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Journalisten klagen über Hass und Gewalt

1. März 2017

Angriffe auf Medienvertreter haben aus Sicht der Betroffenen Hochkonjunktur. Kein überraschender Befund in Zeiten von "Hate Speech" und "Lügenpresse"-Vorwürfen. Konfliktforscher haben das Phänomen nun untersucht.

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Symbolbild Lügenpresse
Bild: picture-alliance/dpa/David Ebener

Wie gefährlich Journalisten in der Ausübung ihres Berufes leben, illustriert in diesen Tagen der Fall Deniz Yücel. Der "Welt"-Korrespondent befindet sich in Untersuchungshaft. Ob und wann er freikommt, ist völlig ungewiss. Und dann sind da noch die vielen Reporter, Fotografen und Kameraleute, die sogar ums Leben kommen. Die jährlich von der Journalisten-Organisation "Reporter ohne Grenzen" vorgelegte Bilanz des Todes ist erschreckend.

Vor diesem Hintergrund erscheint die am Mittwoch in Berlin veröffentlichte Studie zu "Hass im Arbeitsalltag Medienschaffender" fast ein wenig deplatziert. Zumal es in der Untersuchung des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) um die Situation im vergleichsweise sehr sicheren Deutschland geht. Trotzdem ist der im Auftrag des Mediendienstes Integration ermittelte Befund hilfreich für den Umgang mit dem hochaktuellen Phänomen des "Hate Speech" und dem oft zu hörenden Vorwurf der "Lügenpresse". 

Jeder Fünfte wurde schon körperlich attackiert

Was das in der Praxis bedeutet, davon kann Frank Jansen schon sehr lange ein Lied singen. Seit der deutschen Wiedervereinigung berichtet er für den in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel" über Rechtsextremismus und wurde mehrmals bedroht und attackiert. "Einigen körperlichen Angriffen von Neonazis konnte ich nur knapp ausweichen", sagte Jansen der Deutschen Welle. Handfeste Drohungen gab es auch bei Demonstrationen der fremdenfeindlichen "Pegida"-Bewegung in Dresden.

Dresden - Pegida-Anhänger versammeln sich zum Jahrestag
​Wenn "Pegida" in Dresden oder andernorts marschiert, beschleicht manchen Journalisten ein mulmiges Gefühl​Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Ähnliche Erfahrungen wie Jansen machte nach Angaben von IKG-Leiter Andreas Zick jeder Fünfte (21 Prozent) der von seinem Team Befragten. Dass verbale Attacken 2016 allgemein zugenommen haben, meinen zwei Drittel der Befragten. Repräsentativ im wissenschaftlichen Sinne ist die Untersuchung nach Angaben des Instituts zwar nicht, für aussagekräftig wird sie aber trotzdem gehalten. Immerhin 783 Journalisten haben sich beteiligt. Alle Fragen beantwortet hat allerdings nur die Hälfte (51 Prozent). 

"Publizieren wird zur Mutprobe"

Trotz dieser Einschränkungen sehen sich die Forscher in ihrer Vermutung bestätigt, dass die Presse in einem zunehmend enthemmten gesellschaftlichen Umfeld arbeitet. Das zugespitzte Fazit ziert die Titelseite der 28 Seiten umfassenden Studie: "Publizieren wird zur Mutprobe" - der Satz stammt von einem Teilnehmer der anonym durchgeführten Befragung. Viele Journalisten würden inzwischen sogar Außeneinsätze aus Furcht vor körperlichen Angriffen ablehnen.

Journalist Frank Jansen
"Tagesspiegel"-Reporter Frank JansenBild: picture-alliance/dpa

Für "Tagesspiegel"-Reporter Jansen kommt das nicht infrage - obwohl er allen Grund dazu hätte. Per E-Mail erhielt er eine dezidierte Morddrohung von einem Berliner Rechtsextremisten. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verliefen im Sande. Beschimpfungen und Beleidigungen im Internet sind zudem fast schon Alltag: "Ein Rechtsextremist, dem meine Berichterstattung über den NSU-Prozess nicht gefiel, bezeichnete mich als dreckiges Propaganda-Schwein." Seit einigen Jahren mehren sich auch die Angriffe von Islamhassern. Einer drohte anonym mit Gewalt: "Baum, Strick, Islamfaschistengenick" lautete die Parole in einer E-Mail. Der "Tagesspiegel" leitete sie der Polizei zu, die Ermittlungen ergaben aber nichts.

"Angstzustände und ein Gefühl der Ohnmacht"

Einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Angriffen auf Journalisten und ihrem Alter, Geschlecht oder ihrer vermeintlichen Herkunft konnten die Forscher generell nicht feststellen. Anders ausgedrückt: Journalisten mit Migrationshintergrund sind nicht häufiger von "Hate Speech" betroffen als andere. "Es fällt mir schwer, unbegründete und hasserfüllte Angriffe einfach abzuschütteln" - so oder ähnlich antworteten Studienteilnehmer auf die Frage nach den Folgen ihrer Erfahrungen. Noch schlimmer ist es bei physischen Attacken. "Angstzustände und ein Gefühl der Ohnmacht" beklagte ein Journalist.

Dresden - Pegida-Anhänger versammeln sich zum Jahrestag
Diffamierungen gehören für Journalisten zum Berufsalltag - Tendenz steigend Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Wie der allgemein wahrgenommene Trend zur Verrohung zu stoppen und umzukehren ist, auch darum ging es in der Befragung. Manche hoffen auf mehr Interesse und Verständnis im Kollegenkreis. Wobei rund zwei Drittel angaben, über das Thema werde offen gesprochen. Einige wünschen sich aber auch mehr Personal, "um mehr im direkten Kontakt (er)klären zu können, um besser/unangreifbarer recherchieren und schreiben zu können". Dass dieser Wunsch erfüllt wird, erscheint bei einem kritischen Blick auf die Medienlandschaft unwahrscheinlich. Auch in Redaktionsstuben verfestigt sich seit Jahren der Trend zu immer mehr Arbeitsverdichtung.

Soziale Medien wirken als Beschleuniger

Schnelligkeit vor Gründlichkeit ist eine Maxime, die im Zeitalter des Echtzeit-Journalismus mehr denn je gilt. Eine Kehrtwende ist nicht in Sicht - im Gegenteil: Die verstärkte Nutzung sozialer Medien durch fast alle Medien beschleunigt diese Entwicklung zusätzlich. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist das Phänomen "Hate Speech" eine unvermeidliche Begleiterscheinung. Ein hasserfüllter Kommentar ist schnell ins Smartphone oder den Computer getippt.

Wegen schlechter Erfahrungen verzichten manche Redaktionen inzwischen auf diese Funktion. Das Problem wird damit aber nicht gelöst, höchstens ausgeblendet. "Tagesspiegel"-Reporter Jansen geht keine Kompromisse ein. Trotz der nun seit Jahrzehnten anhaltenden Bedrohung setzt er seine Arbeit unvermindert fort. Auch ein Pseudonym kommt für ihn nicht in Frage. "Würde ich mich hinter einem Fantasienamen verstecken, hätten die Rechtsextremisten dem 'Tagesspiegel' schon ein paar Zentimeter Pressefreiheit weggenommen", sagt Jansen.