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Jung, AIDS-krank und allein gelassen

Elena Beier6. Juli 2004

In Russland verbreitet sich der AIDS-Virus mittlerweile schneller als auf dem afrikanischen Kontinent. Hilfsorganisationen stemmen sich gegen den Trend - und gegen die Ausgrenzung der Infizierten.

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Hilfsorganisationen kümmern sich um HIV-infizierte Kinder in RusslandBild: dpa

Die Lage ist katastrophal, die Prognosen düster: Heute sind nach offiziellen Angaben etwa 250.000 Personen in Russland HIV-positiv. Unabhängigen Schätzungen zufolge ist diese Zahl allerdings mindestens vier Mal so hoch. Sollte die Verbreitung des Virus im heutigen Tempo fortschreiten, so die Weltbank, werden die Therapiekosten für die AIDS-Kranken bereits 2020 das jährliche Budget des russischen Staates sprengen. Doch solche Hochrechnungen haben in Russland wenig Sinn: Kaum jemand bekommt hier überhaupt die teuren Medikamente. HIV-Positive und vor allem AIDS-Kranke werden vielfach in Krankenhäusern weggesperrt.

Obst, Gemüse und Betreuung

Besonders hart trifft es die Kleinsten: HIV-positive Mütter - meist drogensüchtig - lassen ihre Neugeborenen direkt auf der Entbindungsstation zurück. "Diese zurückgelassenen Babys werden in den Krankenhäusern verwahrt", erzählt Sascha Decker von der deutschen Kindernothilfe. "Sie bekommen drei Mal am Tag eine Flasche Milch, die sie alleine trinken müssen. Wenn sie saugen, ist es gut, und wenn nicht, kümmert sich auch keiner drum."

Im Krankenhaus Nr. 3 von St. Petersburg sieht es seit einigen Monaten allerdings anders aus. Dank der Spenden aus Deutschland - gesammelt von der Kindernothilfe - konnte das Krankenhauspersonal aufgestockt werden: Statt zwei kümmern sich nun fünf Krankenschwestern rund um die Uhr um 30 Säuglinge. Statt wie früher nur Milch bekommen die Babys nun auch vitaminreiche Obst- und Gemüsepürees. Die Mitarbeiter der Kindernothilfe konnten in St.-Petersburg einheimische Partner finden, um dieses Projekt in dem St. Petersburger Krankenhaus zu starten, in dem alle HIV-positiven Mütter der Stadt ihre Kinder zur Welt bringen.

Schneller raus aus der Klinik

Doch es gibt noch viel zu tun, betont Sascha Decker. In Russland ist es üblich, dass Kinder von HIV-positiven Müttern 18 Monate allein im Krankenhaus bleiben - eine Antikörperuntersuchung im früheren Alter ist kompliziert und teuer, da die Babys noch die Antikörper aus dem Blut der Mütter behalten. Zwar sind nur etwa zehn Prozent der Neugeborenen tatsächlich infiziert, doch alle müssen anderthalb Jahre warten.

Die ersten Lebensmonate, die für die Entwicklung der Kinder sehr wichtig sind, verstreichen also ohne emotionale Zuwendung und Förderung. Das muss dringend geändert werden, fordert Decker: "Die Kindernothilfe arbeitet jetzt mit ihren Partnern daran, dass die Kinder nicht erst nach 18 Monaten eine Antikörperuntersuchung bekommen, sondern nach sechs bis sieben Monaten. Das ist wichtig." Denn: Je früher feststeht, dass ein Kind nicht infiziert ist, umso eher kann es aus der Klinik entlassen werden.

Auch HIV-infizierte Kinder brauchen Liebe

Die auf den Entbindungsstationen zurückgelassenen Kinder kommen üblicherweise erst im Alter von drei Jahren ins Waisenheim. Die Kindernothilfe sucht jetzt nach Möglichkeiten, den Babys schon früher ein Zuhause zu geben. Manchmal gelingt es, Verwandte zu überzeugen, die Kinder aufzunehmen. Doch so viel Glück haben nur die Wenigsten. Daher sind auch Veränderungen auf den Kinderstationen dringend nötig, sagt Sascha Decker: "Das Pflegepersonal und die Ärzte müssen in die Lage versetzt werden, diese Kinder nicht wie Aussätzige zu betrachten und auch so zu behandeln, sondern als Menschen, die einen Wert haben und die vom Anfang ihres Lebens die gleichen Rechte haben wie alle anderen Kinder auch."