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Kanzler ohne eigene Mehrheit

Wolter von Tiesenhausen19. Dezember 2003

Nach dem Kompromiss im Vermittlungsausschuss war die Annahme des Reformpakets durch Bundestag und Bundesrat gesichert. Fraglich war aber bis zuletzt die Geschlossenheit der rot-grünen Regierungskoalition.

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Es ist jetzt sozusagen amtlich: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat zu einem wichtigen Punkt seines Reformpaketes keine absolute Mehrheit in den eigenen Reihen. Das ändert zwar nichts am Zustandekommen der so heiß umstrittenen Gesetze und schon gar nichts an der Rechtsposition des Kanzlers, doch es bleibt ein Makel an Gerhard Schröder hängen. Schuld daran ist der Kanzler selbst. Denn er hat im Vorfeld die eigene Mehrheit zur Bedingung gemacht, hat gehofft, so die rotgrünen Rebellen zu disziplinieren. Gegen diese Blamage helfen keine noch so raffinierte Rechenkunststücke und phantasievollen Interpretationsversuche.

Gerhard Schröder selber wird damit leben können. Er ist nicht nur hart im Nehmen, er ist auch Pragmatiker genug um zu wissen, dass es angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den Ländern und damit im Bundesrat keine andere Lösung für seine Agenda 2010 geben konnte. Wäre er nicht auf die Forderungen der Christdemokraten eingegangen, hätte er das ganze Projekt abschreiben können. Zudem hat die Opposition in vielen Fällen nur jene Gesetzeslage wieder hergestellt, die von der Bundesregierung ursprünglich gewollt war, von den rotgrünen Fraktionen im Bundestag dann aber verändert wurde.

Durch den Kompromiss zwischen Bund und Ländern, Koalition und Opposition wurde die Voraussetzung für eine wirtschaftliche Wiederbelebung geschaffen. Zwar katapultieren die begrenzte Steuersenkung und die Lockerungen auf dem Arbeitsmarkt Deutschland noch nicht aus dem tiefen Tal der Stagnation in die lichten Höhen eines neuen Aufschwungs, doch sie beseitigen einige Hürden, die einen solchen Aufbruch behindern könnten, wenn er denn aus Amerika kommend Europa erreicht.

Genau das hat Bundeskanzler Schröder angestrebt, als er im März mit einer großen Rede vor dem Deutschen Bundestag diese Politik einleitete. Dass es so lange gedauert hat, bis jetzt die Forderungen des Kanzlers umgesetzt werden, liegt an der mangelnden Beweglichkeit der Sozialdemokraten und der zwischen Bund und Ländern geteilten Macht. Da genügt kein Donnerwort des Kanzlers, da ist es schon notwendig, rechtzeitig auf die andere Seite zuzugehen, ihre Bedenken aufzunehmen und nach einem Konsens zu suchen. Wenn Gerhard Schröder und seine Mitstreiter diese Lehre beherzigen, werden sich die noch ausstehenden und mindestens ebenso schmerzhaften Reformen leichter verwirklichen lassen.