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Kampfdrohnen - Töten in juristischer Grauzone

Christina Ruta24. Juli 2012

2010 wurde ein Deutscher bei einem US-Drohnenangriff in Pakistan getötet. Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen "Unbekannt" haben die Diskussion um die unbemannten Flugzeuge neu entfacht.

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US-Drohne (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Bünyamin E. war erst kurz vor seinem Tod nach Nord-Waziristan gereist, eine Bergregion im Nordwesten Pakistans, die als Islamisten-Hochburg gilt. Am 4. Oktober 2010 wurde der mutmaßliche radikale Islamist gemeinsam mit einigen seiner Weggefährten von einer Rakete getroffen - abgefeuert von einer US-Kampfdrohne.

Bünyamin E. war der erste Deutsche, der bei einem US-Drohnenangriff starb. Die US-Amerikaner setzen in ihrem Kampf gegen den Terrorismus massiv auf die unbemannten Flugzeuge, die meist von den USA aus ferngesteuert werden, um Feinde auszuspähen oder zu töten. Nach Schätzungen des unabhängigen US-amerikanischen Büros für Investigativen Journalismus kamen zwischen 2004 und 2012 in Pakistan über 3000 Menschen bei US-Drohnenangriffen ums Leben, über 800 davon waren Zivilisten.

Strafvollzug mit überlegener Militärtechnik?

Die Bundesanwaltschaft ermittelt nun zum ersten Mal gegen die umstrittene Praxis - nach fast zweijähriger Prüfung ihrer Zuständigkeit. Es geht um eine mögliche Völkerrechtsverletzung, denn die USA agieren in einer juristischen Grauzone.

Jochen Hippler vom Duisburger Institut für Entwicklung und Frieden hält die Drohnenangriffe insbesondere in Pakistan für schwierig, da sie gegen den - zumindest offiziellen - Willen der pakistanischen Regierung geschehen. "Einerseits haben wir das Problem, dass militärische Angriffe auf ein Land, mit dem man sich nicht im Kriegszustand befindet, völkerrechtswidrig sind", sagt der Experte für Militärinterventionen im Gespräch mit der DW. Andererseits werfe das Töten von Menschen, die man für islamische Extremisten hält, auch unterhalb der völkerrechtlichen Ebene ein Problem auf: "Es wird sowohl in den USA als auch in der Bundesrepublik mit gutem Grund dafür argumentiert, dass das sozusagen eine vollzogene Todesstrafe an Leuten darstellt, denen man etwas vorwirft, ohne dass sie vor einem Gericht dafür verurteilt wurden."

Jochen Hippler (Foto: dpa)
Jochen Hippler, Terrorismus-Experte an der Uni Duisburg-EssenBild: picture-alliance/ dpa

Vage Definitionen

Seit George W. Bush und seinem "Krieg gegen den Terror" umgingen die USA das US-Strafrecht allerdings mit einer Hilfsargumentation, wonach Terrorismus nicht als Verbrechen, sondern als Kriegsakt definiert wird - und die Terroristen als Kombattanten. Damit griffe das eigentlich für zwischenstaatliche Konflikte konzipierte Kriegsvölkerrecht, das grundsätzlich die Tötung gegnerischer Kombattanten erlaubt - selbst wenn es zivile Opfer gibt. Die Frage, ob es sich bei Bünyamin E. um einen Kämpfer in einem bewaffneten Konflikt handelte, ist auch die zentrale Frage, die sich die Bundesanwaltschaft nun stellt.

Islamisten in Waziristan in einem Trainingscamp (Foto: AP)
Islamisten in einem Trainingscamp in WaziristanBild: AP

Allerdings sei auch das Recht zur Tötung feindlicher Kombattanten an eine Reihe von Kriterien gebunden, betont Martin Kahl, Koautor des Friedensgutachtens 2012. Die seien allerdings sehr vage: "Eigentlich muss die Person aktiv kämpfen. Der einfachste Fall wäre also, wenn die Person eine Waffe hat und direkt in Kampfhandlungen gegen amerikanische Soldaten verwickelt ist." Gerade dies sei bei den meisten durch amerikanische Drohnenangriffe Getöteten nicht der Fall. Außerdem fordere das Völkerrecht eine Verhältnismäßigkeit zwischen dem Tod des mutmaßlichen Terroristen und den möglichen zivilen Opfern. Leider gibt das Völkerrecht jedoch keine Auskunft darüber, was genau "verhältnismäßig" heißt, beschwert sich der Friedensforscher.

Selektives Töten zur Gewaltprävention?

Ein Argument der Amerikaner für die Drohnenangriffe laute, dass man mit der gezielten Tötung islamischer Extremisten punktuell "etwas Böses" tue, um aber "noch größeres Böses" zu verhindern, erklärt Kahl. Der Einsatz von Drohnen sei, rein militärisch betrachtet, für die USA ein sehr erfolgreiches Mittel: "Man hat eine ganze Reihe von hochrangigen Al-Kaida-Leuten und Islamisten in Staaten wie Jemen unschädlich gemacht und damit das ganze Netzwerk sozusagen verschreckt und seine Operationsfähigkeit eingeschränkt." Außerdem sterbe auf amerikanischer Seite niemand - und durch die relativ präzise Technik würden auch auf gegnerischer Seite oft weniger Menschen getötet als bei anderen Formen der Kriegsführung.

Gerade wegen dieser einfachen Kriegsführung hegt Kahl aber auch moralische Bedenken: Ein ferngesteuerter Krieg ohne tote eigene Soldaten, der finanziell relativ unaufwendig sei und im Inland kaum bemerkt werde, könne der Politik schnell als praktikables Mittel erscheinen, mit dem leichtfertig umgegangen werde.

Martin Kahl (Foto: privat)
Martin Kahl vom Zentrum für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien in HamburgBild: Martin Kahl

Politische Brisanz der Ermittlungen gegen „Unbekannt“

Ob es im Fall von Bünyamin E. zu einer Anklage kommt, bleibt abzuwarten. Sollte der Angriff für völkerrechtswidrig befunden werden, würden die deutschen Behörden wohl ein Amtshilfegesuch an ihre amerikanischen Kollegen richten, meint Jochen Hippler. "Dass die Amerikaner aber den Namen der Person herausgeben, die im entscheidenden Moment auf den Knopf gedrückt habe, halte ich für unwahrscheinlich."

Für die deutschen Ermittlungsbehörden kommt noch hinzu, dass der Fall durch einen Verdacht gegen das Bundeskriminalamt erschwert wird: Die Behörde soll mit Auskünften über Ausreise- und Handydaten von Bünyamin E. eine wesentliche Rolle bei dessen Ortung gespielt haben.