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Kalkulierbarer "Kollateralschaden"

2. April 2003

Erstmals haben US-Militärs am Dienstag (1.4.2003) zivile irakische Todesopfer des Krieges eingeräumt. Es dürften mehr werden, je weiter die alliierten Truppen nach Bagdad vorrücken, meint Peter Philipp.

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Wenn irakische Angaben zutreffen, dann sind in den ersten zwei Wochen des Irak-Krieges rund 600 Zivilisten umgekommen. Und jeden Tag werden es mehr, wie bei dem Zwischenfall von Najaf, bei dem US-Soldaten an einer Straßensperre einen Kleinbus beschossen und dabei zehn Frauen und Kinder töteten.

Die da umkamen und weiterhin umkommen, das sind eben jene, die George W. Bush angeblich befreien will von Diktatur und Unterdrückung. Es wäre aber zynisch, Washington zu unterstellen, zahl- und ziellos gegen Zivilisten vorzugehen. Nur: Man hätte im Pentagon und im Weißen Haus den Mund vielleicht nicht allzu voll nehmen und den Krieg verharmlosen sollen. Es hätte – gerade dort – bekannt sein müssen, dass solch ein Krieg natürlich unschuldige Menschen treffen wird und man hätte auch die eigenen Truppen darauf einstellen sollen, dass der Weg nach Bagdad kein Osterspaziergang werden würde.

Wenig gelernt

Gänzlich unvorbereitet war man allerdings nicht. So hatten die USA im zurückliegenden Jahr vergeblich versucht, die "Scheichs" des Südirak mit Millionenbeträgen zum Überlaufen zu bewegen, um die dortigen Zivilisten vor Kriegshandlungen zu schützen. Und sie hatten sich eingehend bei den Israelis informiert, welche Erfahrungen diese in besetzten Gebieten und beim Umgang mit Zivilisten dort gemacht haben. Aber offensichtlich hat man nicht die richtige Lehre daraus gezogen.

"Erst schießen, dann fragen"

Denn was bei Najaf passierte, das entsprach ziemlich genau dem Szenario unzähliger Zwischenfälle in den Palästinensergebieten und zuvor im Libanon. Junge und für solche Situationen unerfahrene Soldaten müssen innerhalb weniger Sekunden entscheiden, ob sie - etwa durch ein nicht haltendes Auto - bedroht sind oder nicht. Immer wieder gehen sie dabei "auf Nummer Sicher": Zuerst schießen, dann fragen.
Solche Situationen dürften sich im Irak immer häufiger ereignen, je näher die alliierten Truppen auf Bagdad vorrücken, erst recht, wenn sie in die Fünfmillionenstadt eindringen. Dann müssen sie den Feind überall vermuten: Auf den Dächern, in den Hinterhöfen, auf den geschnitzten Holzbalkonen oder im nächsten Taxi.

Unnütze Beschwerden

Es nützt wenig, dass Washington sich beschwert, Bagdad sei daran selbst schuld, weil es Selbstmordanschläge angedroht habe und weil immer wieder Soldaten als Zivilisten verkleidet waren oder Zivilisten als Deckung benützten. Solch ein Verhalten entspricht nicht der Genfer Konvention. Stimmt. Aber wenn es dem Bagdader Regime nützt, dann wird es auf solche Taktiken zurückgreifen. So, wie es immer schon – auch vor dem Krieg - Luftabwehr-Stellungen oder andere militärische Einrichtungen in zivilen Gegenden installierte: Angriffe auf solche Ziele führten mit großer Regelmäßigkeit zu Opfern unter Zivilisten und ließen sich propagandistisch vorzüglich ausnützen.

Weil der Irak den Angreifern militärisch in jeder Hinsicht unterlegen ist und bleiben wird, muss damit gerechnet werden, dass er immer öfter auf solche Taktiken zurückgreift, auf die Amerikaner und Briten nicht eingestellt sind und für die es bisher keinen Platz gibt in ihren militärischen Handbüchern. Die USA zumindest werden sich jetzt vielleicht an den Oktober 1983 erinnern, als schiitische Extremisten das Hauptquartier der "Marines" in Beirut in die Luft jagten und damit den Rückzug der Amerikaner aus dem Libanon erzwangen. Im Irak wird sich solches nicht wiederholen: Ein Abzug der US-Truppen käme einer Niederlage gleich und dazu wird Washington nicht bereit sein. Den Preis dafür, dass die USA einzige Supermacht bleiben, werden aber weiterhin Zivilisten zahlen. Und je mehr von ihnen zu Schaden kommen, desto schwerer wird der Stand der USA.