1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Jüdische Sportstars in der NS-Zeit

Ruben Kalus/hm5. August 2016

17 Sportler – 17 Schicksale: In der Ausstellung "Zwischen Erfolg und Verfolgung" erzählt das Deutsche Sport & Olympia Museum in Köln die Geschichten von jüdischen Sportlern in Deutschland bis 1933 und danach.

https://p.dw.com/p/1Jc9w
Statue des Boxer Erich Seelig, Foto: Heike Mund/DW (2016)
Bild: DW/H. Mund

Sportler können echte Volkshelden sein: Wie die deutschen Fußballer nach dem WM-Gewinn 2014 in Brasilien, die deutschen Handballer, die 2016 Europameister wurden oder Angelique Kerber, die über Serena Williams bei den diesjährigen Australian Open triumphierte. Auch bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro geht es neben dem Dabeisein um Ruhm und Ehre: Insgesamt 206 Nationen messen sich in 28 Sportarten mit dem Ziel, möglichst viele Medaillen zu gewinnen. Dabei spielt es im Sport heute keine Rolle, welche Religion man angehört oder welche Hautfarbe man hat – auch wenn es immer noch Menschen gibt, die das noch nicht verstanden haben.

Vor 80 Jahren sah die Situation bei der Olympiade in Deutschland leider gänzlich anders aus: Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 begann die systematische Verfolgung und Ausbootung von Juden. Davon waren auch jüdische Sportler betroffen – mit bitteren Folgen. Sie wurden aus ihren Vereinen ausgeschlossen, aus Nationalmannschaften verbannt, gewonnene Titel wurden ihnen aberkannt und die Teilnahme an Wettbewerben verboten – nur, weil sie jüdischen Glaubens waren. Einige Sportler verloren neben ihrer sportlichen Identität auch ihr Leben, wurden wie so viele andere Juden ermordet. Von den Karrieren, Lebensgeschichten und Schicksalen jüdischer Sportler erzählt nun vom 04. August bis zum 04. September die Ausstellung "Zwischen Erfolg und Verfolgung. Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach" des Deutschen Sport & Olympia Museums in Köln.

Statue der Tennisspielerin Nelly Neppach , Foto: Heike Mund/DW (2016)
Die Tennisspielerin Nelly Neppach litt aufgrund ihrer sportlichen Isolation unter Depressionen und nahm sich im Mai 1933 das LebenBild: DW/H. Mund

Ausgegrenzt, vertrieben, ermordet – Erinnerungen an große Sportstars

Im Rheinauhafen in Köln stehen 17 lebensgroße Skulpturen aus Plexiglas. Jede einzelne zeigt einen jüdischen Sportler in Aktion: Der Schwachweltmeister Emanuel Lasker, der über einen Tisch gebeugt über den nächsten Zug grübelt, der Stürmerstar Julius Hirsch bei einem Torjubel oder die Leichtathletin Martha Jacob beim Diskurswurf. Sie alle sind für jedermann frei zugänglich entlang des Rheins vor dem Gebäude des Deutschen Sport & Olympia Museums aufgestellt. Auf der Rückseite der Figuren stehen Informationen zu den Biographien, Erfolgen und Schicksalen der einzelnen Sportler.

Vor der Machtergreifung durch Hitler waren die Sportler wahre Stars, "weil in den 1920er Jahren ein riesiger Sportboom in Deutschland einsetzte", erzählt der Sportwissenschaftler und Historiker Hans Joachim Teichler im DW-Interview."Noch 1914 gab es eine Millionen Turner in Deutschland und vielleicht 100.000 Sportler. 1933 gab es immer noch eine Millionen Turner aber sechs Millionen Sportler", erklärt er den Boom. Zudem hätte vor der Verfolgung der Juden der Glaube der Sportler in den allgemeinen Sportvereinen nie eine Rolle gespielt: "Sie wurden geachtet, in die Vorstände gewählt, und es wurden ihnen Ehrenzeichen wie der goldene Adler verliehen." Doch die politische und gesellschaftliche Situation änderte sich drastisch.

