, besonders, wenn sie im Wald spazieren geht. Meistens sieht sie Elfenkinder beim Spielen. "Eigentlich sollten sie darauf achten, dass man sie nicht sieht - aber das tun sie nicht", erklärt Jenny. Wenn die Elfenkinder dann feststellen, dass sie gesehen werden, verschwinden sie ganz schnell.

Elfen zu sehen - ist das nur Glücksache oder eine Fähigkeit, die nur wenigen gegeben ist? Hellseher Hermundur Rosenkranz sagt, jeder könne Elfen sehen. "Man muss sehr leise sein - aufmerksam - und sich öffnen. Und dann sind sie plötzlich da. Jeder kann Elfen sehen." Und er fügt hinzu, dass jeder auf der Welt seinen Haus-Elfen hat. Ob er damit sagen will, dass überall in der Welt ein Stück Island zu finden ist oder wir alle etwas elfisch sind - diese Frage bleibt offen.