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Justizgroteske bei Wahl der ungarischen Roma-Selbsterwaltung

27. Januar 2003
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Budapest, 27.1.2003, PESTER LLOYD, deutsch

Die Wahl der Landesselbstverwaltung der Roma muss wiederholt werden. So entschied das Oberste Gericht – im Gegensatz zu seinen früheren Stellungnahmen und dem Standpunkt der Landeswahlkommission, die die Wahl vergangene Woche akzeptierte. Dahinter steht eine Rechtslage, die den Interessen der größten Minderheit des Landes abträglich ist.

Wie letzte Woche kurz gemeldet, hat die Wahl vergangene Woche die vor allem den Sozialisten nahestehende Demokratische Roma-Koalition gewonnen. Dies jedoch erst, nachdem die Vertreter der anderen großen Gruppe, des Lungo Drom, die vom Fidesz unterstützt wird, unter Protest den Saal verlassen hatten. Ihre Demonstration galt der vermuteten laxen Kontrolle der Wahlteilnehmer und einem Betrugsverdacht bei der Auszählung der Stimmen. Vertreter der Landeswahlkommission, die als Beobachter zugegen waren, haben jedoch die Klagen als unbegründet abgewiesen.

Lungo Drom wandte sich danach an das Oberste Gericht, das daraufhin die Wahl annullierte. Die Begründung lautete, dass nach dem Auszug des Lungo Drom die Versammlung nicht mehr beschlussfähig war, und es daher keine gültige Wahl geben konnte. So soll bis Mitte Februar eine neue Abstimmung über die 53 Mitglieder der Landesselbstverwaltung stattfinden. Die Geschehnisse zeigen vor allem die unmögliche Rechtslage bei den Wahlen der Minderheitenorgane. Laut Gesetz sind alle, (im Oktober des Vorjahres, anlässlich der Kommunalwahlen) lokal gewählten Minderheitenvertreter berechtigt, als Elektoren für ihre Landesselbstverwaltung abzustimmen. Während die Zahl der Wahlmänner bei den meisten (auch den Ungarndeutschen, die am 26. Januar wählen), überschaubar ist, gab es bei den Roma diesmal fast 4.600 Elektoren. Auch wenn bei weitem nicht alle angereist sind, war es bei der Menschenmenge kaum möglich, eine geordnete Wahl durchzuführen.

Umso weniger, als gewöhnlich ganztägig geführte heftige Debatten stattfinden, nach denen dann immer mehr Teilnehmer – die oft eine Heimreise von mehreren Hundert Kilometern vor sich haben – den Saal verlassen. Dies geschah nun ebenfalls, wenn auch unter Protest, doch wäre der Ausgang der Wahl, so sie geblieben wären, nicht anders gewesen. Laut Gesetz nämlich gebühren alle Mandate des Landesgremiums dem Sieger – und wie schon bei der Wahl des Vorsitzenden der Wahlversammlung klar geworden ist, hatten die Linken diesmal die Mehrheit.

Kaum überraschend: auch bei den früheren Wahlen war "zufällig" immer die Roma-Organisation der Sieger, die mit der amtierenden Regierung verbunden war. Florián Farkas, Führender des Lungo Drom, war schon vor der Wende Führer der Roma-Organisation. Er wurde dann später Leiter der Landesselbstverwaltung unter der Horn-Regierung ab 1995, dann ebenfalls ab 1999, dies als Verbündeter und Abgeordneter der Orbán-Regierung. Ein pikantes Detail in dieser Situation ist, dass das Oberste Gericht nach der ersten Wahl, 1995, denselben Einwand, dass die Wahlversammlung nicht beschlussfähig war, abgewiesen hatte.

Der Parlamentsbeauftragte für Minderheitenrechte, Jenö Kaltenbach, verwies auf die seit Jahren andauernden, ergebnislosen Bemühungen, diese unmögliche Rechtslage zu ändern. Diese Regelung, dass alle Mandate an den Sieger gehen, sei deshalb untragbar, weil so die Unterlegenen immer wieder die Legitimation der Sieger bezweifeln und dagegen vorgehen können. Doch alle Parlamentsparteien hatten bisher die Vorschläge zur Novellierung des Gesetzes abgelehnt. "Mit etwas Zynismus könnte ich sagen: das Gesetz ist bewusst so geschaffen, um die gesellschaftliche Integration der Roma zu verhindern" – so Kaltenbach zur Wochenzeitung HVG.

Auf dem Papier dürfte in der Wahlwiederholung die linke Koalition siegen, in der Praxis aber dürfte das eher wenig für die Minderheit versprechen. Das Bündnis ist offenbar mit Hilfe der Regierungsparteien zusammengekleistert worden und birgt viele gegensätzlich wirkende persönliche Ambitionen, dürfte also langfristig nicht unbedingt haltbar sein. Farkas, als Oppositionsabgeordneter im Parlament, wird mit seiner Gruppe leicht die Roma-Konkurrenten und die Regierung kritisieren können, die natürlich mittelfristig auch nicht in der Lage ist, die ziemlich katastrophale Lage der großen Mehrheit der 700 000 - 800 000 Roma wesentlich zu verbessern. (fp)