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Kürzeste Sitzung des ungarischen Parlaments aller Zeiten

8. Dezember 2003

– Nur fünf Abgeordnete hatten den Weg in den Sitzungssaal gefunden, die anderen tranken lieber Kaffee

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Budapest, 8.12.2003, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Bettina Nemes

Nach fast zehn Minuten war die Parlamentssitzung am vergangenen Mittwoch (3.12.) bereits vorbei, ein beispielloser Vorfall im ungarischen politischen Leben nach der Wende. Die wohl kürzeste Parlamentssitzung war anscheinend wegen Desinteresses abgebrochen worden, denn nur fünf Abgeordnete hatten den Weg in den Sitzungssaal gefunden. 381 glänzten durch Abwesenheit.

Auf der Tagesordnung standen drei Gesetzesentwürfe. Es sollte über den Bau von Schnellstraßen, die Zusammenarbeit mit der EU bei der Strafverfolgung sowie über die Wirtschaftskammern diskutiert und abgestimmt werden. Außer fünf Abgeordneten sowie Wirtschafts- und Verkehrsminister István Csillag kam jedoch kein weiterer Abgeordneter in den Sitzungssaal. Einige, die zumindest noch den Weg ins Parlament gefunden hatten, tranken jedoch lieber im Büffet Kaffee, als in den Sitzungssaal zu gehen. Dabei hatten einige von ihnen angekündigt, sich sogar durch Reden aktiv an der Sitzung zu beteiligen. Sie waren dann sichtlich überrascht, dass die Parlamentssitzung so schnell zu Ende war.

Parlamentspräsidentin Katalin Szili zufolge sei die Sitzung trotz ihrer Kürze und mangelnder Zuhörer ordnungsgemäß verlaufen. Sitzungsleiter Ferenc Wekler war rechtmäßig vorgegangen, als er mangels Debatten die Parlamentssitzung nach zehn Minuten für geschlossen erklärte. Der Parlamentsvizepräsident unterstrich im Anschluss, dass die Voraussetzungen für Debatten durchaus gegeben waren. Er machte aber auch aus seinem Ärger keinen Hehl: Obwohl niemand ihr Fernbleiben ahndet und es keine verbindliche Vorgabe für die Zahl der zu besuchenden Sitzungen gäbe, hätten die Abgeordneten dennoch die Pflicht, an der Arbeit des Parlamentes teilzunehmen. Immerhin möchte Parlamentspräsidentin Katalin Szili nach dem Vorfall mit den Parlamentsfraktionen Verhandlungen aufnehmen und die Möglichkeit prüfen, ob die Hausordnung nicht geändert werden solle. Es könnte beispielsweise die Mindestzahl von anwesenden Abgeordneten bei Sitzungen festgeschrieben werden.

Als eines der abgeschlossenen Themen, die vom Parlament nicht mehr verhandelt werden, sei nun das Gesetz über den Bau der Schnellstraßen anzusehen. Beobachter hielten es für mehr als verwunderlich, dass es die Opposition versäumt habe, Wirtschafts- und Verkehrsminister István Csillag, der gerade wegen des Gesetzentwurfes über Schnellstraßen an der Sitzung teilgenommen hatte, in ein Kreuzfeuer von Fragen zu verwickeln und ihn an die Wahlversprechen der Regierung zu erinnern. Zur Erinnerung: Die allgemeinen Debatten zu diesem Gesetz bei den vorangegangenen Sitzen hatten über zehn Stunden in Anspruch genommen.

Der sozialistische Abgeordnete István Göndör führte als Entschuldigung für das Fernbleiben der Abgeordneten an, dass zur gleichen Zeit diverse Ausschuss-Sitzungen stattfanden, bei denen mehr als tausend Änderungsvorschläge zum Staatshaushalt 2004 verhandelt wurden. Immerhin tagten von den 25 ständigen parlamentarischen Ausschüssen an diesem Tag 13. Fidesz (Bund Junger Demokraten – MD)-Sprecher, János Halász, bezeichnete die Organisation der Parlamentssitzungen als verantwortungs- und gedankenlos. Den Vorfall vom Mittwoch bezeichnete er einfach nur als "traurig". (...) SZDSZ (Bund Freier Demokraten – MD)-Vorsitzender Gábor Kuncze kommentierte die zehnminütige Sitzung schlicht und einfach als kollektiven Fehler, der sich nicht wiederholen darf. (fp)