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Köhler entscheidet über Neuwahlen

Daphne Antachopoulos21. Juli 2005

Es ist soweit: Köhler gibt am Donnerstagabend seine Entscheidung bekannt, ob er den Bundestag auflöst und damit den Weg für Neuwahlen frei machen will. Damit sind noch nicht alle Hürden ausgeräumt.

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Neuwahlen oder nicht? Köhler muss sich entscheidenBild: AP

Bundespräsident Horst Köhler verkündet noch heute Abend seine Entscheidung zur Auflösung des Bundestags. Nach Angaben des Bundespräsidialamtes vom Donnerstag (21.7.2005) wird er sie um 20.15 Uhr in einer Fernsehansprache erläutern. Zuvor hatte bereits ein Regierungssprecher bestätigt, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder von Hannover nach Berlin zurückkehrt, angeblich um sich für eine Stellungnahme im Kanzleramt bereitzuhalten.

Die von der Verfassung vorgegebene Frist für Köhler wäre am Freitag ausgelaufen. Schröder will mit der am 1. Juli im Bundestag verlorenen Vertrauensabstimmung eine vorzeitige Bundestagswahl herbeiführen. Voraussetzung ist, dass der Bundespräsident diesem Begehren zustimmt. Er kann allerdings auch eine Auflösung des Bundestages ablehnen.

Vertrauensfrage Bundestag Werner Schulz
Werner Schulz während der Dbatte über die Vertrauensfrage im BundestagBild: AP

Dies wäre zum Beispiel ganz im Sinne von Werner Schulz, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. "Was hier abläuft, ist ein inszeniertes, ein absurdes Geschehen. Hier läuft eine fingierte, oder wie die Juristen sagen, eine unechte Vertrauensfrage. Schon der erste Satz Ihres Antrages, Herr Bundeskanzler, ist unwahr. Sie wollen doch gar nicht, dass man Ihnen das Vertrauen ausspricht, Sie wollen die Abstimmung verlieren", sagte Werner Schulz, am 1. Juli im deutschen Bundestag, als Bundeskanzler Gerhard Schröder die so genannte Vertrauensfrage stellte. Schröder hatte die 601 Abgeordneten gebeten, ihm das Vertrauen auszusprechen - jedenfalls formulierte er es so.

Knappe Mehrheit

In Artikel 68 der Verfassung ist das Verfahren so beschrieben: Bekommt der Bundeskanzler das erbetene Vertrauen nicht, kann er beim Bundespräsidenten den Antrag stellen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen festzusetzen. Der Bundeskanzler soll auf diese Weise die Mehrheit der Abgeordneten dazu bringen, sich zu ihm und zu seiner Regierungslinie zu bekennen. Sollten die Mehrheiten im Bundestag aber schwanken oder wegbrechen, muss dem Bundeskanzler die Möglichkeit zu Neuwahlen freigemacht werden. De facto aber hat Bundeskanzler Schröder derzeit eine knappe Mehrheit von 304 der 601 Abgeordneten im Bundestag. Trotzdem sieht er sich der Kritik seiner Abgeordneten ausgesetzt, die vor allem die angestoßenen Sozialreformen der Agenda 2010 nicht voll mittragen.

Vertrauensfrage Bundestag Gerhard Schröder
Bundeskanzler Gerhard Schröder während seiner Begründung der Vertrauensfrage im Bundestag in Berlin am Freitag, 1. Juli 2005.Bild: AP

So begründete er seine Vertrauensfrage an diesem 1. Juli: "Eine Bewertung der politischen Kräfteverhältnisse vor und nach der Entscheidung, Neuwahlen anzustreben, muss - dessen bin ich ganz sicher - dazu führen, dass ich unter den aktuellen Bedingungen nicht auf das notwendige, auf stetiges Vertrauen im Sinn des Artikel 68 Grundgesetz rechnen kann."

Klage vor dem Verfassungsgericht

Die Mehrheit der Abgeordneten - 444 von 595 anwesenden - entzogen Schröder das Vertrauen oder enthielten sich. Knapp die Hälfte waren Abgeordnete der Regierungskoalition. Zuvor hatte der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering seinen Parteigenossen die Enthaltung vorgeschlagen.

Zweiter Senat des Bundesverfassungsgerichtes Bundesverfassungsgericht
Vielleicht muss das Bundesverfassungsgericht entscheidenBild: dpa

Sollte er Köhler nun den Bundestag auflösen, hat der Abgeordnete Werner Schulz bereits einen Gang vor das Bundesverfassungsgericht angekündigt, seine Kollegin von der SPD, Jelena Hoffman, will ebenfalls klagen. Ihr Argument: Es habe eben keine schwankenden Mehrheiten gegeben. Vielmehr habe der Bundeskanzler seine Abgeordneten explizit dazu aufgefordert, ihm das Vertrauen bewusst zu entziehen, um zu Neuwahlen zu kommen. In diesem Fall hieße das Verfahren "unechte" oder "fingierte" Vertrauensfrage.

"Unechte" Vertrauensfrage

Ende 1982 hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl auch eine solche "unechte" Vertrauensfrage gestellt und - wie er es wollte - verloren. Auch damals klagten Abgeordnete vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Gericht ließ die unechte Vertrauensfrage gelten und erlaubte Neuwahlen. Es tat sich allerdings mit der Entscheidung sehr schwer. Daher erklärte es in seiner Urteilsbegründung sehr genau, wann die Vertrauensfrage der Verfassung entspricht und wann nicht.

Legitime Aufösung?

Unter Verfassungsrechtlern ist es derzeit sehr umstritten, ob die aktuelle Vertrauensfrage von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem Grundgesetz im Einklang steht oder nicht. Manche halten sie für vollkommen legitim, wie der ehemalige Verfassungsrichter Gottfried Mahrenholz: "Schröder kann sich nicht einfach darauf verlassen, dass die SPD und die Grünen mit diesen drei Stimmen Mehrheit voll seinen Kurs mittragen, weil die nordrhein-westfälische Wahl gezeigt hat, dass dieser Kurs von Schröder die Mehrheit in der Bevölkerung nicht hat."

Andere stellen streng auf das Gesetz ab, wie der Staatsrechtler Christian Pestalozza: Der Artikel 68, nach dem Schröder den Antrag gestellt habe, setze voraus, dass die Kräfteverhältnisse im Bundestag zu einer Zerrüttung zwischen dem Parlament, der Parlamentsmehrheit und der Regierung, speziell dem Bundeskanzler, geführt hätten, erklärt der Jurist. "Und dann soll durch eine Vertrauensfrage eben Klarheit geschaffen werden: Wollt ihr euch hinderlich in den Weg stellen, auch für die Zukunft, oder ist der Krach jetzt vorbei, können wir weitermachen? Diese Situation ist nicht gegeben und es ist auch kein Grund vorgetragen worden, dafür dass sie etwa gegeben sei", sagt Pestalozza. Eben darauf werden sich wohl auch die beiden Abgeordneten Schulz und Hoffmann berufen, wenn sie einen so genannten Organstreit gegen die Entscheidung des Bundespräsidenten für Neuwahlen anstrengen.

Genau dieser Status könnte aber durch ein vorzeitiges Beenden der Legislaturperiode verletzt sein. Er ergibt sich aus Artikel 38 und Artikel 39 der deutschen Verfassung. Durch diesen Status genießen die Volksvertreter unter anderem das Recht auf Immunität sowie auch einen Anspruch auf ihre Abgeordneten-Diät - und zwar für die vollen vier Jahre der Legislaturperiode.