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Politik

Italien: Wackelige Regierung oder Neuwahlen?

Megan Williams sam
16. Mai 2018

Italiens mögliche Koalitionspartner brauchen mehr Zeit für ihre Regierungsbildung. In Parma regiert die Fünf-Sterne-Bewegung. Dass sie landesweit Erfolg haben wird, glauben die Einwohner kaum, berichtet Megan Williams.

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Italien Wahl | Plakate Wahlsieger Luigi Di Maio & Matteo Salvini
Bild: DW/G. Matthes

Vor fast sechs Jahren wählten die Einwohner der Parmesan- und Schinken-Hauptstadt Parma Federico Pizzarotti zum ersten Bürgermeister Italiens von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S). Er feierte einen Überraschungssieg durch seine Anti-Korruptionskampagne, die an ein Hauptversprechen gebunden war: die Eröffnung einer umstrittenen Müllverbrennungsanlage zu stoppen. Doch ein Jahr später war die Müllverbrennungsanlage funktionsfähig. Angesichts der Anforderungen, eine Müllkrise zu bewältigen, war Pizzarotti zu Kompromissen gezwungen worden.

Attacken aus eigenen Reihen

Vor diesem Hintergrund sah sich Pizzarotti heftigen Attacken ausgesetzt - nicht von den Bürgern von Parma, sondern von M5S-Mitbegründer und Populist Beppe Grillo. Bald darauf waren für Pizzarotti die Tage der Anti-Politiker-Slogans und der Befehle von Grillo vorbei: Er blieb Bürgermeister, verließ aber die Fünf-Sterne-Bewegung.

Heute steht Italien am Rande der Bildung einer neuen Koalitionsregierung mit der M5S und der Anti-Einwanderungspartei Lega - und die vergangene Wahl von Pizzarotti wirkt gleichzeitig wie eine Warnung und ein Zukunftsmodell. 

eine pensionierte Herzspezialistin  (Foto: DW/L. Vallecchi )
Die Ärztin Laura Zavota aus Parma hat kein Vertrauen zur M5S-BewegungBild: DW/L. Vallecchi

"Die einzige Möglichkeit, die Pizzarotti hatte, um die Stadt zu leiten und etwas Gutes zu tun, war, mit Grillo zu brechen", sagt die pensionierte Herzspezialistin Laura Zavota. "Wenn die Fünf Sterne nicht in der Lage sind, eine einfache Stadt wie Parma zu führen, wie können sie dann glauben, dass es ihnen gelingen würde, ein Land wie Italien zu führen?" 

Wenig Vertrauen in M5S

Italiens politische Landschaft ist gespalten. Das Land zu regieren - da sind sich Experten einig - wird einen großen Schritt vom Populismus zum Pragmatismus erfordern. Aber Zavotas Sorgen gelten der Führungsstruktur der M5S. Sie zwingt die gewählten Mitglieder dazu, einen Vertrag zu unterzeichnen, der sie an die Regeln der Bewegung bindet - und dieser Vertrag beunruhigt am meisten.

"Es ist schwer zu akzeptieren, dass unsere Regierung von den Fünf Sternen gebildet werden könnte", sagt Cristina Battistini im kleinen Geschäft mit Designobjekten, das sie im historischen Zentrum von Parma betreibt. "Wir kennen sie nicht - und noch schlimmer, wir wissen nicht, wem sie wirklich Rechenschaft schuldig sind." 

Vittoria Petrazzoli, die einen Zeitungskiosk am eleganten Hauptplatz in Parma betreibt, ist an einer schnellen Regierungsbildung interessiert - obwohl sie keine Anhängerin der Bewegung M5S ist. "Es gibt so vieles zu tun. Das Schulsystem muss repariert werden", sagt die 32-Jährige. "Wir brauchen Investitionen in Forschung und Entwicklung. Indem sie alles verzögern, verhalten sie sich wie alle anderen Politiker, die zum Untergang Italiens beigetragen haben. "

Italiens erster Bürgermeister der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung (Foto: DW/L. Vallecchi )
Vittoria Petrazzoli hofft auf Investitionen in BildungBild: DW/L. Vallecchi

Die M5S-Vertreter stürmten vor fast einem Jahrzehnt auf die politische Bühne - mit dem Ziel, das italienische Parlament von etablierten Politikern zu befreien, die sie als überbezahlt und korrupt verurteilten. Bei den Wahlen am 4. März war es eine eigenständige Partei, die mit 33 Prozent der Stimmen zur größten politischen Kraft Italiens wurde. Die Lega, die 17 Prozent erhielt, triumphierte in einer Mitte-Rechts-Koalition, die bisher vom früheren Regierungschef Silvio Berlusconi dominiert wurde, der der Koalition - wenn auch widerwillig - seine Unterstützung gewährte.

