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Das Zentrum des Outsourcing

Lauren Frayer, Lissabon (mgr)14. März 2014

Portugal ist eines der ärmsten Länder der Eurozone. Die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit ist weiter hoch. Doch es gibt einen Lichtblick - und der lockt selbst multinationale Firmen an.

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Terreiro do Paco (Foto: DW/Guilherme Correia da Silva)
Bild: DW/G. Correia da Silva

Eigentlich stand ihr Abschied schon fest: Filipa Neves spricht fünf Sprachen - und fand trotzdem keine Arbeit in ihrer Heimat Portugal. Deshalb wollte sie nach Angola ziehen. Dort, in der ehemaligen portugiesischen Kolonie auf dem afrikanischen Kontinent, floriert die Wirtschaft - angetrieben durch den Erdölboom.

Eine letzte Bewerbung schickte sie dann doch noch ab - an ein Call Center, als letzten Ausweg. Dabei kannte sie die Klischees: "Ein Call Center ist wie ein dunkles Loch, in das sie dich stecken. Du sitzt den ganzen Tag mit einem Headset da und sie zahlen dir nichts dafür", erzählt Neves. "Aber dann sah ich diese Anzeige, in der sie Leute mit Französischkenntnissen gesucht haben und habe gesagt: Warum nicht."

Bonus durch Mehrsprachigkeit

Neves bekam den Job. Jetzt arbeitet sie als Kundenbetreuerin für einige der größten europäischen Firmen bei Teleperformance Portugal. Aus ihrem Büro schaut sie durch große Glasfenster auf die Uferpromenade von Lissabon - und tut, was sie liebt: Fremdsprachen sprechen. "An einem Tag rede ich manchmal in fünf Sprachen. Das ist eine ganz neue Welt für mich, in der Leute so viele Sprachen beherrschen", erzählt sie und strahlt.

Tatsächlich können die Kollegen, die vor dem Bürokomplex eine Zigarettenpause einlegen, jeweils gut ein halbes Dutzend Fremdsprachen. Viele der Mitarbeiter im Center sind halb-portugiesisch und halb-französisch, halb-deutsch oder halb-englisch. Sie sind die Nachfahren von Generationen von Portugiesen, die gezwungen wurden, im Ausland Arbeit zu finden.

Das neue Bürogebäude von Teleperformance, eines Call Centers in Lissabon, Portugal (Foto: Teleperformance)
Kein düsteres Klischee - das Bürogebäude des Call Centers in LissabonBild: Teleperformance

In den 1960er und 1970er Jahren zum Beispiel gingen viele Portugiesen nach Frankreich. Paris ist heutzutage an der Bevölkerungszahl gemessen die zweitgrößte portugiesische Stadt der Welt - nach Lissabon. Die europäische Wirtschaftskrise hat jetzt eine neue Auswanderungswelle ausgelöst: Junge Akademiker versuchen ihr Glück im Ausland. Denn Portugals Arbeitslosenquote ist mit 16 Prozent auf einem Rekordhoch, die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei fast 40 Prozent.

Outsourcing als Hoffnungsträger

Neves hätte aufgrund ihrer Sprachkenntnisse - Portugiesisch, Spanisch, Französisch, Englisch und Deutsch - überall in Europa Arbeit gefunden. Doch durch den Job im Call Center, kann sie weiter bei ihrer Familie bleiben.

So bietet die Outsourcing-Branche in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit etwas Hoffnung - und Wachstum. Multinationale Unternehmen orientieren sich zunehmend nach Portugal, um dort günstig ihre Call Center und Servicehotlines anzusiedeln. Dabei profitieren sie nicht nur von den Sprachkenntnissen der Portugiesen und der hohen Arbeitslosigkeit, sondern auch von den niedrigen Löhne. Das Durchschnittsgehalt für einen Universitätsabsolventen in Portugal liegt bei nur rund 600 Euro im Monat.

