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"Jeder hat ein Recht auf seine Meinung"

9. April 2005

Kontrovers bis in den Tod: Papst Johannes Paul II. bewegt die Gemüter von Christen, Nichtchristen und Atheisten. So oder so. Anbei ausgewählte Zuschriften der DW-WORLD-Lesergemeinde.

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Papst und Medien

Als evangelischer Christ ist mir der Tod eines alten Mannes im Vatikan ziemlich gleichgültig. Für mich war er schlicht der absolutistische Anführer einer undemokratischen Vereinigung mit Alleinseligmachend-Anspruch gewesen, der Abweichler mit all seiner Macht in die Schranken wies. Und in einem Monat wird es einen neuen geben. Ein derartiges Brimborium darum zu machen, Fernsehprogramme zu unterbrechen, tonnenweise Sondersendungen auszustrahlen und millionenfach, teilweise auf Staatskosten, nach Rom zu reisen, halte ich für völlig überdreht. (Frank Finner)

Nach Bekanntwerden des Todes gab es unendliche Sondersendungen mit sich stets wiederholenden Bildern, Interwiews und Meldungen auf nahezu allen Sendern: Das war über Tage hinweg wirklich kaum noch zu ertragen. Jeder Quotenhascher erging sich in Spekulationen über die Nachfolge und die Zahl der pilgernden Gläubigen. Das ist Menschenkult in seiner höchsten Vollendung. Jeder Christ sagt im Gebet "Du" zu seinem Gott. Warum sollte dann sein "Stellvertreter" auf Erden eine "Heiligkeit" sein und einen derartigen Pomp genießen? Bescheidenheit hier und da kämen den christlichen Grundsätzen am nächsten! (Reinhard Stöhr)

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Papst Enthusiasmus in Deutschland (und im medialen Gleichschritt auch bei uns in der Schweiz) recht viel damit zu tun hat, dass man den Papst als Amerika- und vor allem natürlich als Bush-Kritiker instrumentalisieren kann. Man sieht über sehr viel Problematisches hinweg oder respektiert es sogar in einer geradezu atemberaubenden Großzügigkeit. Es ist einfach schön, wenn man die Berichterstattung (meist unterschwellig und gelegentlich auch recht plump) mit süffigem Antiamerikanismus unterlegen kann. (Guido Baumgartner)

Über jede Kritik erhaben?

Muss die penetrante, unsägliche Kritik einiger Zeitgenossen am gerade verstorbenen Papst weiter so hemmungslos fortgeführt werden? Bei dem ebenfalls gerade verstorbenen Fürst Rainier oder Harald Juhnke hält man sich mit beißender Kritik jedenfalls zurück. Dem "leuchtenden" Vorbild Harald Juhnke verzeiht man all zu gern seine Alkoholeskapaden und findet nur positive Worte. (Christof Jürgens)

Es ist ein Elend, dass zu wenig Radikalkritiker des Papstes zu Wort kommen. Seine starren Haltungen gegenüber der Themen Homosexualität, Geburtenkontrolle, Abtreibung und AIDS haben Konflikte verschärft und Lösungen verhindert. Drei Millarden Frauen auf unserem Globus wurden auch von Woytila 26 jahre lang als minderwertige Menschen zweiter Klasse diskriminiert. Es ist beruhigend zu wissen, dass der Papst keine Armee hat. (henry)

Jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung: die Homosexuellen, die, die meinen, dass sich die Katholische Kirche nicht genug geöffnet hat, die Feministinnen - aber eben auch der Papst. (Stefan Menger)

Persönliches

Leider muss ich betonen, dass dieser Papst mir nicht viel bedeutete. Dazu war er mir viel zu konservativ, manchmal sogar weltfremd. Fast in allen seinen Reisen betonte er nur immer wieder die traditionellen Positionen der Kirche, die mich 1969 zum Austritt bewegten. Und was seine Reisen anbetrifft: Viele davon waren überhaupt nicht nötig uns somit eine Geld- und Zeitverschwendung. Nein, so groß war dieser Papst nun doch nicht. (Thomas Hofer)

Im Jahre 1978 wurde ich als Student an der Universität Mainz zur Verleihung des Ehrendoktors an einen gewissen Erzbischof aus Krakau, Karol Woytila, eingeladen. Anlässlich der Verleihung hielt Woytila einen Vortrag über das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Von seinen sozialethischen Ausführungen war ich sehr angetan. Am Ende der Veranstaltung ging er spontan zu den Studenten und begrüßte sie persönlich, darunter auch mich. Ich habe ihn danach noch einige Male bei seinen Predigten im Mainzer Dom erlebt. Dann kam die Papstwahl im Oktober 1978. Wer in der Welt kannte schon Woytila, außer die Polen und die Mainzer? Ich hatte seit der ersten Begegnung mit dem Krakauer Erzbischof wegen seines Charismas und seiner Kompetenz die Ahnung, dass er der neue Papst werden könnte. (Manfred Karl Böhm)

Johannes Paul war für mich der Vermittler zwischen der Welt und Gott. Er hat das Menschsein ganz angenommen und nie den Glauben aufgegeben. Er gab den Menschen, was sie zutiefst in der Seele brauchen: Wärme und Liebe. Im Geist und in seinen Überzeugungen war er stark und standhaft, was einen echten Helden ausmacht. Er war eine Respektsperson, der man vertrauen konnte. Mich hat am meisten seine unbeugsame geistige Kraft beeindruckt, die bis zum Schluss den körperlichen Widringkeiten trotzte. (Sonja Nagel)

Verantwortung

Johannes Paul II. war ein Papst, der seine Kirche nicht reformieren wollte und die wichtigen Fragen der heutigen Gesellschaft weiterhin mit Tabus belegte. Insbesondere Frauen haben sich aus diesem Grund von der katholischen Kirche zu Recht abgewandt. Die Kirche muss sich reformieren, ihr Verhältnis zur Gesellschaft für die sie da sein sollte mehr in den Blick nehmen:

* Verhütung, Sexualität, Grundbedürfnisse des Menschen - noch immer ein Tabu

* Gleichberechtigung der Frau - Fehlanzeige

* Verhältnis zur gleichgeschlechtlichen Liebe - Tabuthema

* Aidsprävention in Afrika, Asien und Osteuropa - ungeklärt

* zeitgemäße Priester mit Recht auf individuelle Sexualität außerhalb des Priesterhauses - Tabu

Der neue Papst, so denn er denn ein wirklich "neuer" Papst ist, trägt eine große Verantwortung. (Nicole Köhler)

Wir freuen uns über Ihre Zuschriften, können aber nicht alle veröffentlichen. Aus redaktionellen Gründen behalten wir uns Kürzungen vor. Die Inhalte der Zuschriften geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.