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"Ja" muss nicht "Ja" heißen

Carlos Albuquerque 26. September 2005

Immer mehr Menschen arbeiten im Ausland. Damit sich die Mitarbeiter dort gut zurechtfinden, wenden sich Unternehmen zunehmend an Fachleute im Bereich der interkulturellen Kommunikation.

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Beim Arbeiten am Zuckerhut eine andere Mentalität kennen lernenBild: dpa

Folgende Situation: Ein von seiner deutschen Firma nach Brasilien versetzter Mitarbeiter reicht gleich zu Anfang seines Einsatzes im neuen Land eine schriftliche Anfrage ein, um ein schwebendes Verfahren voranzutreiben. Tage später wundert er sich, noch keine Antwort erhalten zu haben und beschließt, die betreffende Abteilung persönlich aufzusuchen. In dem Gespräch wird prompt eine Lösung für das Problem gefunden.

Sich darüber im klaren zu werden, dass der persönliche Kontakt in Brasilien bei der Kommunikation wichtiger als der Schriftverkehr ist, während es in Deutschland genau umgekehrt ist, gehört zu den Inhalten des interkulturellen Trainings, dem Unternehmen und Institutionen in Deutschland eine immer größere Bedeutung beimessen. Im Bewusstsein, dass es natürlich viel leichter ist, den Besucher auf die örtlichen Begebenheiten vorzubereiten, als die lokale Kultur dem Besucher anzupassen, nehmen Unternehmen die Dienste von Trainern in interkultureller Kommunikation zunehmend in Anspruch.

Kulturelle Dimensionen

Bildgalerie Wahl neue Weltwunder - Kölner Dom
Am Kölner Dom herrschen andere Sitten als in BrasilienBild: AP

Die Brasilianerin Cristina Ramalho, die aus dem Nordosten des Landes stammt und seit 1992 in Deutschland lebt, hat bereits 1998 in Köln ein Büro für interkulturelle Kommunikation gegründet, das sie seitdem mit der in Organisationsentwicklung spezialisierten Partnerin, Ricarda Gregori, führt. Die Dienste ihres Büros wurden bereits von Unternehmen wie Bosch, BASF und DaimlerChrysler in Anspruch genommen.

Das Training basiere auf den so genannten kulturellen Dimensionen, erläutert Ramalho. Es werden also anhand von Situationen, die in allen Kulturkreisen vorkommen, die jeweiligen Gemeinsamkeiten und Unterschiede festgestellt und ausgearbeitet. Einige Beispiele erläutern die Unterschiede im spezifischen Falle von Brasilien und Deutschland:

Kommunikation: Deutschland dient als Beispiel eines Landes wo die direkte Kommunikation gepflegt wird, während in Brasilien die indirekte Kommunikation herrscht. In diesem letzten Fall kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass ein "Ja" tatsächlich "Ja" heißt, genauso wie ein "Nein" nicht unbedingt "Nein" bedeutet.

Hierarchie: Der Vorgesetzte und sein Mitarbeiter siezen sich in Deutschland gegenseitig. In Brasilien sagt dagegen der Chef "du" zu seinem Chauffeur, würde aber im Gegenzug nie hinnehmen, von diesem geduzt zu werden.

Umgang mit der Zeit: Brasilianer handeln polychron, das heißt sie, erledigen mehrere Aufgaben parallel, während die Deutschen das "Abharksystem" bevorzugen, bei dem eine Aufgabe nach der anderen erledigt wird (monochrone Zeitorientierung).

Beziehung Gruppe - Individuum: Ein Brasilianer würde eher einen Konflikt schweigend hinnehmen, um der Stimmung in der Gruppe nicht zu schaden. Für einen Deutschen wäre es sehr wichtig, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, auch wenn dadurch das Arbeitsklima belastet würde.

Beziehung Mensch - Objekt: Ein Brasilianer könnte eine Kritik an seiner Arbeit als persönliche Beleidigung auffassen. Ein Deutscher würde den Arbeitsinhalt höher bewerten als die Empfindlichkeiten eines Kollegen.

Umgang mit Regeln: In Deutschland ist es denkbar, dass sogar ein Punk vor einer roten Ampel stehen bleibt und abwartet. Die Brasilianer tendieren dazu, alle Regeln zu relativieren.

Beim interkulturellen Training stützt sich die Motivation vor allem auf das Erkennen der Gemeinsamkeiten. Der deutsche Mitarbeiter entdeckt etwa, dass sein brasilianischer Kollege ein Fan von Bayern München ist, und daraus resultiert eine gegenseitige Sympathie.

Flitterwochen und Hölle auf Erden

Die Erfahrung zeige, so Ramalho, dass der Mitarbeiter im Ausland nach anfänglichen Flitterwochen, denen für gewöhnlich das Gefühl einer Hölle auf Erden folgt, circa sechs Monate braucht, um im neuen Land Fuß zu fassen. Dabei kann sowohl eine Beziehung nach dem Muster "Ich liebe Brasilien und hasse Deutschland" entstehen, als auch nach dem Motto "Ich hasse Brasilien und will hier weg". Oder auch "Ich lebe zwar hier, behalte aber meine Eigenschaften bei". Das Training hat zum Ziel, dem ins Ausland versetzten Mitarbeiter dabei behilflich zu sein, seine Position im neuen Land gemäß seiner Persönlichkeit zu definieren.

Der Markt für interkulturelle Kommunikation in Bezug auf Brasilien ist in Deutschland noch bescheiden. Es herrscht seitens der Unternehmen ein wesentlich größeres Interesse für beispielsweise China. Aber Ramalho ist zuversichtlich, dass Brasilien auf lange Sicht für Deutschland ein interessantes Land bleibt.