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Kann Kerry gegen Bush gewinnen?

7. März 2004

John Kerry steht als Herausforderer von US-Präsident George W. Bush so gut wie fest. Aber Zweifel sind angebracht, meint der Politologe Thomas Greven, ob Kerry wirklich Bushs Platz einnehmen wird.

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John Kerry hält Rede an der Ohio State University
John Kerry hält Rede an der Ohio State UniversityBild: AP

Überrascht hat niemanden mehr, dass John Kerry (Foto), Senator aus Massachusetts, die Vorwahlen der Demokratischen Partei am so genannten Super-Dienstag endgültig für sich entscheiden konnte. Dem zuletzt einzig verbliebenen ernsthaften Herausforderer, Senator John Edwards, verbleibt nun noch die Hoffnung, als Running Mate, also als Vize-Präsidentschaftskandidat ausgewählt zu werden. Zwar hat er immer wieder bestritten, dass dies für ihn attraktiv wäre – aber was sollte er auch sagen, solange er sich noch Hoffnungen auf die Nominierung machen konnte?

In der Tradition des balancing the ticket ist er der sinnvollste Kandidat: Er stammt, anders als Kerry, aus dem "alten Süden" der USA, ist (obwohl Millionär) kein Angehöriger der Ostküsten-Elite und –Intelligenz, und ist also attraktiv für bestimmte, eher konservative Wechselwähler, vor allem im Süden. Erstaunlich ist, dass er sich in vielen Fragen links von Kerry positioniert hat, insbesondere bezüglich eines der heißen Themen des amerikanischen Frühjahrs: offshoring.

Offshoring kostet Jobs

Die Globalisierung hat nämlich nun auch die gut ausgebildeten Wissensarbeiter erreicht. Offene Grenzen und niedrige Transportkosten haben seit den 1970er Jahren Millionen von amerikanischen Fabrikarbeitern ihren Arbeitsplatz gekostet, als die Fabriken nach Mexiko und China verlagert wurden. Nun sind durch die Internet-Revolution – die in den 1990er Jahren noch Hoffnungen auf eine New Economy machte, die den Konjunkturzyklus außer Kraft setzen würde – auch die Angestellten und Dienstleister dran: Daten werden in Indien bearbeitet, Software wird in Indien entwickelt, Operationen werden in Krankenhäusern in Mexiko durchgeführt, Filme in Kanada gedreht; fast alles geht. Das hat – gegen die Dogmen der Neoliberalen, für die klar ist, dass die Effekte vernachlässigenswert sind und die amerikanische Wirtschaft erneuerungsfähig genug ist – die Globalisierungs- und Handelsproblematik wieder auf die Tagesordnung gebracht.

Überzeugter Freihändler

Kerry aber hat für alle Handelsabkommen der 1990er Jahre gestimmt – anders als Edwards ist er überzeugter Freihändler, wie vor ihm Clinton. Das macht ihn für die dominanten Zentristen der Partei zum idealen Kandidaten. Aber er hat auch die Unterstützung des Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO, der sich globalisierungskritisch bis protektionistisch positioniert hat. Wie passt das zusammen? Sehr gut, eigentlich. Denn nachdem die Gewerkschaften in der ersten Phase der Vorwahlen gespalten waren zwischen dem frühen Aussteiger Richard Gephardt, dem unwahrscheinlichen Favoriten Howard Dean und Kerry, zählt nunmehr nur noch der Zugang zu demjenigen Kandidaten, dem die meisten Chancen eingeräumt werden, Bush zu schlagen.

Kerrys Vorsprung

George Bush Wahlkampf im Fernsehen
George Bush Wahlkampf im FernsehenBild: AP

In den Umfragen liegt Kerry vor Bush (manche sagen: zu früh), doch wie stehen seine Chancen im November? Die Pundits genannten politischen Kommentatoren streiten sich seit geraumer Zeit über die große Richtung der amerikanischen Politik. Die einen, allen voran Stanley Greenberg (Berater von Clinton, Gore und auch Blair und Schröder) sehen wie die politikwissenschaftliche Parteienforschung ein dauerhaftes Patt und sagen dementsprechend ein enges Wahlergebnis voraus.

Andere wie John Judis und Ruy Teixeira sagen mittel- bis langfristig eine klare demokratische Mehrheit voraus, weil die amerikanische Gesellschaft sowohl liberaler und heterogener als auch "klassenbewusster" (im Sinne der Wertschätzung einer aktiven Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung) wird. Die Spaltungs- und Mobilisierungsthemen der vergangenen Jahrzehnte, die der Republikanischen Partei die Dominanz im Kongress und fast im gesamten Süden, Südwesten und in den Präriestaaten beschert haben, treten aus dieser Sicht in ihrer Bedeutung zurück. Mit anderen Worten: Die Mehrheit der Amerikaner wird zukünftig ihre Wahlentscheidung nicht von Themen wie Abtreibung, Schulgebet, Waffenbesitz und Homo-Ehe abhängig machen und angesichts zahlreicher Wirtschaftsskandale auch nicht mehr jede Einmischung der Bundesregierung in den Wirtschaftskreislauf ablehnen.

Gott und Religion

Diese Sicht übersieht mindestens dreierlei: Erstens den god gulf, der säkulare und aktiv religiöse Schichten trennt (weit über die fundamentalistischen Christen hinaus), und den die Republikaner mit den oben genannten kulturellen Themen eher ausnutzen können als die Demokraten die trotz Wachstum ausbleibenden Arbeitsplätze – schließlich sind sie in ihrer Mehrzahl wie die Republikaner wirtschaftsfreundlich positioniert (manche sagen: abhängig). Zudem ist die Niedrigsteuerpolitik der Bush-Regierung in weiten Teilen der Bevölkerung populär. Zweitens stehen den Republikanern zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, ihre Regierungsposition zur Festigung ihrer Dominanz auszunutzen. Dies muss nicht einmal soweit gehen wie 2000 in Florida, um auch 2004 wieder effektiv zu sein, z.B. durch die größere Fähigkeit, Großspenden zu sammeln. Die Kongressmehrheiten jedenfalls wackeln nicht. Und auch wenn Außenpolitik im Wahlkampf kaum eine Rolle spielen wird, es sei denn, es geschieht Außergewöhnliches, kann sich Bush schließlich drittens als "Führer der freien Welt" inmitten eines weltumspannenden Krieges präsentieren, was seine ersten Wahlwerbespots mit Bildern von 9/11 auch gleich versuchen.

Dr. Thomas Greven ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am John F. Kennedy Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Er arbeitet zurzeit an einem Buch über die Republikanische Partei in den USA.