Der härteste Kampf
23. Juli 2010Im Jahr 2007 stand das Walter-Reed-Militärkrankenhaus im Zentrum eines Skandals. Die Washington Post hatte aufgedeckt, dass dort viele Kriegsversehrte nach der Erstversorgung allein gelassen wurden. Traumatisierte und schwer verletzte Soldaten erstickten in einem Wust von Bürokratie und mussten in Zimmern mit verschimmelten Wänden leben. Seitdem kämpft das Krankenhaus gegen den schlechten Ruf und bemüht sich, den Soldatinnen und Soldaten besser bei der Rückkehr in die Gesellschaft zu helfen.
Nüchtern und ernst schildert Unteroffizier Andrew Peden, was ihm am 24. März bei einer Routine-Patrouille in der Kandahar-Provinz in Afghanistan passiert ist: "Ich bin auf eine dieser selbstgebastelten Bomben getreten, dabei wurde mein linker Fuß sofort abgetrennt." Später wurde das Bein unterhalb des Knies amputiert.
Die Technik hilft beim Laufen lernen
Peden sitzt in einem der kleinen Konferenzräume des Walter-Reed-Krankenhauses. Seine Prothese, an der noch sein Turnschuh steckt, hat er abgenommen, um sie besser zeigen zu können. Bereits vier Tage nach der Verwundung wurde der 28-Jährige in das Militärkrankenhaus eingeliefert. Inzwischen, knapp vier Monate später, kann er schon wieder laufen. Peden ist einer der Vorzeige-Patienten.
Moderne Technik unterstützt die Amputierten hier beim Laufen lernen. So gibt es ein Laufband, das auf eine bewegliche Plattform montiert ist. Im Halbkreis steht eine Leinwand darum. Eine Seilkonstruktion hält den Patienten, damit er nicht stürzt.
Er muss sich nun durch eine dreidimensionale Landschaft bewegen, etwa ein Boot durch Bojen navigieren oder im Supermarkt einkaufen gehen. Gleichzeitig kann man ihm auf der Leinwand auch noch mathematische Aufgaben stellen. Oberst Norvell Coots, der Kommandeur des Krankenhauses, erklärt den Sinn der Vorrichtung: "So kann man gleichzeitig das Gehirn stimulieren, die Amputierten wieder an Abläufe des täglichen Lebens heranführen und Standfestigkeit und Gleichgewicht trainieren."
Krieger im Krankenhaus
Auch Schießübungen gehören zum Rehabilitationstraining dazu – schließlich wünschen sich viele Soldaten nichts mehr, als wieder an die Front zurückzukehren. 47 Amputierten ist das bisher gelungen, erklärt Oberst Coots und ergänzt, dass es vor kurzem "bedauerlicher Weise zum ersten Mal vorgekommen ist" dass einer der Amputierten bei einer Bombenexplosion in Afghanistan getötet wurde. Er kann nicht verhindern, dass seine Stimme ein bisschen stolz klingt.
235 Betten hat das Walter-Reed-Krankenhaus, aber viel mehr Patienten werden ambulant behandelt. Oberstleutnant Sandy McNaughton führt durch ihren Teil der Klinik, wo man sich um Gemütlichkeit bemüht hat. Es gibt bequeme Stühle, das Licht ist gedämpft, an den Wänden hängen Bilder mit amerikanischen Landschaften. McNaughton ist Chefin der Warrior Transition Brigade – der Übergangsbrigade für die "Krieger", so werden die Patienten im ganzen Krankenhaus genannt. Das solle deutlich machen, sagt McNaughton, dass die Soldaten sich weiterhin im Kampf befinden – im Kampf gegen den Schmerz und die Krankheit, im Kampf um jeden selbständigen Schritt.
Unsichtbare Verletzungen
Regelmäßig werden neue Verwundete eingeliefert, in letzter Zeit vor allem aus Afghanistan, weniger aus dem Irak: "Aber die Verletzungen sind die gleichen", erzählt die Ärztin, "Verletzungen nach Explosionen, nach Autoüberschlägen, Schusswunden, Hirnverletzungen, ernste psychologische Probleme und posttraumatische Störungen." Denn Amputationen sind zwar die sichtbarsten Behinderungen, machen aber nur 10 Prozent der Verletzungen aus. Weit häufiger leiden die Soldaten unter psychischen Störungen, die inzwischen von der Armee als Kriegsverletzung anerkannt werden.
Feldwebel Lyle Spurgeon erzählt, dass viele Soldaten ihre Hirnverletzungen ignorieren. "Sie wollen nicht wahrhaben, dass etwas in ihrem Kopf durcheinander geraten ist." Eine solche Verletzung passt nicht zum Bild des starken Soldaten, dem nichts etwas anhaben kann. Spurgeon wurde durch einen Raketenangriff der Taliban schwer verletzt. Der 45-Jährige muss ein Hörgerät tragen und ist auf dem linken Auge fast blind. Hinzu kamen Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnislücken. Seit sechs Monaten wird er im Walter-Reed-Krankenhaus behandelt. Mittlerweile könne er sich wieder besser konzentrieren, sagt er.
Unteroffizier Orazio Castellana leidet unter posttraumatischem Stress. Er wird schon seit Januar 2008 therapiert. Sobald es geht, will der 34-Jährige aus Gesundheitsgründen aus der Armee ausscheiden. Auch er sieht Fortschritte, er habe sich jetzt besser im Griff. Geholfen habe ihm vor allem eins: Hier "hat sich wirklich jemand für uns interessiert", hier "hat uns jemand zugehört".
Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Esther Broders