1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Johann Wadephul: "Ein Weckruf für Europa"

10. Juni 2018

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Johann Wadephul betrachtet im DW-Interview den Auftritt von US-Präsident Trump auf und nach dem G7-Gipfel als Signal: Europa müsse lernen, Weltpolitik aus eigener Kraft zu gestalten.

https://p.dw.com/p/2zF1m
Singapur: U.S. Präsident Donald Trump bei der Ankunft
Bild: Reuters/ J. Ernst

DW: Herr Wadephul, US-Präsident Donald Trump hat - nachdem er den Gipfel der großen sieben Industrienationen in Quebec verlassen hatte - seine Zustimmung zum G7-Communiqué per Twitter zurückgezogen. Was könnte die späte Absage motiviert haben?

Ob das einer Laune entsprach oder seiner bekannten Skepsis gegenüber multilateralen Formaten lässt sich nicht endgültig einschätzen. Jedenfalls ist es eine eigenartige Weise, Politik zu formulieren. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass der amerikanische Präsident als natürlicher Führer der westlichen Welt sich von einer Vereinbarung verabschiedet hat, die noch einmal all das unterstrichen hat, was uns in der westlichen Welt wichtig ist und uns zusammenhält - also freier Welthandel, freie Kommunikation und die Auseinandersetzung mit jenen doch hinreichend vielen Kräften, die das zerstören möchten. Das ist alarmierend genug. 

Hat sich das Verhältnis der Europäer zu Trump seit diesem Wochenende grundlegend verändert?

Ich bin sicher, dass das gilt, was der große Transatlantiker John McCain, kurz nach dem Tweet geäußert hat - dass es in Amerika einen parteiübergreifend proeuropäischen und pro-transatlantischen Konsens gibt, der auch von der Bevölkerung der USA mehrheitlich unterstützt wird. Das sehe ich auch so und weiß es auch aus vielen Gesprächen. Das muss uns nun auch leiten.

Johann Wadephul (CDU)
Johann WadephulBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Allerdings ist unverkennbar, dass die ja demokratische gewählte Administration und der Präsident es nicht unterlassen, dieses Bündnis ständig in Frage zu stellen. Zunächst hatte Trump das Verteidigungsbündnis NATO grundsätzlich in Frage gestellt. Dann erklärte er, dass er multilaterale Formate nicht schätze und stattdessen bilaterale Abkommen bevorzuge, wie er sie auch als Geschäftsmann praktiziert hat. Nun ist mit der nachträglichen Kündigung einer Vereinbarung der wichtigsten sieben Industriestaaten ein Höhepunkt erreicht. Das ist schon eine klare Linie, angesichts derer wir uns ehrlich machen und sagen müssen, dass mit diesem Präsidenten nicht in der Art und weise zu kooperieren ist, die wir bislang gewohnt waren. Das ist ein Weckruf für Europa wie auch für die sechs in dem Format verbliebenen Industriestaaten.

Nun hat Trump vorgeschlagen, Ex-Mitglied Russland wieder in den Kreis der führenden Industrienationen aufzunehmen. Russland war nach der Annexion der Krimi ja ausgeschlossen worden - aus den G8 wurden wieder G7. Wie deuten Sie diesen Vorschlag?

Das ist schwer zu deuten. Zunächst muss man zur Kenntnis nehmen, dass der Präsident diesen Vorschlag im Wissen darum gemacht hat, dass er von allen anderen Partnern entschieden angelehnt wird - am stärksten von Deutschland, Frankreich und auch Großbritannien. Dass ihn die Meinung seiner europäischen Partnerländer überhaupt nicht interessiert, belastet das transatlantische Verhältnis erheblich. Es ist immer schwerer, in der europäischen Öffentlichkeit noch ein ernsthafter Freund Amerikas zu sein. Deswegen würde ich alle Amerikaner, denen an diesem Verhältnis gelegen ist, auffordern wollen - und das richtet sich in erster Linie an die Kollegen im Senat und im Repräsentantenhaus -, sich dem zu widersetzen und zu erklären, dass sie diesen Akt der Missachtung zentraler europäischer Interessen nicht mitmachen.

Zudem ist es natürlich so, dass hier auch prinzipielle Fragen berührt sind. Ich weiß nicht, ob dem Präsidenten klar ist, dass etwa China die russische Annexion der Krim darum für harmlos und akzeptabel gehalten hat, weil es sich in seinem Umfeld ähnlich verhält.

Sehen Sie Europa hinreichend geeint? Italien etwa sendet unter der neuen Regierung durchaus freundliche Signale in Richtung des Weißen Hauses.

Es ist bekannt, dass Italien die europäische Russlandpolitik immer zurückhaltender betrachtet hat, als andere Staaten das taten. Für mich ist entscheidend, das Deutschland und Frankreich so einige sind wie selten zuvor in der Vergangenheit. Fast noch bemerkenswerter ist der Umstand, das Großbritannien sich völlig ungeachtet des Brexits zu hundert Prozent auf europäischer Linie befindet. Europa ist immer in Krisen stark geworden, und auch dies ist erneut eine schwere Krise für Europa. 

Was wäre nach diesem Wochenende eine kluge europäische Politik?

Wir Europäer müssen den Tweet als Weckruf begreifen - wenn ein solcher denn noch nötig gewesen ist. Das heißt, wir müssen nun in der Formulierung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zulegen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker hat gesagt, Europa ist nicht weltpolitikfähig. Das möchte ich in die Forderung ummünzen, diese Fähigkeit nun zu erwerben. Wir Europäer müssen begreifen, dass wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen, unsere Werte, unseren Wohlstand und unsere Freiheit selbst verteidigen müssen.

Europa, insbesondere Deutschland hat den USA nach 1945 sehr viel zu verdanken. Mit Blick auf die Gegenwart: Ist Europa umgekehrt auch für die USA wichtig?

Ja natürlich. Die Welt ist nicht mehr bipolar, sondern multipolar. Die Vereinigten Staaten sind wirtschafts- und sicherheitspolitisch natürlich sehr stark. Aber sie werden sich in einer multipolaren Welt nur dann behaupten können, wenn es ihnen gelingt, sich mit allen Nationen zu vereinen, die sich zu ihren grundlegenden Werten wie Freiheit, wirtschaftliche Unabhängigkeit, freie Meinungsäußerung, Menschenrechte bekennen. Es gibt Japan, Neuseeland, Australien, es gibt Indien, die weltweit größte Demokratie. Aber Europa ist und bleibt ein Bollwerk, ein positiver Anker dieser Werte. Und ich glaube, die USA wissen, dass sie auch für die Zukunft auf eine enge Partnerschaft mit Europa angewiesen sind. Gewiss, die USA sind die westliche Führungsmacht. Aber "führen" heißt in diesem Zusammenhang nicht nur, Kommandos zu geben und auf Folgsamkeit zu achten. Führen heiß vielmehr, eine Richtung anzugeben, aber auch darauf zu achten, dass diejenigen, die mitmachen sollen, eigene Interessen haben und sie darum sinnvoll zu beteiligen.

Johann Wadephul ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zuständig für Auswärtiges, Verteidigung, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie Europarat. Er ist zudem stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union im Verteidigungsausschuss, sowie im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags.

Das Interview führte Kersten Knipp.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika