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J.M. Coetzee wird 70

9. Februar 2010

Der südafrikanische Nobelpreisträger feiert seinen 70. Geburtstag. Seine Bücher provozieren durch die unkonventionelle Erzählweise und die gnadenlos kritische Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte seines Landes.

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J.M. Coetzee (Foto:AP)
J.M. Coetzee gibt sich gerne unnahbarBild: AP

"Begabung der Worte allein reicht nicht aus, um ein großer Schriftsteller zu sein. Man muss auch ein großer Mann sein." Diese Worte stammen von Adriana, der resoluten Brasilianerin aus J.M. Coetzees neuestem Roman "Summertime". Wenn man ihr Glauben schenken darf, dann ist der südafrikanische Autor weder das eine noch das andere.

Zu seinem 70. Geburtstag schenkt Coetzee seinen Lesern nicht weniger als den Nachruf auf sich selbst und zeichnet darin das Bild eines vergeistigten Schwächlings, schlechten Liebhabers und unbegabten Möchtegern-Handwerkers. Aber J.M. Coetzee und sein Alter Ego bleiben unterm Strich doch zwei verschiedene Persönlichkeiten. Er selbst spricht im Bezug auf seine Werke gerne von "fiktionalisierten Erfahrungen". Wer also ist der öffentlichkeitsscheue Südafrikaner, der sogar aus seinem Vornamen lange Zeit ein Geheimnis machte?

Ein Schild aus dem Jahre 1976, das das Gebiet der weißen Bevölkerung markiert (Foto: AP)
Coetzees setzt sich in seinen Romanen mit der Apartheid auseinanderBild: AP

J.M. Coetzee wurde am 9. Februar 1940 als Sohn eines Anwalts burischer Abstammung und einer Lehrerin in Kapstadt geboren. Er studierte Englische Literatur und Mathematik in England und den USA. Eine zeitlang verdiente er sein Geld als Programmierer, bevor er an der State University in New York promovierte. Er blieb als Lehrbeauftragter an der Universität in New York und begann schon in dieser Zeit zu schreiben. Als er bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg festgenommen worden war, musste er in seine Heimat zurückkehren. Die Erfahrungen mit der US-amerikanischen Friedensbewegung haben seine Vorstellungen von politischem und moralischem Engagement nachhaltig geprägt.

Literarischer Kampf gegen Rassismus

Coetzee setzt sich in seinen Büchern kritisch mit der Geschichte Südafrikas und der Gesellschaft der Postapartheid auseinander und deckt schonungslos Rassismus und Doppelmoral auf.

Der literarischer Durchbruch gelang ihm 1999 mit dem umstrittenen Roman “Disgrace“, der die Frage nach Schuld und Sühne aufwirft: Die von schwarzen Tätern vergewaltigte weiße Heldin verzichtet auf eine Anklage und entscheidet sich für das aus der Gewalt entstandene Kind.

Im Gegensatz zu vielen anderen bekannten Chronisten der südafrikanischen Apartheid wie die Literaturpreisträgerin Nadine Gordimer, die einen realistischen und politischen Stil bevorzugen, gilt Coetzee als der Poet unter den südafrikanischen Romanciers. Er zweifelt an einer naturalistischen Darstellung von Wirklichkeit als Mittel der Aufklärung und des Protests. Das spiegelt sich in seiner oft unkonventionellen Erzählweise, die den Leser schon mal verwirren kann.

Macht, Leid, Schuld und Schicksal

Der südafrikanische Schriftsteller John M. Coetzee bei der Literaturnobelpreisverleihung im Oktober 2003 in Stockholm. Er zeigt die Medaille zwischen der südafrikanischen Botschafterin Sonto Kudjoe und ihrem Ehemann John Kudjoe
Coetzee in Stockholm mit der südafrikanischen Botschafterin Sonto KudjoeBild: dpa

Aufgrund der düsteren Motive, die sich wie ein roter Faden durch sein Werk ziehen, wird Coetzee oft mit Kafka verglichen. In seinen Romanen über Südafrika sucht man vergebens nach Optimismus. Auch das Ende der Apartheid mündete seiner Meinung nach nicht in eine wirklich gerechte Gesellschaft.

Mit seiner skeptischen, fast schon von Verachtung geprägten Weltsicht hat er sich nicht nur Freunde gemacht. Vor allem “Disgrace“ hat in Südafrika heftige Kontroversen ausgelöst – dabei musste sich Coetzee auch den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen. Vielleicht hat das mit zu seiner Entscheidung beigetragen, nach Australien zu emigrieren, wo er seit 2002 als Forschungsbeauftragter an der Universität von Adelaide arbeitet.

Nobelpreis 2003

Für seine Werke bekam Coetzee mehrere wichtige literarische Auszeichnungen, darunter den CNA Literary Award, den höchsten südafrikanischen Literaturpreis, und zweimal den begehrten Booker Preis. 2003 wurde ihm auch den Literaturnobelpreis verliehen. In der Begründung des Nobel-Komitee heißt es, Coetzee sei "vor allem an Situationen interessiert, wo die Unterscheidung von richtig und falsch sich als unbrauchbar erweist."

In seiner Dankesrede bestätigte Coetzee einmal mehr das Bild eines eigenwilligen Außenseiters in der Manier der Figur, die er als seine literarische Inspiration bezeichnet: Robinson Crusoe. Aber Coetzee sprach nicht nur über den Defoeschen Inselbewohner. Seine Ansprache über die Stockentenjagdt hinterließ sein Publikum ein weiteres Mal in ratlos.

Coetzee polarisiert: die einen lieben ihn für seine rätselhafte Tiefe, die anderen werfen ihm verschrobene Selbstbespiegelung vor. Aber genau darum geht es Coetzee: auch sein jüngstes Werk "Summertime" ist eine Parodie auf die Intellektualität, die auf die Spitze getrieben wird.

Autorin: Julia Belke

Redaktion: Stephanie Gebert