Deutschland - Florettfechterin Helene Mayer, Foto: picture-alliance/dpa
War auch noch in den USA eine erfolgreiche Fechterin: Helene MayerBild: picture-alliance/dpa

Allein von den in der Ausstellung präsentierten Sportlern kamen im Laufe der NS-Herrschaft sechs durch die Nationalsozialisten ums Leben. Unter anderem die äußerst erfolgreiche Leichtathletin Lilli Henoch, die beiden Cousins und Turner Alfred und Gustav Felix Flatow sowie der Fußballer Julius Hirsch. Neun der dargestellten Sportler mussten ins Ausland fliehen, manche von ihnen konnten in ihrer neuen Heimat an ihre sportlichen Erfolge in Deutschland anknüpfen. So zum Beispiel die Fechterin Helene Mayer, die zwischen 1934 und 1946 achtmal US-Meisterin wurde und zudem 1937 die erste Fecht-Weltmeisterin wurde.

Perfide Propaganda vor der Olympiade 1936

Im Gegensatz zu anderen jüdischen Sportlern durfte Mayer bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin antreten, bei denen sie die Silbermedaille gewann. Am 04. August 1936, am Tag der Ausstellungseröffnung in Köln vor genau 80 Jahren, schaffte sie den Finaleinzug in Berlin. Ihre Teilnahmeerlaubnis sollte ein Zeichen der Toleranz gegenüber jüdischen Sportlern seitens des NS-Regimes sein, um andere Staaten wie die USA zu besänftigen und einen Boykott anderer Länder zu verhindern. Dabei wurden andere jüdische Sportler systematisch ausgegrenzt oder aus reinen Propagandagründen zur Olympiavorbereitung zugelassen. So zum Beispiel die Leichtathletin Gretel Bergmann. Der heute mit 102 Jahren in New York lebenden, ehemaligen Leichtathletin wurde kurz vor Beginn der Olympiade aus fadenscheinigen Gründen der Start untersagt.

Sportwissenschaftler und Historiker Hans Joachim Teichler, Foto: Heike Mund/DW (2016)
Sportwissenschaftler und Historiker Hans Joachim TeichlerBild: DW/H. Mund

Insgesamt tat das deutsche Regime alles dafür, um das Bild eines guten Gastgebers abzugeben, "weil Hitler und die Führung und auch Reichspropagandaminister Goebbels der Welt zeigen wollten, was Deutschland zu leisten im Stande ist" erläutert Teichler. Doch die ausländischen Journalisten bemerkten den falschen Schein. Ihnen fiel auf, "dass die Stürmerkästen mit der ursprünglichen Aufschrift 'Die Juden sind unser Unglück' überpinselt oder abmontiert waren. Zudem sahen sie viele antisemtische Schilder verschwinden. Ihnen war klar, dass es bei den Arbeitersportlern Verhaftungen gegeben hat und berichteten weiterhin kritisch über die Olympischen Spiele als Tarnmanöver." Dies führte zu wütenden Leserbriefen, da das internationale Publikum eine gänzlich andere, schöne Olympiade erlebte.

Die olympische Ringe am Deutschen Sport-und Olympiamuseum, Foto: Foto: Heike Mund/DW (2016)
Bei der Olympiade 1936 durften für Deutschland nur zwei jüdischstämmige Sportler teilnehmenBild: DW/H. Mund

Zusatzinformationen per Smartphone

Weitere Hintergründe zu den einzelnen Sportlern, der Sportentwicklung in Deutschland, der perfiden Propagandapolitik der Nationalsozialisten und dem Versuch jüdischer Sportverbände, sich selbst zu organisieren, finden Besucher der Ausstellung im Netz. Ein QR-Code auf der Rückseite der Skulpturen führt zu einer Internetseite mit zahlreichen Informationen, Bildern und Videos rund um das Thema.

Ein weiterer Service, den das Museum derzeit anbietet: Über eine Social Media Station können sich Fans und Interessierte live über die an der Olympiade in Rio teilnehmenden Sportler informieren.