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Politik

Populisten proben Koalition in Italien

22. März 2018

Das neue Parlament in Rom wählt seine Präsidenten. Das könnte ein Test werden, ob linke und rechte Populisten zusammenarbeiten. Wohin steuert Italien nach der Wahl? Bernd Riegert berichtet aus Rom.

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Italien Parlament spricht Premierminister Paolo Gentiloni Vertrauen aus
Nur der Plüsch ist noch rot im italienischen Senat: Hier soll ein rechtspopulistischer Präsident einziehenBild: Reuters/A. Bianchi

Das Drama beginnt. Wie viele Akte es haben wird, ist unklar. Seit Tagen sind die italienischen Zeitungen voller Sonderseiten, in vielen Fernsehkanälen laufen Sondersendungen, die das komplexe Wahlverfahren für die Präsidien der beiden Parlamentskammern erklären und mögliche Mehrheiten ausloten.

An diesem Freitag tritt das vor drei Wochen gewählte Parlament zum ersten Mal zusammen. Keine der großen politischen Gruppen hat eine Mehrheit, um einen Parlamentspräsidenten zu bestimmen, geschweige denn eine Koalition zur Regierungsbildung zu formen.

Erste Annäherung der Populisten

Zwischen den beiden populistischen Wahlsiegern gibt es zumindest die Absprache, dass die Fünf-Sterne-Bewegung in der größeren ersten Kammer den Präsidenten stellen soll. Im Senat, der zweiten Kammer, soll die rechtsgerichtete Lega einen Kandidaten aus dem rechten Parteienbündnis benennen. Diese Absprache zwischen zwei Kräften, die sich im Wahlkampf wüst beschimpft und bekämpft haben, könnte ein Hinweis auf eine theoretisch mögliche Koalition, den nächsten Akt der Polit-Oper, sein.

Maurico Calise ist Politikwissenschaftler an der Universität von Neapel und hält eine Annäherung der Populisten für durchaus möglich.  "Die Populisten sind sehr gut darin, ihre Programme schnell zu verändern. Allen ist gemein, dass sie ihre Wahlversprechen nicht einhalten, sobald sie an der Macht sind. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat ihre Ansichten schon mehrfach gewendet und gedreht - und das wird auch mit der Lega-Partei geschehen", meint Professor Calise im Gespräch mit der DW.

Italien Wahl 2018 | Kombibild Luigi Di Maio und Matteo Salvini
Neue populistische Stars in der italienischen Polit-Oper: Di Maio (li.) und Salvini (re.)

Grabenkämpfe in den populistischen Lagern

Allerdings sind die eher linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechtspolitische Lega mit ihren Verbündeten Forza Italia und den neofaschistischen Fratelli d'Italia keineswegs innerhalb der eigenen Lager einig, wie die politische Zukunft aussehen soll. Die radikaleren Kräfte der linken Anti-Establishment-Bewegung lehnen jegliche Zusammenarbeit mit Forza Italia, der Partei des Medien-Milliardärs Silvio Berlusconi ab, der für viele die Inkarnation des alten Systems darstellt. Auf der rechten Seite ringen Matteo Salvini von der radikalen Lega und Berlusconi immer noch um die Vorherrschaft, obwohl Salvini aus der Wahl zum ersten Mal mit seiner Lega als stärkste rechte Partei hervorgegangen ist. Salvini und Berlusconi veranstalteten ein "Gipfeltreffen" in dieser Woche und schlugen einen Kandidaten als Senatspräsidenten vor, der von Movimento abgelehnt wird. Es folgten Krisensitzungen der Fraktionsführer, die bis in den späten Donnerstagabend andauerten. Matteo Salvini erhebt den Anspruch, Regierungschef zu werden - irgendwie, irgendwann. "Ich will nicht um jeden Preis Premier werden. Wir wollen eine solide Mehrheit und nicht nur Dissidenten aus anderen Parteien", ließ Salvini wissen.

Silvio Berlusconi arbeitet noch dagegen. Aber wahrscheinlich nicht mehr lange, meint der Politikwissenschaftler Mauricio Calise. Der 81 Jahre alte Berlusconi sei zum ersten Mal innerhalb seines eigenen rechten Lagers unterlegen und wahrscheinlich endgültig erledigt, mutmaßt Calise. "Berlusconi konnte sich so lange halten, weil es zu ihm keine Alternative gab. Jetzt haben wir eine Alternative. Viele Leute in der Forza Italia denken jetzt: Salvini von der Lega ist der Anführer der Zukunft - lasst uns auf seine Seite wechseln."

