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Kairos heikle Demokratie-Übungen

Peter Philipp8. Dezember 2005

Die dritte und letzte Runde der ägyptischen Parlamentswahlen ist vorüber. Die Muslimbrüder haben so viele Sitze wie nie zuvor errungen. Ob dies der "Demokratie" in Ägypten hilft, ist offen.

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Die Parlamentswahlen in Ägypten waren von Gewalt überschattetBild: AP

Das hatte Washington sich bestimmt anders vorgestellt: Immer wieder hatte es Präsident Mubarak bedrängt, er solle doch ein wenig mehr Demokratie in seinem Land einführen. Wenn es schon im Irak nicht gelinge, so wolle man doch wenigstens anderswo in der arabischen Welt demonstrieren, dass der Weg zu demokratischen Verhältnissen führe. Der "Ra’is" war denn auch folgsam und ließ bei den Präsidentschaftswahlen vor einigen Monaten zum ersten Mal Gegenkandidaten zu – darunter auch den von den USA ins Spiel gebrachten Bürgerrechtler Ayman Nour. Und bei den Parlamentswahlen, die jetzt mit ihrer dritten Runde zu Ende gingen, wurde zunächst auch der Anschein gewahrt und der Eindruck erweckt, zum ersten Mal könnten dies freie Wahlen sein.

Blutiger Wahlgang

Die Bilanz zum Ende der Wahl sieht ernüchternd und deprimierend aus: Die Regierungspartei NDP beherrscht auch weiterhin das 454-sitzige Parlament (gewählt werden 444, zehn weitere Abgeordnete werden vom Präsidenten ernannt), weit über Tausend Anhänger der islamistischen Muslimbrüder wurden schon zu Beginn der Wahlen verhaftet, andere bei Unruhen während der Wahlen. Es gab Tote und Verletzte, Oppositionspolitiker Nour wird der Prozess gemacht und so genannte unabhängige Kandidaten der seit 51 Jahren offiziell verbotenen Muslimbruderschaft haben vermutlich 87 Mandate errungen.

Was wäre wenn?

"Der Islam ist die Antwort", hieß es während des Wahlkampfes auf Spruchbändern in den Städten des Landes. Und Sympathisanten eines politischen Islamismus vom Schlage der Muslimbrüder sind überzeugt, dass sie heute die stärkste politische Kraft im Lande darstellen würden, wenn ihre Kandidaten nicht nur in einem Viertel der Wahlkreise angetreten wären und wenn die Regierungspartei nicht so skrupellos die Machtinstrumente des Staates gegen sie eingesetzt hätte.

Motive der Wähler

Unter den Wählern selbst der islamistischen Kandidaten ist man jedoch nicht immer an einer Politisierung der Religion interessiert. Sondern man verspricht sich von den Islamisten eine ehrlichere, menschlichere und vor allem weniger korrupte Haltung. Die meisten dieser Kandidaten haben sich bereits in ihren Wohnorten und vierteln einem Namen gemacht, weil sie den Armen geholfen haben und in vielerlei Weise soziale Arbeit leisten, wo Regierungsstellen kläglich versagen und die Armen alleine lassen.

Muslimbrüder erbarmungslos verfolgt

Wer die Islamisten gewählt hat, dachte deswegen wohl in erster Linie an solch positive Dinge und er verstand die Wahl auch als Protest gegen die Regierungspolitik. Viel weniger spielte dabei die Ideologie mit, die 1928 zur Gründung der Muslimbrüder durch Hassan al Banna führte: Diese Bewegung, eine radikale Verfechterin eines neuen Kalifats, fand bald ihre Ableger in anderen Teilen der arabischen Welt, sie stieß aber auch überall auf Ablehnung und Widerstand durch die dortigen Machthaber. Nicht zu Unrecht, denn diese wurden (und werden) von den Muslimbrüdern als illegitime Herrscher betrachtet, die es zu beseitigen gilt. In den meisten Ländern wurden die Führer der Muslimbruderschaft deswegen auch erbarmungslos verfolgt. Al Banna wurde umgebracht, die wichtigsten Nachfolger hingerichtet, andere trieb es ins Exil und sie schlossen sich dort manchmal noch radikaleren Gruppen an. Wie Ayman al Zawahiri, der Ideologe Osama Bin Ladens.

Misstrauen gegenüber Moslembrüdern

Radikalität liege ihnen fern, beteuern allerdings die islamistischen Kandidaten und neuen Abgeordneten. Sie sprechen von Demokratie, Machtwechsel und politischen Mandaten. Säkulare und dem Establishment nahe Stehende trauen diesen Worten jedoch nicht. Sie befürchten, dass eine weitere Legalisierung solcher Strömungen Ägypten in ein äußerst gefährliches Fahrwasser bringen dürfte. Nicht, weil jetzt schon von Alkohol-Verbot und Distanz zu Touristen gesprochen wird, sondern auch, weil ein Erstarken islamistischer Kräfte Konfrontation mit den Kopten bedeuten muss – der christlichen Minderheit, die immerhin etwa ein Siebtel der Bevölkerung ausmacht.

Beispiel Jordanien

Präsident Mubarak kann solches nicht gelegen sein. Seit Jahren warnte er besonders die Europäer, islamistische Tendenzen zu verharmlosen. Und den USA kann solch eine Entwicklung schon gar nicht recht sein: Sie hatten sich unter Demokratisierung sicher etwas anderes vorgestellt.

Nur Besonnene verweisen jetzt auf das Beispiel Jordanien: Dort ließ der verstorbene König Hussein einst die Islamisten bei den Wahlen zu und sie errangen beachtliche Erfolge. Während der Parlamentsarbeit aber zeigten sie, dass sie es weniger als andere verstanden, ihre neue politische Verantwortung umzusetzen und ihre Wähler zufrieden zu stellen. In den folgenden Wahlen verloren sie immer mehr an Boden. Wenn nicht radikale Maßnahmen der Regierung nun die ägyptischen Islamisten zu Märtyrern machen, dürfte ihnen ein ähnliches Schicksal beschieden sein.