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Japan muss sich neu erfinden!

Alexander Freund14. Dezember 2014

Japans Regierungschef Abe hat einen überzeugenden Wahlsieg eingefahren. Den sollte er nicht nur als Bestätigung werten, sondern mutig Reformen umsetzen und sich unbequemen Wahrheiten stellen, meint Alexander Freund.

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Shinzo Abe nach der Wahlsieg in der LDP-Parteizentrale (Foto: REUTERS)
Bild: Reuters/I. Kato

Abes Rechnung musste einfach aufgehen: Natürlich hat er die vorgezogenen Neuwahlen haushoch gewonnen. Es fehlen schlicht die Alternativen, denn die Opposition in Japan ist heillos zerstritten und konzeptlos. Und natürlich ist der überzeugende Wahlsieg eine Bestätigung für sein umstrittenes Wirtschaftsprogramm, die sogenannten "Abenomics", mit denen der konservative Regierungschef die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nach Jahren der Deflation und Depression wieder zu altem Glanz führen will. Japan soll sich wieder behaupten können, wirtschaftlich, aber auch politisch. Trotzdem sind längst nicht alle Japaner mit Abes Kurs zufrieden.

Abe setzt auf Entschlossenheit und Optimismus statt auf Sicherheit und Stabilität. “Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie”. Das Zitat stammt von Ex-Bundeskanzler Ludwig Erhard, dem Vater des Deutschen Wirtschaftswunders. Und dieses Credo gilt auch für einen Wirtschaftsliberalen wie Abe: Floriert die Wirtschaft, fühlen sich die Menschen gut. Fühlen sich die Menschen gut, floriert die Wirtschaft. So einfach ist das – angeblich.

Zustimmung trotz großer Zweifel

Für seine "Abenomics" bemüht Abe den Mythos der drei Pfeile, den in Japan jedes Kind kennt: Einen Pfeil kann man leicht brechen, ein Bündel aus drei Pfeilen aber nicht. Einigkeit macht stark. Abes drei Pfeile bestehen aus einer aggressiven Geldpolitik, staatlich geförderten Konjunkturprogrammen und strukturellen Reformen. Die ersten beiden Pfeile verfehlten ihr Ziel zunächst nicht: Abe entmachtete kurzerhand die japanische Zentralbank und ließ unfassbar viel neues Geld drucken. Dies schwächt zwar die heimische Währung, macht aber japanische Produkte kurzfristig wettbewerbsfähiger, stoppt die Deflation und beflügelt das Wirtschaftswachstum. Die Geldschwemme brauchte Abe außerdem für seinen zweiten Pfeil, für ein gewaltiges, allerdings schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm.

Alexander Freund, Leiter der DW-Asien-Programm
Alexander Freund, Leiter der DW-Asien-ProgrammeBild: DW/Christel Becker-Rau

Trotzdem sprang der staatlich verordnete Optimismus nicht über. Denn es geht nicht nur um Psychologie, sondern auch um harte Fakten. Und in der Realität hat sich nicht wirklich etwas verbessert: Die Verbraucher haben gar nicht mehr Geld in der Tasche, auch aufgrund der unpopulären Mehrwertsteuer. Und das, was sie in der Tasche haben, verliert zunehmend an Wert. Alles wird teurer, nur die Löhne sind in den vergangenen Jahren nicht wirklich gestiegen. Das müsste ja eigentlich die Wirtschaft freuen, doch selbst die Firmen trauten Abes Wirtschaftskonzept nur bedingt, denn die Nachfrage fehlt und viele Unternehmen brauchen in Wahrheit gar kein billiges Geld, sie horten bereits gewaltige Rücklagen.

Abes Strohfeuer erlosch, ohne wirklich zu zünden. Japans Wirtschaft steckt wieder in der Rezession. Und die Staatsverschuldung ist mit mehr als 250 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung noch viel dramatischer als vor Abes Amtsbeginn. So machte sich erst Ernüchterung, dann eine gewisse Schockstarre breit.

Mut zu Reformen?

Trotz dieser verhagelten Bilanz stimmte die überwiegende Mehrheit für Abe. Denn gegenwärtig besitzt nur Abe die politische Kraft, um die eigentlichen Herausforderungen und unbequemen Wahrheiten anzugehen. Bislang nämlich hat Abe seinen dritten Pfeil im Köcher gelassen: die überfälligen Strukturreformen. Der Arbeitsmarkt ist unflexibel und überreguliert, das Gesundheitswesen braucht mehr Wettbewerb, der Agrarmarkt ist weitgehend abgeschottet, dafür haben die Stammwähler von Abes konservativer LDP gesorgt. Die Einwanderungspolitik ist extrem restriktiv, obwohl die Gesellschaft überaltert und die Geburtenrate dramatisch niedrig ist. An diese verkrusteten Strukturen hat sich bislang noch keine Regierung getraut, weil der Mut zur Veränderung fehlt. Nach dem Wahlsieg muss Abe den dritten Pfeil aus dem Köcher ziehen und unbequeme Reformen einleiten.

So wird Abe nach dieser Wahlbestätigung auch die ungeliebten Kernkraftwerke wieder anlaufen lassen, weil die Öl-, Gas- und Kohleimporte den Staatshaushalt ruinieren – auch aufgrund des niedrigen Yen-Kurses. Für eine Energiewende fehlt trotz Fukushima der politische Wille. Das können wir Deutschen anprangern, allerdings können wir uns auch Strom beim Nachbarn leihen, wenn es mal eng wird. Das kann ein Inselreich wie Japan nicht.

Vertrauen statt Konfrontation

Außenpolitisch soll Japan seinen Platz als Großmacht in Asien behaupten. Vor allem natürlich gegenüber der aufstrebenden Supermacht China, die ja auch ihre Interessen zunehmend offensiv vertritt. Dazu will Abe die von den amerikanischen Besatzern diktierte pazifistische Verfassung den neuen Realitäten anpassen. Dieses Ansinnen mag legitim sein, aber die Sorgen der Nachbarn sind ebenso legitim. Denn Japan hat es in der Vergangenheit sträflich versäumt, sich seiner Verantwortung für begangenes Unrecht zu stellen und Vertrauen bei seinen Nachbarn aufzubauen. Statt Verbündete zu suchen, hat Abe durch sein national-konservatives Taktieren das Verhältnis zu den Nachbarn unnötig belastet. Auch das ist eine unbequeme Wahrheit.

Nur wenn Japan die Kraft zu Reformen hat und sich diesen unbequemen Wahrheiten stellt, schafft es den Weg zurück an die Weltspitze. Dorthin, wohin es Japan Ende der 1980er Jahre durch Innovationskraft und Effizienz geschafft hatte. Japan muss sich neu erfinden. Das ist eine gewaltige Herausforderung - für die Regierung und die Bevölkerung. Die satte Mehrheit kann Abe als Bestätigung werten, dass der Wille zu Veränderungen vorhanden ist. Die Japaner haben schließlich keine andere Wahl.