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"Dexit" für Deutschland?

Dagmar Breitenbach/ cb1. Juli 2016

Nach dem Brexit werden auch in anderen EU-Staaten Rufe nach einem Referendum laut. In Deutschland wäre eine solche Volksabstimmung ohne tiefgreifende Veränderungen aber gar nicht möglich.

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Gartenzwerg mit Deutschlandflagge. (Foto: imago/imagebroker)
Bild: imago/imagebroker

Seitdem die Briten für einen Austritt aus der EU gestimmt haben, werden die Rufe nach mehr Bürgerbeteiligung auch in anderen EU-Staaten lauter. In einer Umfrage zum Thema Brexit wollten 45 Prozent der befragten 6000 Europäer, dass ihr Land ebenfalls ein Referendum über die Mitgliedschaft in der EU abhält.

Rechte Politiker in Frankreich und Dänemark fordern EU-Referenden in ihren Ländern. Deutschlands rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) kündigte an, sich für eine Volksabstimmung einzusetzen, sollte sie es bei den Wahlen 2017 in den Bundestag schaffen. "Nächstes Jahr sitzt die AfD im Deutschen Bundestag. Der DExit wird ganz oben auf unserer Agenda stehen!", so Franz Wiese, AfD-Abgeordneter in Brandenburg, in einer Pressemitteilung.

Die Linke ist ebenfalls für einen Neustart in der EU und fordert eine Diskussion und eine Abstimmung über die "europäische Zukunft". Die Parteivorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, will die Deutschen ebenfalls über Europa abstimmen lassen - allerdings nicht gleich über einen Austritt des Landes aus der EU, sondern über bestimmte Verträge. Wagenknecht sagte der Zeitung "Die Welt", dass ihre Partei Europa verändern wolle, um einen Zerfall zu verhindern. "Ich halte es für richtig, der Bevölkerung die Chance zu geben, über wichtige Fragen wie TTIP oder europäische Verträge abzustimmen", so Wagenknecht.

Direkte Demokratie bisher nur auf Landesebene

Laut Grundgesetz sind bundesweite, bindende Volksabstimmungen in Deutschland allerdings nicht erlaubt. Deutsche können nur dann über einen möglichen Austritt aus der EU abstimmen, wenn die Verfassung geändert würde, erklärt der Heidelberger Verfassungsjurist Uwe Lipinski im Interview mit der DW. "Direkte Demokratie" auf bundesweiter Ebene müsste erst eingeführt werden - dann könnte die Regierung oder das Parlament ein solches Referendum abhalten.

Grönland Ilulissat - verschneite Häuser. (Foto: DW/ Malcolm Brabant)
1982 stimmten die zu Dänemark gehörenden Grönländer für den Austritt ihres Landesteils aus der EGBild: DW/M. Brabant

In den 16 Bundesländern gelten verschiedene Regelungen zu Volksabstimmungen. Auf Bundesebene ist ein Referendum nur in zwei sehr speziellen Fällen vorgesehen. Wenn es eine neue Verfassung geben soll oder eine Neugliederung der Bundesländer im Raum steht, muss das deutsche Volk darüber abstimmen.

Theodor Heuss, Bundespräsident von 1949 bis 1959, nannte die direkte Demokratie 1948 eine "Prämie für jeden Demagogen". Das war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Krieges sei die Zeit gekommen, über eine Verfassungsänderung nachzudenken, sagt Verfassungsjurist Lipinski. Er sieht die Schweiz und die Volksentscheide in den Bundesländern als positive Beispiele.

Die Organisation "Mehr Demokratie" fordert seit Langem, dass Referenden in Deutschland auch auf nationaler Ebene durchgeführt werden sollten. Auf ihrer Website beklagt die Gruppe, dass Regierungen mit ihrer Politik Bürger einfach vor vollendete Tatsachen stellen würden. Beschlüsse kämen von oben und würden dann vom Parlament nur noch "abgenickt".

Europa-freundliche Deutsche

Eine Forsa Umfrage ergab wenige Tage vor dem Referendum in Großbritannien, dass die Deutschen über einen EU-Austritt vollkommen anders entschieden hätten als die Briten. 79 Prozent hätten dagegen gestimmt, die EU zu verlassen. Nur 17 Prozent der Befragten waren für einen Austritt - und 60 Prozent dieser Gruppe waren AfD-Unterstützer.

Als 2012 die Eurokrise Europa in Atem hielt, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, die Deutschen müssten vermutlich bald über eine neue Verfassung abstimmen. Er sah voraus, dass das Grundgesetz an seine Grenzen stoße, würde Deutschland immer mehr Entscheidungen an die EU abgeben. Lipinski sieht diesen Zeitpunkt erreicht.