Steuert Italien auf Neuwahlen zu? 

Weder die M5S noch die Mitte-Rechts-Allianz erhielten genug Stimmen, um eine Mehrheit im Parlament zu gewinnen. Also starteten sie einen letzten Versuch, eine Experten-Regierung, die aus Universitätsprofessoren zusammengesetzt wird, zu vermeiden, oder es wird neue Parlamentswahlen geben. Zu Letzterem wäre der italienische Staatschef Sergio Mattarella nach eigenen Aussagen gezwungen, wenn die italienischen Parteien keine zuverlässige Regierung bilden können.  

Giacinto Della Cananea, Experte für Verwaltungsrecht, der die M5S über die Vereinbarkeit der Bewegung mit der Lega oder mit der Demokratischen Partei beraten hat, sagt, dass die Bewegung wichtige Gemeinsamkeiten mit der Lega hat. Diese könnten helfen, ein Regierungsabkommen zu festigen.

"Neben der Bekämpfung der Korruption, die im Vordergrund ihrer Kampagnen stand, betonen beide einen starken politischen Wandel in Bezug auf Italiens Beziehungen zur Europäischen Union. Sie sehen die EU-Haushaltszwänge für Italien als zu restriktiv an", sagt Della Cananea. Um die wachsende Armut in Italien zu reduzieren, will die M5S ein garantiertes Grundeinkommen. Die Lega hat sich dagegen verpflichtet, eine Pauschalsteuer von 15 Prozent einzuführen und die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren.

Beide Parteien wollen eine vor kurzem abgeschlossene Rentenreform abbauen und Menschen in den Ruhestand versetzen. Doch alle - oder jede Kombination dieser Versprechen - würde für Italiens ohnehin schwierige Finanzen lähmende Schulden und unvorstellbar hohe Kosten bedeuten. Und einseitige Versuche Italiens, eine souveräne Agenda voranzutreiben, würden das Ansehen auf den internationalen Märkten und seine Rolle im politischen Zusammenhalt Europas weiter schwächen.

Wirtschaft und Einwanderung in Angriff nehmen

Dann ist da noch die besonders heikle Frage, wie man die Einwanderung nach Italien kontrollieren kann - ein heikles Thema, das besonders der Lega mehr Stimmen gebracht hat. 

 Wandbild der küssenden Parteiführer Luigi Di Maio (li.) Movimento 5 Stelle und Matteo Salvini (re.) Lega an einem Gebäude (Foto: DW/B. Riegert)
Von der anfänglichen Liebe zwischen M5S-Anführer Luigi Di Maio (l.) und Lega-Chef Matteo Salvini ist nichts mehr übrigBild: DW/B. Riegert

"Ich denke nicht, dass irgendjemand vorschlagen wird, Migranten auf See zu retten, aber Debatten darüber, ob in Afrika investiert werden soll oder Vereinbarungen mit nordafrikanischen Ländern getroffen werden sollen, um die Ausreise zu stoppen, sind ungelöst", sagt Della Cananea. "Diese Probleme werden Monate brauchen, auch weil es internationale Abkommen und technische Probleme gibt."

Beide Parteien haben versprochen, das Abkommen ihren eigenen Unterstützern zur Zustimmung zu geben - die M5S durch eine Online-Abstimmung; die Lega durch informelle Referenden auf Hauptplätzen, meist in Norditalien, wo deren Basis ist.

In Parma ist ein Bürger besonders daran interessiert, dass sich beide Parteien einigen: Federico Pizzarotti. Nachdem er die M5S verlassen hatte, wurde er 2017 für eine zweite Amtszeit als Bürgermeister von Parma gewählt. "Ich hoffe, sie haben die Chance zu regieren", sagte er kürzlich. "Weil der Populismus durch einen Realitäts-Check geschwächt wird."