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Nord- und Ostsee: Kalt, grau und weit weg?

Harald Franzen
15. August 2017

Unser Autor Harald Franzen hat eine Einladung erhalten: Komm mit auf eine Expedition mit dem Segelboot in die Nord- und Ostsee. Da kann er nicht 'nein' sagen, denn beide Meere sind höchst faszinierend.

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Segeltour NABU macht Meer
Bild: NABU/Volker Gries
Zehn Gründe für die Nordsee  Wattenmeer  Nordfriesland
Das Wattenmeer und seine Ebben sind wichtig für die Artenvielfalt, vor allem für ZugvögelBild: picture alliance /dpa/Arco Images
Ostsee Fischfang Kabeljau
Überfischung ist ein ernstes ProblemBild: picture-alliance/Tetzlaft/Helga Lade

Grau, kalt und sehr weit weg. So ungefähr ist mein Bild von Nord- und Ostsee, als ich Kind war. Wer kann mir das schon verdenken? Meine Heimat ist Deutschlands Südwesten, nahe Frankfurt am Main. Da sind die Meere im Norden mindestens so weit weg wie der Mond, oder nicht?

Auch Urlaube mit der Familie haben mir diese Küsten nicht näher gebracht. Wir sind eher in den  Süden gefahren, ans Mittelmeer. Da sind Wasser und Himmel azurblau. Wer denkt da schon an den Norden? Völlig zurecht, wie ich feststelle, als ich als Jugendlicher doch mal die Nordsee sehe.

Die Ostsee sehe ich sogar erst, da bin ich schon 35 und wohne in Berlin. Berlin ist nur einen Katzensprung weg von der Ostsee. Und was soll ich sagen? Die "Deutschen Meere" wurden doch noch interessant.

Sogar richtig interessant, denn, aus dem Nichts, habe ich diesen Sommer das Angebot bekommen, mit dem Naturschutzbund NABU Nord- und Ostsee vom Wasser aus kennenzulernen. 10 Tage soll die Reise dauern und darüber will ich berichten.

Ich werde auch die Möglichkeit haben, mehr über die Umweltprobleme herauszufinden, mit denen die Region zu tun hat. Und was getan wird, um die bemerkenswerten und sehr verletzlichen Ökosysteme zu schützen.

Aber bevor es wirklich losgeht, will ich herausfinden, von Grund auf, was die Meere ausmacht, auf denen ich in den kommenden Tagen unterwegs bin.

Etwas sehr Besonderes

Und ich bin offenbar nicht der einzige, den es hierher zieht.

"Wenn man das 'Great Barrier Reef' erwähnt, dann sagen alle 'Oh ja, Nationalpark, Korallenriff, wie großartig", sagt Dr. Kim Detloff, er ist für das Meeresschutz-Programm des NABU verantwortlich. "Das stimmt natürlich. Aber kaum einem ist klar, dass wir eine ähnliche Besonderheit hier vor der Haustür haben und das wollen wir ändern."

Das stimmt auch. Nord- und Ostsee sind auf viele Arten faszinierend. Gleichzeitig könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Wenn er sie beschreibt, beginnt Detloff mit Superlativen: "Beide sind auf ihre Weise die Größten. Das Wattenmeer, der Nationalpark Wattenmeer, ist das größte von Gezeiten beeinflusste Wattengebiet der Welt - mit über 10.000 Quadratkilometern Fläche. Mit über 10.000 Arten gibt es dort eine Artenvielfalt, die ihresgleichen nur in tropischen Regenwäldern findet. Und das Gebiet hat eine ganz besondere Bedeutung für den internationalen Vogelzug, weil das Wattenmeer eine Raststation für über 10 bis 12 Millionen Rast- und Zugvögel im Jahr ist, die sich da Fettreserven anfressen, um letztendlich diese tausende Kilometer langen Zugreisen zu überstehen."

Die Ostsee wiederum ist das größte Brackwassermeer der Welt. Sie hat nur eine kleine Verbindung zum "offenen Meer," der Nordsee. Gleichzeitig speisen zahllose Flüsse aus den angrenzenden Staaten das Meer mit Süßwasser. Da in dem nordischen Klima vergleichsweise wenig Wasser verdunstet, ist der Salzgehalt der Ostsee dadurch niedriger als in der offenen Nordsee.

