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Kunst

Ai Weiwei ist 60

Elizabeth Grenier | Suzanne Cords
27. August 2017

Im Reich der Mitte verfolgt, im Westen wie ein Superstar gefeiert: Der chinesische Konzeptkünstler sorgt mit seinen politisch motivierten Installationen immer wieder für Aufsehen. Jetzt feiert Ai Weiwei seinen 60.

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Ai Weiwei
Bild: Reuters/P. Kopczynski

Alles, was er anpackt, ist groß und plakativ. Er will mit seiner Kunst nicht kleckern, sondern klotzen. Vielen gilt Ai Weiwei als "soziales Gewissen", weil er in seinem Werk offen Regimekritik übt, Korruption und Ungerechtigkeit anprangert. Zurzeit treibt ihn das Schicksal der Flüchtlinge um, die zu Hunderttausenden nach Europa strömen. Er hat sogar einen Dokumentarfilm darüber gedreht: "Human Flow", der beim diesjährigen Filmfestival von Venedig im Rennen um den Goldenen Löwen Premiere am Lido feiert.

Ein Jahr lang ist der Künstler rund um den Globus gereist, hat in 23 Ländern mit Menschen gesprochen, die wegen Hunger und Naturkatastrophen, Krieg und Gewalt ihre Heimat verlassen mussten. In den vergangenen Jahren seien Tausende Menschen im Mittelmeer umgekommen, sagt er in der DW-Dokumentation "Ai Weiwei Drifting", die seine Arbeit ein Jahr lang filmisch begleitete. Es sei sowohl eine Tragödie als auch ein Verbrechen, was sich da abspiele. "Ich wollte es publik machen und die Menschen in Deutschland und Europa damit konfrontieren, so dass sie es direkt vor Augen haben und nicht nur im Fernsehen sehen."
Flucht ist  für Ai Weiwei ein sehr persönliches Thema. Er weiß aus eigener, bitterer Erfahrung, was Menschen antreibt, aus ihrer Heimat zu fliehen. Wegen seines politischen Engagements war er in China immer wieder Repressalien ausgesetzt, er wurde inhaftiert, geschlagen und stand unter Hausarrest.

Staatliche Repressalien

Rettungswesten an den Säulen des Konzerthauses Berlin
Ai Weiwei will mit seiner Installation von Rettungswesten an das Schicksal ertrunkener Flüchtlinge erinnern Bild: picture alliance/dpa/M. Kappeler

Sein ganzes Leben litt Ai Weiwei unter den Auswirkungen der totalitären Regierung Chinas. Sein Vater, der berühmte Dichter Ai Qing, der einmal Mao Zedong nahe gestanden hatte, wurde von dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei 1958 fallengelassen. Die Familie Ai wurde in ein Arbeitslager geschickt, wo sie in einer Erdgrube hausen musste. Damals war Ai Weiwei, der am 28. August 1957 in Peking zu Welt kam, erst ein Jahr alt. Während er aufwuchs, wurde er Zeuge der Demütigung seines Vaters, der gezwungen wurde, die Toilette des Dorfes zu reinigen - eine "Umerziehungsmaßnahme". Mit dem Tod von Mao Zedong 1976 kühlte das politische Klima ab, und die Familie Ai durfte nach Peking zurückkehren. 

Ai Weiwei schrieb sich im Alter von 21 Jahren an der Filmakademie von Peking ein. Er verlor jedoch das Interesse an seinem Studium, gründete die radikale Künstlergruppe "Stars", unter anderem hängte er regimekritische Plakate an eine Mauer, die als "Mauer der Demokratie" bekannt wurde. Als der neue chinesische Staatschef Deng Xiaoping beschloss, gegen die Demokratiebewegung vorzugehen und deren prominentesten Vertreter, Wei Jingsheng, 1979 verhaften ließ, erkannte der junge Künstler schnell, dass er das Land verlassen sollte.

Ai Weiwei als Kind
Ai Weiwei 1958 - schon als Kind in der Verbannung Bild: Studio Ai Weiwei

Vom Straßenmaler zum Biennale-Künstler

1981 zog Ai Weiwei nach New York, wo er sich an der Parsons School of Design einschrieb. Aber das quirlige kulturelle Leben auf den Straßen und in den Galerien des East Village zog ihn mehr in seinen Bann als die Kurse in Kunstgeschichte. Nach kurzer Zeit brach er sein Studium wieder ab. Er freundete sich mit dem Beat-Poeten Allen Ginsberg an, und entdeckte die Werke des Künstlers Marcel Duchamps: "Durch Duchamp erkannte ich, dass Künstler zu sein mehr mit einem gewissen Lebensstil und einer Einstellung zu tun hat, als mit der Herstellung von Produkten", hat Ai einmal geschrieben.

