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Kampf ums Festland

Kerstin Schweighöfer20. Februar 2007

Glaubt man Pessimisten, dann werden die Niederlande bald vom Erdboden verschwinden. Jedes Jahr muss die Kette aus Deichen an der Küste verstärkt werden. Doch mit immer höheren Deichen allein ist es nicht mehr getan.

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Flutwehr in der Provinz ZeelandBild: AP

Rund 1000 Kilometer rheinabwärts bei Hoek van Holland: "Nieuwe Waterweg" heißt das letzte kanalisierte Stück des Rheins, bevor er in die Nordsee mündet. Der fast 400 Meter breite Kanal ist die Lebensader des Rotterdamer Hafens. Er wird jedes Jahr von 80.000 Schiffen befahren. Kurz vor der Hafeneinfahrt werden sie von zwei gigantischen Stahlrohr-Konstruktionen begrüßt, die rechts und links wie zwei umgekippte Eiffeltürme am Ufer liegen. Das ist die Maeslantkering, ein bewegliches Sturmflutwehr.

Bei seiner Einweihung 1997 wurde es als Wunder der Technik gefeiert. Zu Recht, findet Wasserbauingenieur Joop Weijers. Das Prinzip sei ebenso einfach wie genial: "Bei drohendem Hochwasser können die beiden Stahlkonstruktionen mit Hilfe von Kugelgelenken auf das Wasser hinausgetrieben werden", erklärt er. "So kann man den Nieuwe Waterweg abriegeln."

Nach demselben Prinzip soll nun auch ein Sturmflutwehr in New Orleans gebaut werden - der amerikanischen Stadt, die im Herbst 2005 überschwemmt wurde. Längst ist das Wissen der niederländischen Wasserbauingenieure auch im Ausland gefragt. Egal, ob Afrika, Amerika oder Asien - Joop Weijers hat bereits Kollegen in aller Welt beraten: "Sie zapfen unser Wissen ab, aber wir helfen gerne!"

Sechs Meter unter Normalnull

Häuser auf einem Deich in den Niederlanden
Häuser am IJsselmeerBild: AP

Das Ergebnis des UN-Klimareports hat die Niederländer nicht weiter überrascht. Ihr Kampf gegen das Wasser ist so alt wie das Land selbst. Längst haben sie sich auf den Klimawandel und das damit verbundene Steigen des Meeresspiegels eingestellt. An der Universität Wageningen untersuchen Wissenschaftler im Auftrag der Regierung schon seit Jahren die Folgen.

Einer von ihnen ist der renommierte Klimaforscher Pavel Kabat. Er rechnet mit einer Meeresspiegelsteigung von bis zu einem Meter in den nächsten hundert Jahren. Nicht ausgeschlossen allerdings ist, dass die Polkappen schneller als erwartet schmelzen, so Kabat. Dann müsse man mit einem drei bis sechs Meter höheren Meeresspiegel rechnen.

Für den 48 Jahre alten Professor ist es eine klare Sache: Die Niederländer müssen sich darauf einstellen, dass das Wasser große Teile ihres Landes zurückerobern wird. Schon jetzt liegt mehr als die Hälfte der Niederlande unter Normalnull, stellenweise bis zu sechs Meter tief. "Mit Deichen allein ist es nicht mehr getan", bemängelt Kabat. "Wir dürfen das Wasser nicht länger als Feind betrachten, wir müssen umdenken und mit dem Wasser leben."

Treibhäuser die auf dem Wasser treiben

Die Regierung hat sich bereits darauf eingestellt - mit einer neuen Gewässerpolitik: Überall wird dem Wasser mehr Raum gegeben: durch Überflutungsgebiete, künstliche Flussnebenarme oder Notauffangbecken. Eine große Aufklärungskampagne der Regierung mit Postern und Rundfunkspots soll den Bürgern helfen, sich darauf einzustellen: Nicht mehr gegen das Wasser kämpfen, lautet die neue Devise, sondern mit dem Wasser leben.

Die Universität Wageningen hat bereits den Prototypen eines schwimmenden Treibhauses entwickelt, speziell für die Gärtner im Westland bei Delft: Das Hochwasser ruiniert ihnen in den letzten Jahren immer wieder die Ernte. Der gesamte Sektor müsse sich innerhalb von 15 Jahren entscheiden, sagt Klimaforscher Kabat: entweder auf schwimmende Treibhäuser umziehen - oder das Gebiet verlassen.

Gärten direkt am Wasser

Besiedelte Gebiete entlang der Flüsse und der Küste müssen geräumt werden, damit eine Pufferzone entsteht, in der das Hochwasser freies Spiel hat. Diese Gebiete dürfen nur noch als Erholungsgebiete genutzt werden. Es gibt bereits konkrete Pläne, zur Schaffung dieser Pufferzone Orte wie Scheveningen oder Breskens landeinwärts zu versetzen.

Städteplaner haben sich längst auf diese Entwicklungen eingestellt: Aquawohnen heißt der neueste Trend. In vielen Gemeinden entstehen schwimmende Stadtviertel, immer mehr Architekturbüros spezialisieren sich auf Amphibienbauten. In 100 Jahren, so prophezeit Klimaforscher Kabat, sind die Niederlande zu einer großen Hydrometropole geworden, die auf dem Wasser treibt.

Auf seinem Computerbildschirm ist auch diese Zukunftsvision längst Wirklichkeit geworden. "Es könnte folgendermaßen aussehen: Viel, viel Wasser und überall treibende Wohnungen und Treibhäuser", beschreibt der Wissenschaftler. Viele Teile des Landes seien dann nur noch per Boot erreichbar. "Statt einem Garten hat jeder eine Terrasse direkt am Wasser mit einer Anlegestelle für sein Boot. Sieht doch nicht schlecht aus, oder?"