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Müller: "Der Staat erschafft Intensivtäter"

Sabrina Pabst 28. Januar 2016

Verfahren müssten schnell beginnen, auf Taten rasch Sanktionen folgen. Im DW-Interview spricht Jugendrichter Andreas Müller Klartext und verlangt ein härteres Durchgreifen bei jugendlichen Straftätern.

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Andreas Müller, Jugendrichter und Autor (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

Deutsche Welle: Muss sich unser Staat gegenüber jungen Straftätern mehr Respekt verschaffen?

Andreas Müller: Bei jugendlichen Intensivtätern, zum Beispiel bei rechtsradikalen deutschen Jugendlichen, musste das unser Staat in den vergangenen 20 Jahren regelmäßig. Sie wurden zu Intensivtätern gemacht, weil der Staat nicht vernünftig gearbeitet hat. Das ist auch jetzt der Fall. Wir bekommen möglicherweise langsam, aber sicher eine Szene von Intensivtätern, die jetzt über einen Flüchtlingsstrom nach Deutschland gekommen sind, wobei es allerdings sehr wenige sind.

Sie geben dem Staat die Schuld, dass es immer mehr Intensivtäter gibt?

Der Staat ist bei jungen Menschen mitschuldig, weil sie nicht schnell den Jugendrichtern, den Autoritäten, vorgeführt werden. In Folge dieses Umstands denken diese Leute, es passiere nichts. Dann begehen sie eine Tat nach der anderen. Irgendwann stehen sie dann vor Gericht und sind Intensivtäter.

Es wird bei kleineren Delikten viel zu oft an den Jugendrichtern vorbei agiert. Es wird zunächst über Sozialarbeit versucht, etwas zu machen und dann das Verfahren sogar eingestellt. Das ist ein Problem. In dem Moment, in dem man weiß, dass ein junger Mensch bereits eine erste Tat begangen hat, müsste er beim Jugendrichter vorgeladen werden. Nur so können wir ihn gleich unter richterliche Aufsicht nehmen.

Es gibt aber auch die Theorie, dass straffällig gewordene Jugendliche mehr Zuwendung, Hilfe und Milde brauchen.

Die Strategie des Abwartens, die funktioniert vielleicht bei jungen Menschen, die einmal auffällig werden, aber nicht bei jenen, die schon mehrfach auffällig geworden sind. Wenn wir abwarten, begehen die jungen Menschen dann eine Tat nach der anderen, schaffen ein Opfer nach dem nächsten. Die Staatsanwaltschaft müsste frühestmöglich Anklage beim Jugendrichter erheben und drei oder vier Wochen später ist der junge Mann erstmalig vor Gericht. Wir müssen die Strukturen ändern.

Wie?

Wenn es um Jugendgruppengewalt und um Jugendgruppendelikte geht, ist eine schnelle Ahndung der Taten, eine Vernetzung der zuständigen Stellen und die Anwendung des Gesetzes wichtig. Wir haben beschleunigte Verfahren im Jugendstrafrecht und im Erwachsenenstrafrecht. Wir brauchen ein Zentralregister, in dem sofort und zwar schon durch die Polizei jedes Ermittlungsverfahren eingetragen wird und das bundesweit geführt wird und von allen in der Strafverfolgung Tätigen eingesehen werden kann.

So könnte jeder Polizist, jeder Staatsanwalt und schließlich auch jeder Richter auf Knopfdruck in Erfahrung bringen, ob der Beschuldigte nicht nur einmal in Erscheinung getreten ist, sondern bereits mehrfach und an verschiedenen Orten. Auch müssten alle richterlichen Auflagen und Weisungen in einem solchen Register gespeichert werden. Bei Verstößen hiergegen und bei mehrfachem strafrechtlichen Verhalten könnte der Täter dann auch schneller und härter belangt werden.

Im Zeitalter von Internet und Datenaustausch ist ein solches zentrales Register nicht vorhanden?

Es gibt ein Register für Verurteilungen und eines für Staatsanwaltschaften, in dem bestimmte Ermittlungsverfahren registriert werden. Letzteres betrifft aber nur Verfahren, die bei der Staatsanwaltschaft anhängig sind und nicht die bei der Polizei. Es enthält auch keine erfolgten richterlichen Weisungen. Wenn Sie als Jugendrichter sehen, dass gegen den Angeklagten mehrere Ermittlungsverfahren laufen, dann haben Sie eine ganz andere Sichtweise auf diesen jungen Menschen.

Ein Ermittlungsverfahren sagt zwar nichts darüber aus, dass er der tatsächliche Täter war. Gleichwohl können Sie aber aus dem Umstand, dass jemand Gegenstand mehrerer Ermittlungsverfahren ist, sehr wohl erschließen, dass dieser junge Mensch nicht unschuldig zum Ermittlungsgegenstand geworden ist.

Wächst durch die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten der Druck auf die Politik, die Missstände zu korrigieren?

Der politische Wille ist regelmäßig da, wenn Jugendgruppengewalt beginnt. Dann wird geredet, aber letztendlich werden die Strukturen nicht geändert. Jugendrichterin und Bestsellerautorin Kirsten Heisig hat mit dem sogenannten Neuköllner Modell in dem Problemviertel versucht, eine neue Strategie zu entwickeln. Aber auch dieses Modell ist, da wir in den vergangenen Jahren eine rückläufige Jugendkriminalität hatten, in Vergessenheit geraten. Vielleicht wird es jetzt wieder hervorgeholt.

Im Fall von Köln fängt die Politik an, von organisierter Kriminalität zu reden. Sie fordert eine Verschärfung und schnellere Abschiebung. Das ist alles Quatsch und macht mich wütend. Wir hatten Silvester möglicherweise unheimlich viele Straftaten von jungen Männern. Aber das sind vielleicht schon alles Leute, die vorher in Erscheinung getreten sind.

Wir brauchen die Täter und die Täter müssen vor Gerichte. Wir sind ein Rechtsstaat, und die Aufklärung muss schnell passieren und daran muss gearbeitet werden. Unsere Gesellschaft muss sehen, dass etwas passiert und dass die Täter sofort bestraft werden.

Andreas Müller ist seit knapp 20 Jahren Jugendrichter im brandenburgischen Bernau bei Berlin. Müller sorgte für Aufsehen, weil er das Tragen von Springerstiefeln in seinem Gerichtssaal verboten hat und auch darüber hinaus hart durchgreift. Als Autor veröffentlichte er die Bücher "Schluss mit Sozialromantik!: Ein Jugendrichter zieht Bilanz" und "Kiffen und Kriminalität".

Das Interview führte Sabrina Pabst.