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Jung und obdachlos

Maik Meuser11. April 2008

Rund 20.000 junge Menschen leben in Deutschland ständig oder zeitweise auf der Straße, schätzt das Kinderhilfswerk Terre des Hommes. Viele zieht es in die Hauptstadt - etwa 2000 leben dort. Jan ist einer von ihnen.

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Jan, Straßenkind aus Berlin
Jan: "Dann muss ich halt in den Knast"Bild: DW / Maik Meuser
"Drugstop" in Berlin-Friedrichshain
"Drugstop" in Berlin-FriedrichshainBild: DW / Maik Meuser

"Es gibt Tage, da ist es einfach. Und es gibt Tage, da ist es richtig schwierig", sagt Jan. "Vor allem im Winter. Der macht einem immer zu schaffen. Da kann man sich noch so dick anziehen, das bleibt halt trotzdem irgendwie kalt." Jan ist 20, er wirkt müde. Das Mittagessen und die angenehme Wärme in der Werkstatt lassen ihn die Kälte auf der Straße für einen Moment vergessen. Er ist an diesem Nachmittag einer von etwa 30 Straßenkids im "Drugstop" in Friedrichshain, einer Anlaufstelle für junge Obdachlose. Wie lange er noch auf der Straße leben will, weiß er nicht. "Bis ich irgendwann keine Lust mehr habe. Aber das kann noch dauern, ich will noch was von der Welt sehen."

Solange Jan und die anderen auf der Straße leben, müssen Probleme gelöst werden. Hier in der Anlaufstelle bekommen sie nicht nur kostenlos etwas zu essen, sie bekommen auch Hilfe. Einer, der hilft, ist Marc Lehmann. "Überall, wo Ämter im Spiel sind, wo Formulare ausgefüllt werden müssen, sind wir meistens mit dabei." Denn viele Jugendliche haben nach Lehmanns Erfahrung Probleme mit dem Lesen und Schreiben oder einfach Angst vor den Behörden.

"Nichts zu verlieren"

Jugendamt, Polizei, Staatsanwaltschaft – die Liste ist lang und die Ängste der Jugendlichen sind groß. Jan ist schon oft beim Schwarzfahren erwischt worden. Die Strafen dafür kann er aber nicht zahlen. "Bei der Deutschen Bahn habe ich jetzt bestimmt schon 1500 Euro Schulden." Die Konsequenzen blendet er so lange aus wie möglich. "Wenn es soweit ist", sagt Jan, "dann muss ich halt in den Knast. Viel zu verlieren habe ich ja im Moment nicht." So wie er laufen viele obdachlose junge Menschen vor ihren Problemen weg. Perspektiven gibt es kaum. Sie sind zu oft enttäuscht worden. Erst von den Eltern, dann von Freunden und ganz oft auch von sich selbst.

Den Realschul-Abschluss hat Jan auch beim dritten Anlauf nicht geschafft. Zu viele Fehlzeiten. Sein Hauptproblem – die Drogen. Über die will er aber nicht sprechen. Ausnahme – der Alkohol. Jan trinkt, seit er 13 ist – mittlerweile regelmäßig. "Jeden Tag. Also man könnte schon sagen, dass ich ein Alkoholiker bin." Drogen spielen im Leben von Straßenkindern und Jugendlichen eine sehr große Rolle, sagt Lehman. 98 Prozent "seiner" Jugendlichen seien massiv drogenabhängig - also eigentlich alle.

Werkstatt-Leiter Marc Lehmann
Werkstatt-Leiter Marc LehmannBild: DW / Maik Meuser

Ein Tag ohne Drogen

Lehmann leitet die Werkstatt "Vielfarben" im "Drugstop". Hier können die Straßenkids T-Shirts bedrucken oder anders kreativ sein. Was sie bearbeiten, dürfen sie behalten. Dazu bekommen sie einen kleinen Lohn und vor allem die Perspektive, einen Tag lang ohne Drogen zu verbringen. Denn immer wieder sterben junge Obdachlose an Drogen. "Im Jahr haben wir in unserer Einrichtung im Schnitt zwischen drei und sechs Todesfällen", sagt Lehmann. "In diesem Jahr sind es bereits drei, was erschreckend ist, denn das Jahr ist noch relativ jung."

Jan weiß das. Er schiebt auch das weg. In seinem Seesack ist kein Platz für diese Bedenken. Kein Wunder – er ist voll. Denn darin ist alles, was Jan besitzt und damit zieht er weiter durch die Straßen von Berlin.