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"Jeder denkt nur an seine eigenen Schäfchen"

26. Oktober 2010

Stefan von Kempis hat für Radio Vatikan die Nahost-Synode der katholischen Kirche beobachtet. DW-WORLD.DE sprach mit ihm über die Resultate - und den mangelnden Zusammenhalt der christlichen Strömungen im Nahen Osten.

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Bischöfe aus dem Nahen Osten beim Eröfnungsgottesdienst zur Vatikan-Synode in Rom (Foto: AP)
Bischöfe aus dem Nahen Osten beim Eröfnungsgottesdienst der Vatikan-Synode in RomBild: AP

DW-WORLD.DE: Herr von Kempis, zu welchem Schluss sind die Bischöfe mit Blick auf Israel und die palästinensischen Gebiete gekommen?

Stefan von Kempis: Die Bischöfe haben sich sehr vielstimmig auf der Synode geäußert, weil sie auch aus sehr verschiedenen Teilen des Nahen Ostens kommen beziehungsweise aus der Diaspora, also aus Ländern des Westens, die mittlerweile große Kontingente von emigrierten nahöstlichen Christen bei sich haben. Aber die Haltung, die die Synode zumindest offiziell in ihrer großen Abschlusserklärung eingenommen hat, ist auch die des Vatikans, nämlich: Ja zur Zweistaatenlösung; internationaler Status für Jerusalem, damit Pilgerfahrten aller großen Religionen zu den dortigen heiligen Stätten möglich sind; Ende der Besetzung von Palästina, Gaza, Westjordanland; klare Grenzen und Freiheit und Sicherheit für beide künftige Staaten, nämlich Israel und Palästina. Das ist die Haltung, die vom Vatikan bekannt ist und die sich die Synodenväter - nicht ohne diplomatische Finesse - auch angeeignet haben. Dass es aber manchmal zu eifrigen Wortmeldungen erregter Kirchenväter auf der Synode selber kam, hat natürlich auch in Israel zu Verstimmungen geführt. Man sollte einzelne Wortmeldungen aber nicht mit der offiziellen Haltung des Vatikan oder mit dem Tenor der Synode verwechseln.

Das heißt, es gab auch abweichende Meinungen?

Ja, und wie! Nicht nur in dem Punkt, sondern in sehr vielen. Das war sehr nahöstlich offen, heiter bis wolkig, sehr klare Worte. Wir im Vatikan haben das noch auf keiner Synode so erlebt. Da wurde zwar nicht geschrien, aber es ging manchmal auch schon in die Richtung großen Eifers. Das ist ja gerade das Schöne an so einer Synode, dass da nicht nur alle sitzen und dieselbe Meinung haben, sondern dass man sich austauscht. Das Ergebnis der Synode, der Konsens, das ist dann wieder etwas anderes. Man sollte diese Vielstimmigkeit nicht mit dem Schlusspapier der Synode, das wirklich dem entspricht, was man auch im Vatikan denkt, verwechseln.

Papst Benedikt XVI. beim Eröffnungsgottesdienst der Nahost-Synode in Rom (Foto: AP)
Papst Benedikt XVI. eröffnete die Nahost-Synode mit einem feierlichen Gottesdienst im Petersdom in RomBild: AP

Es gibt also eine eindeutige Haltung zur Zweistaatenlösung, aber wieviel Einfluss hat denn die Synode auf die tatsächliche Lage im Nahen Osten?

Das ist genau die Frage. Dazu müssten die Christenführer, die jetzt hier zwei Wochen lang im Vatikan sehr gemütlich zusammengesessen haben, sich auch einmal zu Hause zusammenraufen. Im Nahen Osten sind 23 verschiedene Riten präsent. Die sind zwar alle katholisch, aber sonst sehr unterschiedlich. Da sitzt oft in ein und derselben Stadt, sagen wir mal in Aleppo in Syrien, der melkitische Bischof neben dem chaldäischen, dem maronitischen und dem assyrischen Bischof, und dazu kommt dann noch der Lateiner, der für die Gläubigen des westlichen Ritus zuständig ist. Sprich: Ein Riesendurcheinander, und die Menschen haben sich in Aleppo - oder wo immer im Nahen Osten das sein mag - gar nichts zu sagen. Jeder denkt nur an seine eigenen Schäfchen. Wir haben manchmal in bestimmten Städten des Nahen Ostens drei Priesterseminare - alle katholisch. Wir haben für die kleine Herde - denn die Christen in Nahost sind ja wirklich nicht viele, sondern so gut wie überall eine klare Minderheit - parallele Strukturen: Kindergärten nur für die chaldäischen Kinder und so weiter. Das einmal aufzubrechen und zu kooperieren, das war einer der großen Wünsche dieser Synode.

