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Politik

Italiens Stresstest

Megan Williams Rom
3. Dezember 2016

Vor dem Referendum in Italien ist die Sorge groß. Ein Scheitern von Premier Renzi könnte eine schwere Krise in dem Land und in der EU auslösen. Megan Williams berichtet aus Rom.

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Italien Wahlplakat vor dem Referendum in Rom
Bild: DW/M. Williams

"No" steht auf den Plakaten in Italiens Städten. "No" rufen sie auf den Kundgebungen, die seit Wochen im ganzen Land stattfinden. Ein breites politisches Spektrum ist gegen die Verfassungsänderung, über die Premier Matteo Renzi am Sonntag in einem Referendum abstimmen lässt: Verschiedene neo-faschistische Gruppen, konservative Katholiken, die gegen das Establishment gerichtete Fünf-Sterne-Bewegung, die rechtspopulistische Lega Nord, Silvio Berlusconis Forza Italia und selbst Mitglieder von Renzis eigener Demokratischer Partei.

Konkret will die Regierung Renzi 46 von 139 Artikeln der Verfassung ändern. Das, so wirbt der Ministerpräsident, würde das Land regierbarer machen. Sollten die Italiener zustimmen, würde die Macht des Senats eingeschränkt, die Anzahl der Senatoren von 315 auf 100 gesenkt. Sie würden nicht mehr gewählt, sondern von den einzelnen Regionen ernannt. Außerdem würde die stärkste Partei mehr Sitze im Parlament und somit mehr Macht bekommen.

Gespaltenes Land

Die Verfassungsreform spaltet das Land in ein "Si" und in ein "No" Lager. Auf der "Si"-Seite stehen liberale Politiker der Mitte. Sie werden von Wirtschaftsführern und Prominenten - etwa Star-Tenor Andrea Bocelli, Oscar-Preisträger Paolo Sorrentino oder Sternekoch Massimo Bottura - unterstützt, die in dem Land, das in den letzten 70 Jahren 63 Regierungen hatte, offen für die Reform werben.

Auf der anderen Seite das "No"-Lager: Eine Reihe desillusionierter Bürger, deren Lebensstandard in den vergangenen zehn Jahren stetig geschrumpft ist. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent, trotz der Arbeitsmarktreformen der Regierung Renzi. Viele sorgen sich, dass die Verfassungsänderungen die Gewaltenteilung in der italienischen Demokratie aushebeln könnten.

Italien Premierminister Matteo Renzi bei der Leopolda 7 'and now the future'
Das Referendum ist auch eine Abstimmung über Premierminister Matteo RenziBild: picture-alliance/dpa/T. Barchielli/Chigi's Palace

Wie auch in anderen Ländern in Europa oder in den USA schlägt die Stunde der Populisten. Politiker wie Matteo Salvini von der Lega Nord oder Beppe Grillo von der Fünf-Sterne-Bewegung fassen die Wut vieler Bürger in Worte. Pausenlos greifen sie den einst vielversprechenden jungen Ministerpräsidenten mit hasserfüllter Rhetorik an. "Renzi hat die Hosen voll aus Angst vor dem 4. Dezember. Er verhält sich wie eine verwundete Sau, die jeden angreift, den sie sieht", sagte Grillo, bevor er Befürworter der Verfassungsreform als Serienkiller bezeichnete.

Die Vorschläge für die Verfassungsreform sollen den Gesetzgebungsprozess transparenter machen. Was gut klingt, ist nach Ansicht vieler schlecht ausgearbeitet. Das führt zu allgemeiner Verunsicherung.

Allgemeine Verunsicherung

Wie viele Italiener ist auch Brunella Buscicchio, freiberufliche Kunstkuratorin und Mutter dreier Kinder unentschlossen, was sie wählen wird. Sie ist hin und her gerissen zwischen dem Wunsch nach Veränderung in dem seit Langem stagnierenden Land auf der einen und Misstrauen und Konfusion auf der anderen Seite.

"Ich habe oft das Gefühl, dass sich in Italien alles und nichts bewegt", sagt sie der DW, während sie auf den Bus in der Nähe ihrer Wohnung in Rom wartet. "Das Land braucht Veränderung, aber gleichzeitig ist es sehr schwer zu verstehen, was da eigentlich vorgeschlagen wird. Das ist einfach zu detailliert. Wie kann ein Durchschnittsbürger verstehen, für was er da stimmt?"

Dass die Bürger den Senat nicht mehr wählen dürfen und die stärkste Partei mehr Macht erhält, besorgt die Gegner der Reform.

"Wir bekommen einen Wandel, der ernste Begrenzungen der demokratischen Partizipation in diesem Lande mit sich bringt", sagt Massimo Velloni, Verfassungsrechtler an der Universität Neapel Federico II. Er verstehe das Bedürfnis der Menschen nach Wandel. Aber das Basteln an der bislang stabilen Verfassung werde Italien nicht helfen.

"Die Menschen zählen dann weniger, nicht mehr. Die Idee hinter Renzis Vorschlag ist, dass die Bürger ihre Regierung für fünf Jahre wählen und nach fünf Jahren sie wiederwählen oder abwählen. In der Zeit dazwischen sollen sie den Mund halten. Und genau das geht nicht", sagt er der DW.

Renzi hatte gesagt, er werde zurücktreten, wenn die "No"-Seite gewinne. Dieses Versprechen hatte er zurück genommen, nachdem Umfragen zeigten, dass er das Referendum wahrscheinlich verlieren wird. In den letzten Wochen vollzog er jedoch eine erneute Kehrtwende.

Drei Fragen, drei Antworten: Referendum in Italien

Berlusconi 2.0

Was ein Verfassungsreferendum sein soll, wird immer mehr zur Abstimmung über Renzis politische Zukunft - und viele Wähler geben zu, dass es ihnen genau darum geht.

"Er ist der Vorsitzende einer Partei, die eigentlich links sein sollte, aber derzeit keinen dieser Werte repräsentiert", sagt Alberto Lupo Janelli, ein ehemaliger Opernsänger, der aus Frust über den fehlenden Wandel auf die Kanaren auswandern will. "Das ist einfach eine Mutation der 25 Berlusconi-Jahre, die wir hatten. Er ist wie ein Berlusconi 2.0. Ironischerweise wähle ich als Linker jetzt so, wie einige ganz rechte Wähler, wenn auch aus anderen Gründen", sagt er der DW.

Italien Wahlen Beppe Grillo
Beppe Grillo und seine Fünf-Sterne-Bewegung machen gegen das Establishment mobilBild: Giuseppe Cacace/AFP/Getty Images

Zwar wollen viele Italiener ihren Unmut über die Regierung Renzi bekunden. Andere jedoch wollen unbedingt verhindern, was sie für eine Bewegung der Amateure und für die größte Bedrohung der Demokratischen Partei halten: Die Fünf-Sterne-Bewegung.

"Ich denke, wir könnten auch einen Bumerang-Effekt gegen die Fünf-Sterne-Bewegung sehen", sagt Vera Capperucci, Professorin für Zeitgenössische Europäische Geschichte an der Luiss Universität in Rom. "Viele Italiener würden vielleicht mit 'Nein' stimmen, aber sie sehen die Unfähigkeit der Fünf-Sterne-Bewegung, zu regieren, besonders hier in Rom", sagt sie mit Blick auf das politische Chaos unter Fünf-Sterne-Bürgermeisterin Virginia Raggi. "Viele Menschen, die nicht einmal für die Reformen sind, könnten am Ende dafür stimmen, einfach weil sie gegen die Fünf-Sterne-Bewegung sind."