"Je weiter man von der Verbindung zur Nordsee wegkommt, desto mehr scheint die Ostsee wie ein Süßwassermeer", erklärt Dr. Lars Gutow, Biologe und Wissenschaftler am Alfred Wegener Institut (AWI). "Im Übergang zur Nordsee oder im westlichen Teil finden wir durchaus noch einen Salzgehalt des Wassers, der dem der Nordsee sehr stark ähnelt. Wenn wir ganz nach Osten gehen oder nach Nordosten, haben wir dort fast Süßwasser und das schlägt sich natürlich auch in der Biologie nieder."

Neben Salzwasserfischen wie Hering und Dorsch findet man in der Ostsee auch Süßwasserfische wie Zander und Flussbarsch", sagt Detloff. "In dieser Brackwasserzone treffen sich also Fische, die eigentlich in unterschiedlichen Lebensräumen unterwegs sind."

Die Artenvielfalt nimmt dabei von Westen nach Osten immer mehr ab. "Das hat nichts mit irgendwelchen Umweltbelastungen zu tun," sagt Gutow. "Das ist ein weltweites Phänomen - im Meer ist die Artenvielfalt einfach höher, als im Süßwassersystem."

Natürliche und unnatürliche Todeszonen

Auch die Topographie unterscheidet sich deutlich. So ist die Nordsee, insbesondere ihr südostlicher Teil, sehr flach. "Hier in der deutschen Bucht zum Beispiel haben wir durchschnittliche Wassertiefen von 20 bis 30 Metern," sagt Gadow, dessen Institut in Bremerhaven beheimatet ist. "Die Ostsee hingegen verfügt über mehrere Becken wie das Gotlandbecken und das Bornholmbecken, die durchaus auch Wassertiefen von mehreren hundert Metern erreichen."

Diese Becken bremsen den Wasseraustausch und in den Tiefen der Becken nimmt der Sauerstoffgehalt ab. Dadurch entstehen dort die sogenannten "Todeszonen" - Bereiche im Meer, in denen fast nichts überlebt - zumindest nichts, was Sauerstoff zum Überleben braucht.

Und diese Todeszonen nehmen in der Ostsee zu. "So etwas entsteht natürlich häufig auch durch Überdüngung," sagt Gadow. "Die Ostsee erhält sehr viel Wasser aus Flüssen, die viele Nährstoffe mitbringen. Dadurch kommt es dann zu einem starken Algenwachstum, die Algen werden dann wieder abgebaut und dabei wird Sauerstoff verbraucht."

Aber auch andere Faktoren setzen den beiden Meeren zu. "Wir haben in beiden Meeren eine starke Überfischung," sagt Gadow. Insbesondere in Kombination mit der Überdüngung der Ostsee sei das besorgniserregend. Auch Müll im Meer sei ein großes Problem. "Da liegen wir durchaus im internationalen Durchschnitt. Es ist bei uns vielleicht nicht so sichtbar, weil bei uns regelmäßige Strandreinigungen stattfinden, damit die Touristen nicht abgeschreckt werden, aber sauber sind Nord- und Ostsee, was das angeht, auch nicht."

Gefährliches Gewässer

Und dann ist da noch eine andere Zeitbombe, eine buchstäbliche: In Nord- und Ostsee wurden nach dem 2. Weltkrieg riesige Mengen Munition versenkt. Alleine an der deutschen Nordseeküste schätzt man 1,3 Millionen Tonnen konventionelle Munition, in der Ostsee sind es schätzungsweise 300.000 Tonnen, genau weiß das niemand. Hinzu kommt Giftgasmunition.

"Wir kümmern uns um Munition immer nur dann, wenn wir eine Pipeline bauen, oder wenn ein Windpark gebaut wird", sagt Detloff vom NABU. "Aber es gibt praktisch kein strategisches Konzept in Deutschland, wie man mit Munitionsaltlasten umgeht."

Diese Reise verspricht also einigen Zündstoff.

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