Große Ansprüche, keine Mehrheiten

Der Anführer der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, hat in beiden Kammern des Parlaments die stärkste Partei hinter sich, aber eben keine eigene Mehrheit. Auch er erhebt den Anspruch, der nächste Regierungschef zu werden. Er ist bereit mit allen politischen Kräften, inklusive der rechtspopulistischen Lega, zu sprechen. Di Maio sagte, die Wahl der Parlamentspräsidenten sei "noch keine Weichenstellung für die Regierung." Ob er tatsächlich eine Koalition formen könnte, ist ungewiss.

Als möglicher Koalitionspartner kämen auf der linken Seite noch die arg geschrumpften Sozialdemokraten (PD) in Frage. Denen droht aber eine erneute Spaltung, sollte ein Koaliton angepeilt werden. Der linke Flügel der PD könnte sich eine Ehe mit der Fünf-Sterne-Bewegung wohl vorstellen. Das eher zur Mitte orientierte Lager des zurückgetretenen Parteichefs Matteo Renzi lehnt eine Regierungsbeteiligung der Populisten ab und will in die Opposition. Außerdem ist fraglich, ob der Rest der Sozialdemokraten und die Fünf-Sterne-Bewegung überhaupt eine absolute Mehrheit in der ersten Kammer und im Senat zustande bekämen.

Italien Wahl 2018 | Rechtes Parteienbündnis laut Prognosen vorn | Berlusconi
War es das jetzt wirklich? Berlusconi unterlag in der eigenen rechten Gruppe und liegt nur auf Platz 2Bild: Getty Images/P. Marco Tacca

"Außergewöhnliche Situation"

Nach der Wahl der Präsidien in beiden Parlamentskammern, die bis zu vier oder fünf Wahlgänge beanspruchen und durchaus mehrere Tage dauern kann, will Staatspräsident Sergio Mattarella mit allen Parteien Gespräche führen und mögliche Koalitionen ausloten. "Das ist ein neuer Frühling", sagte Mattarella vor zwei Tagen bei einer Preisverleihung und ließ lächelnd erkennen, dass er die innenpolitische Lage meinte. "Da stecken wir unsere ganze Kraft hinein." Danach wird Mattarella einem der Wahlsieger, den förmlichen Auftrag zur Regierungsbildung erteilen.

Weitere Verhandlungen, Ränkespiele, Dramen, Schattenboxen werden folgen. Eine lange Regierungsbildung sei für das italienische politische System nichts Ungewöhnliches, beruhigt Politikwissenschaftler Maurico Calise: "Das ist keine Notfallsituation, sondern nur eine völlig neue Situation. Eine außergewöhnliche Situation, was die Stimmgewichtung betrifft. Unerwartet war, dass die rechte Lega stärkste Kraft im rechten Lager wurde. Das ist das wirklich Neue bei dieser Wahl."

Italiens Wirtschaft nach der Wahl

Instabile Situationen ist man gewohnt. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Paolo Gentiloni bleibt vorerst geschäftsführend im Amt. Er ermahnte bereits die möglichen Nachfolger, den zarten wirtschaftlichen Erfolg, der sich in Italien gerade einstellt, nicht zu gefährden.

Beendet Mattarella das drohende Drama?

In Brüssel, bei der EU, hofft man auf eine handlungsfähige Regierung, die zum Beispiel im Juni irgendwas Konkretes zur Reform der Eurozone beitragen kann. Allerdings fürchten andere EU-Staaten und auch die internationalen Anleger, dass sich die Populisten tatsächlich zu einer Koaltion zusammenfinden. Italien könnte dann den relativen Pfad der fiskalischen Tugend der letzten Jahre verlassen. Fünf-Sterne-Bewegung und Lega sind EU-kritisch eingestellt, wollen eine radikal andere Politik in der Währungsunion und insgesamt mehr Geld aus den Gemeinschaftstöpfen.  

Luigi Di Maio hat immerhin angekündigt, dass die Regierungsbildung in Italien schneller gehen soll als in Deutschland, wo die Bildung einer erneuten Großen Koalition ja sechs Monate gedauert hat. Denkbar ist auch, dass der mit relativ großen Befugnissen ausgestattete Staatspräsident Mattarella irgendwann den Vorhang fallen lässt und das Drama beendet. Mattarella könnte versuchen, eine technische Übergangsregierung einzusetzen oder gleich Neuwahlen auszurufen.

Und noch eine italienische Spezialität: Das Wahlrecht ist so kompliziert, dass es bis zur konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses nicht möglich war, alle Sitze den Kandidaten zuzuordnen. In einigen Wahlkreisen wird immer noch gerechnet, nachgezählt und teilweise geklagt.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union