Ai Weiwei geht mit jungen Leuten eine Straße entlang
Ai Weiwei 1994 mit Künstlerfreunden in Peking Bild: Studio Ai Weiwei

1993 kehrte Ai Weiwei zu seiner Familie nach China zurück. Von diesem Zeitpunkt an wurde sein künstlerisches Schaffen immer politischer. Uli Sigg, ein begeisterter Sammler von chinesischer Kunst und ehemaliger Botschafter der Schweiz in Peking, machte ihn international bekannt. Sigg stellte Ai den großen Kuratoren der Kunstwelt vor. 1999 wurde Ai Weiwei auf die Biennale von Venedig eingeladen. Im chinesischen Shanghai organisierte er mit Avantgardekünstlern 2000 die Ausstellung "Fuck Off", um gegen die parallel offizielle 3. Shanghai Biennale zu protestieren: "Fuck Off" wurde vor dem offiziellen Ende von der Polizei beendet.

Das Märchen der 1001 Chinesen

Ai hat zwar nie Architektur studiert, trotzdem leitete er nach der Gestaltung seines Studiokomplexes in Peking mit seiner Firma FAKE-Design eines der wichtigsten Architekturbüros in China. Er wurde sogar als Designberater für den Bau des berühmten Vogelnest-Stadions für die Olympischen Spiele 2008 in Peking angefragt - wurde dann allerdings zum Kritiker der Spiele.
Auch als Künstler hat er die Grenzen erweitert. Als er 2007 zur Weltkunstschau documenta 12 nach Kassel eingeladen wurde, huldigte er der Heimatstadt der Gebrüder Grimm mit dem Projekt "Fairytale" , für das er 1001 Chinesen nach Kassel holen ließ. Nachts schliefen sie in einem Schlafsaal, tagsüber erkundeten sie die Stadt und schilderten ihre Eindrücke als Touristen in Kassel.

Besucher gehen durch die Ausstellung "Ai Weiwei. So sorry"
Ai Weiweis Installationen "Rooted upon" und "Fairytale" in der Münchener Ausstellung "Ai Weiwei. So sorry"Bild: picture-alliance/dpa/T. Hase

 @aiww auf Twitter und Instagram

Vor dem Jahr 2005 hatte Ai Weiwei nie einen Computer benutzt. Aber dann entwickelte er sich zu einem virtuosen Social-Media-Nutzer, der sich und seinen Alltag digital dokumentierte. In seinen Blogs, die immer wieder zensiert und verboten wurden, schrieb er über die chinesischen Behörden.

2009 wurde Ai Weiwei verhaftet und von der Polizei geschlagen, bis er Gehirnblutungen bekam. Er hatte die Regierung provoziert, indem er eine gründliche Untersuchung über die Opfer eines tödlichen Erdbebens durch Pfusch am Bau in Sezuan startete. Er kam in München ins Krankenhaus und arbeitete dort weiter an seiner Ausstellung "So Sorry" im Haus der Kunst.

Unter Arrest

Zurück in Peking kam er 2011 für 81 Tage in Haft. Nach seiner Freilassung stand Ai Weiwei unter Hausarrest, sein Pass wurde konfisziert, die nächsten vier Jahre durfte er das Land nicht verlassen.

Aus Deutschland erfuhr der Künstler und Dissident damals große Unterstützung. Galeriebesitzer und Chineexperte Alexander Ochs sowie eine Gruppe von Berliner Freunden starteten die Kampagne: "Reisefreiheit für Ai Weiwei," die von Tausenden von Menschen in Deutschland unterzeichnet wurde. Später folgte eine zweite Initiative: "Pass für Ai Weiwei."

Berlin liebt Ai Weiwei

Ai Weiwei mit Reisepass
Endlich hat er seinen Pass wieder Bild: Instagram/Ai Weiwei

Als der Künstler 2015 endlich wieder reisen darf, geht er nach Berlin und nimmt dort eine Gastprofessor an der Universität der Künste an. Im Kulturzentrum Pfefferberg hat er schon seit Jahren ein riesiges Studio neben seinem dänischen Künstlerfreund Olafur Eliasson. Die deutsche Hauptstadt hat es ihm angetan: "Berlin, I Love You" heißt einer seiner Kurzfilme. Gewidmet ist er seinem damals sechsjährigen Sohn Ai Lao, den der Künstler zusammen mit seiner Frau Lu Qing schon ein Jahr zuvor aus Angst um ihre Sicherheit nach Deutschland geschickt hatte. Die Ode an Berlin übertrug er via Skype aus Berlin. 

Berühmt, provokant und polarisierend

Seit Ai Weiwei in Deutschland lebt, ist er gefragt wie nie. Das britische Kunstmagazin "ArtReview" führte ihn 2015 in seinem jährlichen Ranking als den einflussreichsten Menschen im Kunstbetrieb weltweit nach dem Schweizer Galeristenehepaar Wirth.

Seine Arbeiten polarisieren, denn der Grat zwischen Ai Weiweis Kunst und Selbstinszenierung ist häufig schmal. Als er das Bild des ertrunkenen syrischen Flüchtlingsjungen Aylan am Strand von Lesbos nachstellte, war das für viele der Gipfel der Geschmacklosigkeit. Ai Weiwei ficht solche Kritik nicht an. Er will unbequem bleiben und politisch aufschrecken. "Ich arbeite für Menschen, nicht für westliche oder chinesische Menschen", lautet sein Credo. Am 28. August wird der Künstler 60 Jahre alt.

Suzanne Cords Weltenbummlerin mit einem Herz für die Kultur