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Kambodscha kommt nicht zur Ruhe

Anne Herrberg29. Januar 2004

Seit den Wahlen im Juli 2003 hat Kambodscha keine neue Regierung, die Parteien können sich nicht einigen. In den vergangenen Wochen wurden zudem vier Anhänger der Oppositionspartei ermordet. Eine Krise ohne Ende?

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Trauer um Gewerkschaftsführer Chea VicheaBild: AP

Der Mord geschah auf offener Straßen im Zentrum der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh. Der bekannteste Gewerkschaftsführer in Kambodscha, Chea Vichea, hatte sich am Donnerstagmorgen (22.1.2004) gerade eine Zeitung gekauft, da wurde er in die Brust geschossen. Die beiden Täter entkamen unerkannt.

Wie das kambodschanische Zentrum für Menschenrechte mitteilt, hat sich Chea Vichea in der Vergangenheit immer wieder über Morddrohungen und Beschattungen durch Unbekannte beklagt. Derzeit gebe es aber noch keine Hinweise auf die Täter, beteuerte der Chef der Kriminalpolizei in Phnom Penh, Heng Pou.

Mord an Vichea: kein Einzelfall

Vichea war Chef der 30.000 Mitglieder starken Gewerkschaft FTUWKC und Gründungsmitglied der Oppositionspartei SRP von Sam Rainsy. Er ist bereits das vierte SRP-Mitglied, das in den vergangenen Wochen einem Attentat zum Opfer fiel. Auch bei diesen Gewalttaten gibt es, so die Ermittler, bisher keinerlei Hinweise auf die Täter. Allein der greise kambodschanische König Norodom Sihanouk spicht aus, was viele andere Beobachter denken: Es handele sich hierbei um eindeutig politisch motivierte Hinrichtungen. Zusammen mit Sam Rainsy, dem Vorsitzenden der SRP, und anderen Oppositionellen hatte Vichea die Gewerkschaft 1996 gegründet. Seitdem organisierte die FTUWKC wiederholt regierungskritische Massenproteste.

Gesetze werden nicht eingehalten

Streikende Textilarbeiter in Kambodscha
Streikende Textilarbeiter in KambodschaBild: AP

Dabei machte sich Vichea als mutiger Aktivist einen Namen. Er beteiligte sich an Streiks in Textilfabriken, die oft in gewalttätigen Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften endeten. Die Textilbranche mit 200.000 Beschäftigten ist der am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweig in Kambodscha. Die Gewerkschafter kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und gerechtere Löhne. Kurz: die Einhaltung der Arbeitsschutzgesetze.

Tatsache ist, dass seit den Nationalwahlen im Juli 2003 die politische Situation in Kambodscha angespannt ist. Die postkommunistische Kambodschanische Volkspartei (CPP) des Ministerpräsidenten Samdech Hun Sen hat die Wahl gewonnen, doch die zur Regierungsbildung nötige Zweidrittelmehrheit verfehlt. Dies macht Hun Sens CPP von der Unterstützung der Oppostionsparteien abhängig.

Regieren und Taktieren

Sam Rainsy
Oppositionskandidat Sam RainsyBild: AP

Sam Rainsys SRP ging nach der CPP als zweistärkte Partei aus den Wahlen hervor. Sie konnte vor allem bei Gewerkschaftern in der Hauptstadt Phnom Penh einen enormen Stimmengewinn verbuchen. Sam Rainsy gilt als Freund der Arbeiter und potenzieller "Lieblingskandidat" ausländischer Mächte wie den USA, so Oskar Weggel vom Hamburger Institut für Asienkunde: "Er plädiert für eine Ausweitung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, jedoch nicht, wie Hun Sen, auf Kosten der Arbeitskräfte". In Kambodscha liegt das Pro-Kopf-Einkommen im Jahr bei rund 280 US-Dollar.

Politische Patt-Situation

Nach der Stimmenabgabe im Sommer 2003 sprachen UN-Wahlbeobachter zwar von einer sehr friedlichen und transparenten Wahl. Dennoch befindet sich Kambodscha ohne Regierung einmal mehr in einer politische Patt-Situation. Auch nach den Wahlen 1998 zog sich die Regierungsbildung über Monate hin, es kam wiederholt zu gewalttätigen Demonstrationen mit vielen Verletzten und Todesopfern. Mit Geld und lukrativen Posten konnte Hun Sen letzten Endes etwa die Hälfte der FUNCINPEC-Anhänger davon überzeigen, die bewährte Regierung seiner Partei mit dem royalistischen Koalitionspartner fortzusetzen.

Bei den vergangenen Wahlen gehörte die FUNCINPEC zu den Verlierern, die Partei büßte einen Großteil ihrer Stimmen ein. Nun allerdings haben sich FUNCINPEC und SRP zu einer "demokratischen Allianz" formiert. Ziel ist es, eine Drei-Koalitions-Regierung zu bilden: Mit der CPP, aber ohne deren Vorsitzenden Hun Sen. Denn beliebt ist der 51-Jährige nicht überall. Bisher ist es aber zu keiner abschließenden Einigung gekommen, weshalb die CPP laut Verfassung an der Macht bleibt. Und Premier Hun Sen ist nicht dafür bekannt, Kompromisse einzugehen.

Kampf mit der Vergangenheit

Kambodscha Rote Khmer
Totenköpfe erinnern an die SchreckensherrschaftBild: AP

Hun Sen ist seit 18 Jahren an der Macht. Während des blutigen Terrorregimes der Roten Khmer war er Soldat, flüchtete jedoch später ins Ausland. Während der Schreckensherrschaft der Roten Khmer unter Pol Pot kamen zwischen 1975 und 1979 mehr als 1,7 Millionen Kambodschaner ums Leben. Nachdem die vietnamesische Armee das Land besetzt hatte, setzte sie Hun Sen einige Zeit später als neuen politischen Führer ein. Hun Sen ist für seinen autoritären Führungsstil und seine Taktierkunst bekannt. Nach dem Ende des UN-Programms zum Wiederaufbau des Landes zum dem endgültigen Abzug der UN-Blauhelmsoldaten 1993 hat er seine Macht weiter ausgebaut. Internationale Beobachter werfen ihm vor, den Milliarden teuren UN-Einsatz hintertrieben zu haben. Zudem häuft sich der Vorwurf, Hun Sen sei nicht an der Aufarbeitung der Verbrechen des Pol-Pot-Regimes interessiert. Ein UN-Tribunal ist bis heute nicht gegründet worden.

Parlament gelähmt

Dringender ist derzeit das Problem der Regierungsbildung. Der Mord an Gewerkschaftsführer Vichea werde erneut einen Schatten über die Koalitionsverhandlungen werfen, sagte ein Sprecher der oppositionellen SRP dem britischen Sender BBC. Erwin Schweisshelm von der Friedrich-Ebert-Stiftung vermutet, dass der Mord die Oppositionspartei zum Einlenken auf CPP-Linie zwingen soll. Die Regierung weist diese Vermutungen indessen zurück, "es gibt keinen Grund politische Motive dahinter zu vermuten", sagte dazu ein CPP-Sprecher.