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"Japans Wähler strafen Fehlverhalten ab"

12. Juli 2010

Die Korruptionsskandale der regierenden Demokratischen Partei Japans (DPJ) sind eine zentrale Ursache für ihre Wahlniederlage bei den Oberhauswahlen, meint Japanexperte Patrick Köllner im Interview mit DW-World.de

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Stimmauszählung in Tokio am 11. Juli 2010 (Foto: AP)
Stimmauszählung in Tokio am 11. Juli 2010Bild: AP

DW-World.de: Die Japaner haben vor zehn Monaten die damals regierenden Liberaldemokraten nach fast 50 Jahren Regierungszeit abgewählt. Damals hatte man den Eindruck, die Wähler wollten, dass endlich grundlegende Reformen angepackt werden. Nun strafen sie die Demokraten nach nur zehn Monaten ab. Warum?

Patrick Köllner: Das Wählerverhalten in Japan ist deutlich unberechenbarer geworden in den vergangenen Jahren. Feste Bindungen, wie sie die LDP über Jahrzehnte mit Landwirten und anderen Interessengruppen unterhalten hat, existieren in dieser Form nicht mehr. Das Wählerverhalten wird dadurch weniger voraussagbar. Und die Wähler sind nicht mehr bereit, das, was sie als grobes Fehlverhalten in der Regierung wahrnehmen, zu tolerieren.

Was nehmen die Wähler als grobes Fehlverhalten wahr?

Zum einen die Tatsache, dass die DPJ-Regierung ebenso wie ihr Vorgänger, die liberaldemokratische Regierung der LDP, für eine ganze Reihe von Skandalen oder Parteispendenaffären verantwortlich war, und dass die Reformen, die man vollmundig versprochen hatte, wegen leerer Staatskassen so nicht umzusetzen waren. Das kam allerdings nicht sehr überraschend.

Premierminister Kan hatte vor der Wahl angekündigt, dass er die Mehrwertsteuer erhöhen wolle. Und er hat am Sonntagabend gesagt, dass er die Wähler mit dieser Ankündigung womöglich verschreckt habe. Die Mehrwertsteuer liegt in Japan bei nur fünf Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 19 Prozent. Warum wehren sich die Japaner so gegen eine Anhebung?

Ich denke, man kann nicht sagen, dass d i e Japaner sich gegen eine Anhebung wehren. Die letzten Umfragen haben gezeigt, dass die Bereitschaft, eine höhere Mehrwertsteuer zu akzeptieren durchaus gewachsen ist, wenn dadurch etwa die Sozialversicherungssysteme stabilisiert werden. Trotzdem ist die Bevölkerung zwiegespalten: Gerade in den ländlichen Gebieten, in denen jetzt die DPJ sehr schlecht abgeschnitten hat, ist der Widerstand sehr hoch.

Japan hat eine sehr hohe Staatsverschuldung, die die Regierung zurückfahren muss. Die Anhebung der Mehrwertsteuer wäre ein Schritt in Richtung Konsolidierung gewesen. Warum geht da das Volk nicht mit?

Patrick Köllner vom GIGA Institut für Asien-Studien in Hamburg
Japanexperte Patrick KöllnerBild: GIGA

Ich glaube, dass größere Teile des Volkes mit dem Stand der Dinge momentan nicht zufrieden sind. Wir müssen sehen, dass es immer noch sehr viel Verschwendung in den öffentlichen Haushalten gibt, oder dass zumindest die Wähler glauben, dass Geld verschwendet wird. Und man traut der Regierung einfach nicht, dass die Gelder aus der Mehrwertsteuererhöhung auch sinnvoll eingesetzt werden. Außerdem sind die verfügbaren Einkommen in den letzten Jahren in Japan kaum gestiegen, so dass eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu einer weiteren Reduzierung der Realeinkommen führen würde.

Das japanische Unterhaus ist eigentlich wichtiger, aber das Oberhaus wird benötigt, um bestimmte Gesetze zu verabschieden. Da hat künftig die LDP eine Mehrheit. Bedeutet das, dass ab sofort alle Reformvorhaben in Japan blockiert sind?

Es besteht die Gefahr, dass aus den Oberhauswahlen jetzt wieder so etwas wie ein politischer Stillstand resultiert. Wir haben eine ähnliche Situation zwischen 2007 und 2009 gehabt, nur mit umgekehrten Parteivorzeichen. Damals ist es den Liberaldemokraten nicht gelungen, ihre politischen Ziele angesichts der fehlenden Mehrheit im Oberhaus durchzusetzen. Jetzt besteht die Gefahr, wenn die DPJ nicht neue Koalitionspartner findet, dass wir einen ähnlich unerquicklichen Zustand erleben werden.

Neue Koalitionspartner sind nötig. Welche Parteien kämen dafür in Frage?

Wenn man sich die Politikpräferenzen der einzelnen Parteien ansieht, dann kann man sehr schnell feststellen, dass es eine Partei gibt, die ein ähnliches Profil aufweist, wie die Demokratische Partei Japans. Das ist die 'Neue Komeito', eine neo-buddhistische Partei, die auch die erforderlichen Parlamentarierzahlen aufweist, um der DPJ sowohl zu einer Oberhausmehrheit, als auch zu einer noch substanzielleren Mehrheit im Unterhaus zu verhelfen. Die Frage ist allerdings, ob es wirklich zu einer Verbindung dieser beiden Parteien kommen kann. Im vergangenen Jahr standen sie sich noch als Gegner bei den Unterhauswahlen gegenüber. Aber von ihrem politischen Profil her würde eine Zusammenarbeit Sinn machen, denn sie würde die Chance bieten, zu einer einheitlicheren Regierungspolitik zu kommen. Die bisherigen kleineren Koalitionspartner der DPJ wiesen in einzelnen Politikbereichen ganz andere Positionen als die DPJ auf. Insofern birgt diese Wahl durchaus auch eine Chance. Ob sie ergriffen wird, das wird man sehen müssen.

Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Wohin könnte der Weg gehen mit der 'Neuen Komeito'?

Ich glaube, dass die 'Neue Komeito' sowohl die von der DPJ geplante Zentralisierung des Regierungssystems mittragen könnte, wie auch das allgemeine Wirtschafts- und vor allem das sozialpolitische Programm der Demokraten. Auch die 'Neue Komeito' hat ein großes Interesse daran, dass das soziale Sicherungsnetz in Japan ausgebaut wird. Andererseits würde sich die Partei auch nicht den fiskalischen Konsolidierungszwängen verschließen und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer mittragen.

Das Interview führte Silke Ballweg
Redaktion: Thomas Kohlmann