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Netzneutralität ist wichtig

Michael Münz28. März 2014

Zwei Jahre lang blieb Deutschlands Stuhl bei den "Digital Champions" leer - jetzt wurde Gesche Joost von der Bundesregierung als Internetbotschafterin für die EU benannt. Ein Thema des Gremiums: die Netzneutralität.

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Gesche Joost
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Was sind die "Digital Champions"?

Gesche Joost: EU-Kommissarin Neelie Kroes hat dieses Gremium 2012 ins Leben gerufen. Jedes Mitgliedsland hat jemanden abgeordnet, um die digitale Agenda der Europäischen Union in die Mitgliedsländer zu tragen und umgekehrt Aspekte nach Brüssel zu kommunizieren. Deutschlands Platz war zwei Jahre unbesetzt, umso größer war die Freude, dass die Runde mit mir jetzt komplett ist.

Sie waren jetzt bei einem ersten Treffen in Brüssel. Wie sind Ihre Eindrücke?

Eines der großen Themen war die Gründung einer "Allianz für digitale Jobs". Auf der einen Seite haben wir gerade in den südeuropäischen Ländern eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Auf der anderen Seite haben wir gleichzeitig einen Fachkräftemangel in der IT-Branche. Digitale Jobs können da Abhilfe schaffen. Übrigens auch in Deutschland. Wir haben hier ja noch das Problem, dass viel zu wenig junge Frauen in digitalen Jobs arbeiten. Ich möchte Industrie und Wirtschaftsunternehmen zusammenbringen mit Hochschulen, damit wir einfach mehr Leute in gut bezahlte digitale Jobs bekommen. Gleichzeitig wird mit sehr viel Aufmerksamkeit und Respekt nach Deutschland geschaut, weil da anscheinend vieles richtig läuft. Die Startup-Szene in Berlin wurde mir gegenüber als exemplarisch herausgehoben, weil dort Investoren und Gründer sehr gut zusammenkommen. Es war gut zu merken, dass wir einige Leuchtturmprojekte in Deutschland haben, die in Europa gemeinsam weiterentwickelt werden können.

Als Internetbotschafterin Deutschlands in der EU - für wen sollen Sie sich da einsetzen?

Es geht darum, eine gemeinsame Wertevision der vernetzten Gesellschaft in Europa zu vertreten und daraus Handlungen abzuleiten. Es war bei dem Treffen in Brüssel Konsens, dass wir uns für ein offenes und experimentierfreudiges Netz einsetzen. Wir werben hierbei für die Open-Everything-Strategie. Wir wollen, dass Open-Access gewährt wird, dass man Open-Source-Projekte und Open Education unterstützt. Netzneutralität ist ein ganz wichtiges Instrument, um diese Freiheit und Offenheit des Netzes zu sichern. Aus solch einer Vision entstehen konkrete Schritte. Wir haben vereinbart, eine "Code Week" einzuführen, wo Kinder und Jugendliche in ganz Europa im Oktober eine Woche gemeinsam an Schulen und öffentlichen Einrichtungen das Programmieren lernen. Vor dem Hintergrund des NSA-Skandals waren wir uns in Brüssel außerdem einig, dass Europa eine rein kommerzielle Perspektive auf das Netz sowie eine Komplettüberwachung, die in anderen Staaten der Erde vielleicht als weniger kritisch empfunden wird, nicht teilt.

Gesche Joost auf der recampaign
Auf der Konferenz "recampaign" sprach Gesche Joost über Projekte ihres ForschungsteamsBild: recampaign

Fast zeitgleich mit ihrer Runde hat der Industrieausschuss des EU-Parlaments beschlossen, dass künftig sowohl Provider als auch Inhalteanbieter mit den Nutzern "Spezialdienste" vereinbaren dürfen. Viele Menschen sehen dadurch die Netzneutralität gefährdet.

Wir haben mit Neelie Kroes selbst darüber gesprochen. Sie ist ja eine beeindruckende Verfechterin des offenen Netzes und fordert einen starken Begriff von Netzneutralität ein. Gleichzeit ist ihr natürlich bewusst, dass wirtschaftliche Faktoren in Europa eine große Rolle spielen. Sie setzt sich dafür ein, dass die strittige Definition von "Special Services" so klar formuliert wird, dass kein "Zwei-Klassen-Internet" entsteht. Sie tritt dafür ein, dass die endgültige Vorlage beim EU-Parlament so klar gefasst wird, dass das offene, experimentierfreudige Netz gesichert ist.

US-Präsident Obama hat sich kürzlich mit Vertretern großer Internet-Konzerne getroffen. Offenbar sehen Facebook oder auch Google durch Überwachungsmaßnahmen von Regierungen ihre Geschäftsmodelle gefährdet.

Ich glaube, dass dieser Vertrauensverlust, mit dem die Digitalwirtschaft durch die NSA-Affäre umgehen muss, für viele junge Startups und Netzanbieter ein Schlag ins Kontor war. Sie bekommen zu spüren, dass eine viel größere Sensibilität im Umgang mit eigenen Daten, mit der individuellen Privatsphäre entstanden ist. Ich habe Neelie Kroes berichtet, dass dieser Vertrauensverlust in Deutschland besonders stark formuliert wurde - womöglich stärker als in anderen europäischen Ländern. Der NSA-Skandal hat uns fundamental erschüttert. Damit muss man umgehen, weil wir nicht nur an das freie und offene Internet glauben, sondern weil Vertrauen auch ein Wirtschaftsfaktor ist. Ich glaube übrigens auch, dass gerade die Ideen von Open Access, Open Data und Open Source auch eine Antwort auf die NSA-Affäre sind. Es ist wichtig, dass man jetzt nicht mit Protektionismus reagiert oder mit so etwas Unsinnigem wie Länder-Internets, sondern für Offenheit eintritt.

Konnten die anderen "Digital Champions" die von Ihnen vorgetragene Position nachvollziehen?

Ich wurde nach der Runde damit zitiert, dass Deutschland "sauer" auf die NSA wäre. Tatsächlich habe ich gesagt, dass wir erschüttert sind! Ich habe gemerkt, dass die Rezeption der Überwachung bei einigen Kolleginnen und Kollegen anders war. In Deutschland wurde unsere Grundvorstellung der freien Kommunikation im Netz erschüttert. Wir haben eine sehr starke Vorstellung davon, was Privatsphäre ist. Darum muss Deutschland sich auch sehr viel stärker auf europäischer Ebene einsetzen, um genau diese Privatsphäre zu schützen. Das sollten wir auch gegenüber anderen Nationen weltweit vertreten. Dies würde bedeuten, sich auch auf UN-Ebene auf einen internationalen Code of Conduct des Internets zu verständigen, in dem Bürgerrechte gesichert werden.

Gesche Joost (Prof. Dr.) ist Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin und leitet seit 2005 das Design Research Lab. Mit ihrem Team forscht die 39-Jährige zu den Schwerpunkten Mensch-Maschine-Interaktion und Vielfalt in der Technologie-Entwicklung. Sie ist seit 2008 Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung (DGTF) und seit 2012 Vorstandsmitglied der Technologiestiftung Berlin. Seit 2014 ist sie "Digital Champion" der Bundesregierung im Europäischen Parlament in Brüssel.

Das Gespräch führte Michael Münz.