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Menschenrechtsgericht verurteilt Deutschland

1. September 2016

Nicht alle heroinabhängigen Häftlinge in Deutschland erhalten den Ersatzstoff Methadon. In einem Fall aus Bayern verstößt das gegen die Menschenrechte. Das Urteil könnte Gefängnisse zwingen, ihre Praxis zu überdenken.

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Symbolbild Gefängnis (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Deutschland hat gegen die Menschenrechte verstoßen, indem einem vom Rauschgift Heroin abhängigen Häftling in einem Gefängnis in Bayern über Jahre ein Ersatzstoff wie Methadon verwehrt wurde.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg erklärte in einem jetzt veröffentlichten Urteil, damit habe Deutschland den Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt, der unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafe verbietet. Das Gericht sprach dem Kläger rund 1800 Euro zur Erstattung seiner Auslagen zu.

Kalter Entzug in einer Klinik

Der 1955 geborene Mann ist seit 1973 heroinabhängig, wie die Straßburger Richter ausführten. Von 2008 bis 2014 saß er wegen Drogendelikten im Gefängnis. Zwischenzeitlich wurde er auf richterliche Anordnung mehrere Monate ohne Ersatzstoffe in einer Entziehungsklinik behandelt, ein sogenannter kalter Entzug. Danach wurde der Häftling in eine Justizvollzugsanstalt im bayerischen Kaisheim verlegt.

Ein Drogenabhängiger setzt sich eine Rauschgiftspritze (Foto: dpa)
Ein Drogenabhängiger setzt sich eine RauschgiftspritzeBild: picture-alliance/dpa

Dort wurden seine Anträge auf eine Substitutionsbehandlung abgewiesen - obwohl ein von der Gefängnisleitung eingeschalteter Arzt zu dem Schluss kam, diese könnte die chronischen Schmerzen des Mannes lindern. Die Behörden argumentierten unter anderem, das Bayerische Strafvollzugsgesetz sehe eine solche Therapie nicht vor. Der Gefangene zog bis vor das Bundesverfassungsgericht, das seine Klage im Jahr 2013 aber nicht annahm. Seit seiner Haftentlassung 2014 erhält er wieder eine Ersatztherapie.

Anspruch auf Schutz der Gesundheit

Nach Auffassung des EMGR muss ein Staat dafür sorgen, dass die Gesundheit von Häftlingen angemessen geschützt wird. Nach den Normen des Europarats müssten Insassen von Gefängnissen den gleichen Zugang zu ärztlicher Behandlung erhalten wie die übrige Bevölkerung, heißt es in dem Urteil. Im Übrigen seien in 30 der 47 Europaratsländern für drogenabhängige Häftlinge Substitutionstherapien möglich. Dies sei auch in mehreren deutschen Bundesländern der Fall. Die Straßburger Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Bundesregierung kann innerhalb von drei Monaten Berufung eingelegen.

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) entscheidet in Deutschland jede Haftanstalt selbst, ob sie ein Methadon-Programm anbietet. Zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede. So bekämen in Berlin vier Prozent und in Nordrhein-Westfalen zehn Prozent aller Häftlinge eine Ersatzbehandlung. In Bayern seien es zuletzt nur 0,4 Prozent gewesen, so die DGS.

wl/stu (dpa, afp, epd)