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„Jeder, der Lukaschenko unterstützt, macht sich mitschuldig“

23. März 2006

Der Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Günter Nooke, bewertet im Gespräch mit DW-RADIO die Präsidentschaftswahl in Belarus, die Rolle Russlands sowie die Lage der Menschenrechte in beiden Ländern.

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Günter Nooke ist seit März 2006 Menschenrechtsbeauftragter der BundesregierungBild: dpa

DW-RADIO/Russisch: Wie bewerten sie die Wahlen in Belarus?

Günter Nooke: Die Wahlen in Weißrussland sind für alle Beobachter und auch für mich nicht wirkliche demokratische Wahlen gewesen, sondern waren eine Farce – nicht bloß, was die Stimmabgabe insbesondere im Vorfeld anging, sondern vor allem was die Behinderung der Opposition betraf. Wenn dort Kandidaten und engste Mitarbeiter von Kandidaten verhaftet wurden, wenn Präsident Lukaschenko dort letztlich mit Todesstrafe gedroht hat und quasi Mord als verbale Ausfälle von ihm dort gang und gebe sind, dann muss eine Opposition im Lande, wenn sie ernst genommen werden will, auch demonstrieren. Das hat nichts mit dem Wahltermin zu tun, sondern das ist auch eine Demonstration gegen das Lukaschenko-Regime.

Sie haben den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgefordert, auf die Lage in Belarus nach den Wahlen Einfluss zu nehmen. Glauben Sie, dass der Kreml dem Aufruf folgen wird?

Zuerst ist es wichtig, dass für das Regime in Minsk klar ist, dass auch die Solidarität mit Russland keineswegs sicher ist. Deshalb glaube ich, dass auch Putin auf Distanz zu Lukaschenko gehen muss, wenn er in der internationalen Völkergemeinschaft weiter ernst genommen werden will, denn Lukaschenko kann man in seinen Äußerungen nicht ernst nehmen. Jeder, der ihn unterstützt, macht sich selbst mit schuldig und spielt eine fragwürdige Rolle. Inwieweit den russischen Präsidenten Putin das Ganze wirklich betrifft, kann ich nicht einschätzen. Aber ich glaube, dass die westlichen Staaten, auch die Frage des G8-Gipfels zum Beispiel, für Russland so bedeutend sind, dass es sich, was die Haltung der westlichen Staaten zu Russland betrifft, natürlich auch überlegen muss, ob es sie die aufs Spiel setzen kann, wenn es sich weiter an Weißrussland bindet.

Über welche Instrumente, außer Kritik und Aufrufen, verfügt die deutsche Bundesregierung, um auf die Lage in Belarus Einfluss zu nehmen?

Politik fängt immer damit an, dass man Dinge beim Namen nennt. Man darf nicht vor Menschenrechtsverletzungen in Russland, aber auch vor diesem unsäglichen Lukaschenko-Regime die Augen verschließen und einfach darüber schweigen und zur Tagesordnung übergehen. Das zweite ist, dass man natürlich, was Weißrussland angeht, auch über die EU weiter eine auch finanzielle Unterstützung und Solidarität von westlichen Politikern in Minsk zeigen kann und zeigen muss. Und natürlich hat es mit internationalen Verträgen, mit internationalen Gremien zu tun, der UN, dem G8-Gipfel und anderen, wo Russland mit am Tisch sitzt, wo diese Themen nicht ausgespart werden sollten. Es geht nicht nur um Wirtschaftbeziehungen, wo man dann alles dem nachordnet, sondern um die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Russland zum Beispiel auch im OSZE-Prozess unterschieben hat. An die kann man auch einen russischen Präsidenten erinnern.

Wie bewerten Sie die Menschenrechtslage in Russland selbst?

Die Frage der Menschenrechte in Russland ist etwas, was auch ein russischer Präsident sich zu Eigen machen muss. Hier geht es nicht nur um Tschetschenien, hier geht es auch um andere Fälle wie zum Beispiel die Art und Weise, wie die Haftunterbringung der Angeklagten im Jukos-Prozess, Chodorkowskij und Lebedjew, vonstatten geht. Darüber redet niemand. Es gibt viele Einzelfälle, die weit über Tschetschenien hinausgehen und eine Menschenrechtslage in Russland darstellen, die mit demokratischen und westlichen Standards keineswegs zu vergleichen ist.


Insofern werden auch wir, seitens der Bundesrepublik, und gerade ich als Menschenrechtsbeauftragter, auch immer Themen in Russland und China, also auch in großen Staaten, ansprechen, die sicher für viele nicht so leicht zu kritisieren sind, weil man natürlich auch von anderer Seite Abhängigkeiten spürt und deshalb Kritik nicht so opportun ist. Ein Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung kann natürlich auch vor dem, was an Unrecht in Russland geschieht, nicht die Augen verschließen. Insbesondere muss ich hier die Lage der NGOs anmerken, die massiv durch das neue Gesetz behindert werden. Wenn man überlegt, dass dort Memorial und andere letztlich ausradiert und handlungsunfähig gemacht werden sollen, dann ist das natürlich etwas, was der russische Präsident auch auf seiner eigenen Passivbilanz mit bedenken sollte, wenn er in der internationalen Staatengemeinschaft eine wichtige Rolle spielen will.

Das Gespräch führte Gleb Gavrik

DW-RADIO/Russisch, 22.3.2006, Fokus Ost-Südost