"Der Call Center-Markt boomt geradezu! Unser Geschäft verdoppelt sich fast jedes Jahr", sagt Joao Cardoso, der Geschäftsführer von Teleperformance Portugal und Chef von Filipa Neves. "Dieser Markt entwickelt sich völlig unabhängig von der wirtschaftlichen Situation in Portugal." 2012 schrumpfte Portugals Wirtschaft um mehr als drei Prozent. Während andere Industriezweige Stellen abbauen, schafft die Call Center-Branche jährlich tausende neue. Damit reiht sich Portugal ein in die Riege der führenden Outsourcing-Länder in Europa, wie Bulgarien, Irland und Polen.

Schulung von Mitarbeitern eines Call Centers in Lissabon, Portugal - (Foto: Teleperformance)
Jedes Jahr entstehen tausende neue Jobs in portugiesischen Call CenternBild: Teleperformance

Vorteil für Europa

Portugal profitiert dabei auch von einem neuen Outsourcing-Trend, dem "near-shoring", was auf deutsch so viel wie Nahverlegung bedeutet. Westliche Firmen verlegen mittlerweile ihre Call Center lieber an Standorte, die näher an ihrem Heimatsitz sind: Statt in Indien, auf den Philippinen oder in China siedeln europäische Unternehmen ihre telefonischen Serviceabteilungen etwa in Portugal an.

"Einige große westliche Unternehmen bringen den Teil ihres Geschäft, das sie in der Vergangenheit eher im Ausland angesiedelt haben, zurück nach Hause", erklärt Guilherme Ramos Pereira, Generalsekretär der Portugal Outsourcing Association. Der Verband setzt sich dafür ein, weltweit Weltkonzerne nach Portugal zu locken. "Sie sind nach Indien gegangen, weil sie mehr Ressourcen benötigten und niedrige Arbeitskosten. Aber wenn es um Innovationen, Service-Qualität, gut ausgebildetes und professionelles Personal geht - das haben wir hier in Portugal. In unserer Lobby-Arbeit nutzen wir diese Argumente für unseren Standort."

Wenn europäische Firmen aus dem Euroraum ihre Call Center in Portugal ansiedeln, bedeutet das auch: keine Währungsumrechnung, keine großen Zeitunterschiede. Es sei ein gutes Geschäft für Unternehmen, sagt Ramos Pereira, und auch für manche Ausländer, die dort arbeiten, um die Sprachen abzudecken, die Portugiesen selten beherrschen.
Dänisch zum Beispiel, weiß Tommy Nielsen, ein Däne, der in Schweden aufgewachsen ist und mehrere skandinavische Sprachen spricht. Deshalb wurde er von einem Lissabonner Call Center eingestellt. Und er entschied sich nach Portugal zu ziehen, denn: "Das Leben ist hier viel günstiger als in Skandinavien."

Service am Telefon - hinter den Kulissen eines Callcenters

Positiv in die Zukunft

Für Wirtschaftsexperten ist das Wachstum der portugiesischen Outsourcing-Branche vielversprechend. Es zeige außerdem, wie gebildet die Bevölkerung sei - vor allem mit Blick auf ihre Sprachkenntnisse. Aber die Ökonomen warnen davor, Outsourcing als Allheilmittel für die angeschlagene portugiesische Wirtschaft zu sehen.

"Portugal wird nicht das neue 'Indien Europas'. Das ist einfach nicht realistisch", sagt Pedro Lains, Wirtschaftsprofessor an der Universität Lissabon. Er gibt sich optimistisch: "Wir sollten aber auch nicht an eine dem Untergang geweihte Niedriglohn-Wirtschaft denken. Wir sollten uns eher eine Wirtschaft vorstellen, die zwar arm bleibt, aber etwas wächst und wo die Löhne in naher Zukunft steigen müssen."

Bis es dazu kommt, klammern sich Portugiesen wie Filipa Neves an das, was sie haben. Und sei es ein Job in einem Call Center. Gerne möchte die junge Frau eine Familie gründen. "Aber dafür brauche ich einen festen Job und ein stabiles Einkommen", sagt sie. "Ich wünsche mir ein Kind. Ich denke die Zeit dafür ist reif."