Mit einer einheitlichen Haltung der christlichen Gruppen im Nahen Osten ist es also zurzeit nicht so weit her?

Chaldäische Kirche im irakischen Einkawa (Foto: DW/Mona Naggar)
Chaldäische Kirche im irakischen EinkawaBild: Mona Nagger

Nein, und genau da versucht die Synode, einzuhaken und anzusetzen. Wenn die Christen vor Ort zusammenarbeiten, dann fallen sie auch mehr ins Gewicht als bisher, wo jeder sein eigenes Süppchen kocht.

Gab es da konkrete Vorschläge zur Zusammenarbeit? Oder gibt es bestimmte Ideen, woran die Bischöfe insbesondere gedacht haben?

Es gibt insgesamt 44 Vorschläge, die die Bischöfe dem Papst unterbreitet haben, die sich aber eigentlich an sie selbst richten. Und die gehen sehr konkret in Richtung Zusammenarbeit: Zum Beispiel einen im Moment wirklich untergehenden nahöstlichen Kirchenrat - das einzige Gremium in der Region, in dem alle Kirchen zusammensitzen und Projekte besprechen - auch nur wiederzubeleben. Schon wenn nur dieser eine Punkt erreicht würde - und das ist ein ökumenisches Anliegen, das geht nicht nur die Katholiken an - wäre unglaublich viel erreicht. Die Christen müssen selbst vor Ort dafür sorgen, dass sie sichtbar werden. Zu den konkreten Vorschlägen gehört auch: Möglichst nur ein Presterseminar in einer Region, möglichst lokale Dialogkommissionen mit den Katholiken des anderen Ritus, nur eine katholische Dialogkommission zum Beispiel im Gespräch mit den Orthodoxen oder mit den Moslems oder mit den Juden in Israel, und nicht 100 kleine Verzettelereien.

Das heißt, diese Vorschläge werden jetzt an den Papst weitergereicht. Und wie geht es weiter für die Bischöfe?

Hörfunkstudio von Radio Vatikan (Foto: AP)
Hörfunkstudio von Radio VatikanBild: AP

Die Bischöfe reisen jetzt in den Nahen Osten zurück und haben eine Art Strichliste in der Hand mit diesen 44 Vorschlägen, die sie jetzt erst einmal umsetzen müssen. Darüber wacht ein postsynodaler Rat, den der Papst eigentlich noch einrichten muss. Es wird aber schon damit gerechnet, dass er das in den nächsten Tagen oder Wochen tut. Der Rat soll von Rom aus oder im Kontakt mit Rom aus dem Nahen Osten heraus dafür sorgen, dass diese Vorschläge umgesetzt werden und nicht nur Luftschlösser bleiben. Und in etwa einem Jahr wird der Papst nach langem Nachdenken und Sammeln aller Beiträge, die es auf dieser Synode gegeben hat und die sehr divergierend waren, ein Grundlagendokument veröffentlichen, eine sogenannte postsynodale Exhortation. Auf Deutsch wäre das eine "Aufforderung nach der Synode". Darin steht dann die offizielle Haltung des Vatikans und der katholischen Kirche sämtlicher Riten zum Nahen Osten und dessen ganzen Problemen und Schattierungen.

Stefan von Kempis ist langjähriger Redakteur bei Radio Vatikan und Verfasser der Biographie "Benedetto" über Papst Benedikt XVI.

Das Gespräch führte Anne Allmeling
Redaktion: Thomas Latschan