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Kann mein Leben nichts wert sein?

15. März 2014

Wenn man überlegt, was man geleistet hat, merkt man oft: es ist nicht viel. Ist dann das ganze Leben umsonst gewesen? Was ist am Ende wichtig? Diederich Lüken denkt darüber für die evangelische Kirche nach.

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Bauarbeiter
"Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden."Bild: picture alliance/ASSOCIATED PRESS

Ein Wettbewerb im Kartoffelschälen

Dieser Wettbewerb sollte das Fest krönen. Es ging um eine einfache hausfrauliche oder auch hausmännliche Tätigkeit, um das Schälen von Kartoffeln. Etwa zehn Teilnehmerinnen hatten sich gemeldet, es waren tatsächlich keine Männer dabei. Unter ihnen war eine Frau, die kurz zuvor aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Sie hatte eine große Krebsoperation hinter sich und war entsprechend geschwächt. Weshalb sie sich überhaupt gemeldet hatte, wusste sie gar nicht so richtig. Jetzt jedenfalls saß sie da, inmitten der anderen Frauen, die sich beworben hatten, und drehte lustlos die Kartoffeln in ihren Fingern. Nach einiger Zeit wurde das Ende des Wettbewerbs verkündet und die Frau machte sich angesichts der geringen Anzahl ihrer geschälten Kartoffeln keine Hoffnungen auf irgendeinen Gewinn. Zu ihrem Befremden interessierte sich die Jury aber überhaupt nicht für die Anzahl der geschälten Kartoffeln, sondern befasste sich intensiv mit den Schalen. Am Ende wurde die kaum genesene Patientin als Siegerin des Wettbewerbs ausgerufen. Es ging gar nicht um die Menge der geschälten Kartoffeln, sondern darum, wer die dünnsten Schalen produziert hatte. Darin war jene Frau Meisterin geworden. In ihrem langsamen Arbeiten hatte sie eine Sorgfalt walten lassen, die ihre Konkurrentinnen hatten vermissen lassen. Die Freude über den unerwarteten Gewinn ließ die geschwächte Frau regelrecht aufblühen und markierte den Anfang eines Weges, an dessen Ende ihre Seele neue Kraft gewann.

Wir leisten mehr und anderes, als wir glauben

Diese Geschichte, die einer Pfarrfrau wirklich passiert ist, enthält etwas ungemein Tröstliches. Am Ende eines Tages schaut so mancher zurück auf seinen Tag und fragt sich: Was habe ich denn nun eigentlich getan und geleistet an diesem Tag? Oft macht sich das Gefühl breit: Im Grunde kann man diesen Tag vergessen. Da ist nichts zu sehen und zu merken von irgendeinem Erfolg, irgendeiner Leistung, die es rechtfertigen würde, diesen Tag gelebt zu haben. Und das, was am Ende dann ja doch getan und geleistet wurde, verdient den Namen Leistung nicht. Erschöpft lässt man sich nach solch ernüchternder Bilanz in den Fernsehsessel sinken und beschließt den Tag mit einer gepflegten Feierabenddepression. Noch hoffnungsloser wird die Szenerie, wenn man sich diesen Fragen am Ende eines Berufslebens stellt. Ich kann mir vorstellen, dass es für so manchen Menschen eine verheerende Bilanz ist, nach vielen Jahren der Berufsarbeit feststellen zu müssen: Was ich getan habe, ist im Grunde genommen: Nichts! Ein Tag umsonst gelebt, ein Jahr umsonst gelebt, ein Leben umsonst gelebt! Nur machen wir bei dieser Betrachtungsweise vielleicht einen Fehler. Wir sind es ja nicht nur selbst, die wir unsere Tages- und Lebensleistung beurteilen. Es sind auch nicht nur unsere Mitmenschen, unsere Chefs Vorgesetzten und Familienangehörigen, die das tun. Gott sei Dank gibt es noch eine andere Instanz, vor der wir uns verantworten müssen, das ist am Ende und überhaupt Gott selbst. Und Gott sieht die Dinge anders als wir selbst. Er sieht: selbst in den leeren Tagen und Zeiten, auch dort, wo wir eigentlich am Ende unserer Kräfte waren, haben wir ja doch immer etwas getan und haben wir mit Menschen und Dingen Umgang gepflegt. Wir leben ja nicht im luftleeren Raum!

Was wir wegwerfen wollen, kann unserem Leben Sinn geben

Es könnte doch sein, dass am Ende gar nicht das zählt, was wir zaghaft vorweisen, die paar Kartöffelchen, die wir geschält haben, sondern dass Gott uns das vor Augen hält, was wir eigentlich wegwerfen wollten. In unseren eigenen Augen ist es wertloses Zeug, der Müll des Alltages, Kartoffelschalen, nicht wert, wahrgenommen zu werden. Das können kurze Worte zwischen Tür und Angel sein, ein flüchtiges Lächeln, wer weiß! Jetzt aber, vor dem Urteil des Ewigen, gewinnt es ewigen Wert und verleiht unseren Tagen und unserem Leben einen Sinn, an den wir selbst nicht mehr geglaubt haben. Die Bibel nennt das Gnade, und sie beschreibt diese Gnade so: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden."

Zum Autor: Diederich Lüken, Jahrgang 1952, ist Pastor in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Stuttgart-Bad Cannstatt. Er wurde in Veenhusen/Ostfriesland geboren, studierte Theologie in Münster, Reutlingen, Tübingen und Marburg. Seine beruflichen Stationen führten ihn nach Essen, Bebra, Velbert, Stuttgart-Weilimdorf (Rundfunkarbeit der Evangelisch-methodistischen Kirche) und Stuttgart-Bad Cannstatt. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Pastor Diederich Lüken Stuttgart
Pastor Diederich LükenBild: EKD