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Bleichgesicht beim chinesischen Staatsfernsehen

9. November 2011

China Central Television ist der mediale Arm der kommunistischen Partei: Themen, Beiträge und Mitarbeiter werden genau geprüft. Journalistin Kirsten Rulf hat hier acht Wochen gearbeitet und Zensur erlebt.

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Journalistin Kirsten Rulf auf dem Tiananmen-Platz in Peking (Foto: Kirsten Rulf)
Bild: DW

Geheimniskrämerei ist bei CCTV ein Prinzip, das schon am Eingang spürbar ist: Drei militärische Straßensperren muss ich passieren, um zum Gebäude vorzudringen. Auf dem Dach sind Flugabwehrgeschütze und Schießschächte jederzeit besetzt und einsatzbereit. "Zur Verteidigung gegen einen plötzlichen Angriff aus der Luft!" erklärt mir eine Kollegin in meiner ersten Praktikumswoche. Insgesamt werde ich acht Wochen bei CCTV News mitarbeiten, im Rahmen des Journalistenaustausch-Programms der Robert-Bosch-Stiftung.

Gebäude des chinesischen Fernsehsenders CCTV, (Foto: Kirsten Rulf)
CCTV-Zentrale in PekingBild: picture-alliance/dpa

Meine ersten Tage bei CCTV News, dem englischsprachigen Kanal des chinesischen Staatsfernsehens, sind erstmal voll von Skurrilitäten. "Kapitalisten-Kirsten" nennt mein Chef mich hinter meinem Rücken, "Germanen-Gefahr" oder "Bleichgesicht". So zumindest übersetzt es mir eine Kollegin, denn mein Chef weigert sich, in Konferenzen statt Mandarin-Chinesisch Englisch zu sprechen. Ich, die Westlerin, soll nichts verstehen können. Die Angst meiner Kollegen: "Quanpan Xihua" - die "Vollständige Verwestlichung".

Mission Global Player

CCTV ist mit mehr als 15.000 festen Mitarbeitern allein in der Zentrale in Peking eines der größten Medienunternehmen der Welt und will mit seinem Programm mehr als eine Milliarde Menschen in 22 Ländern erreichen. Schon jetzt ist der Sender der meistgesehene in Afrika und damit Meinungsmacher dort, wo es den Chinesen am wichtigsten scheint: In rohstoffreichen Ländern. Das Programm wird neben Englisch auch auf Spanisch, Arabisch, Portugiesisch und Russisch ausgestrahlt. Es wird also von fast allen verstanden, mit denen das Regime Geschäfte machen will.

Regieraum des chinesischen Fernsehsenders CCTV (Foto: Kirsten Rulf )
In der Regie bei "World Insight"Bild: DW

Mein Tag im Team der Sendung World Insight ist klar strukturiert. Morgens um 10 Uhr: Themenkonferenz. Reihum muss jeder drei vorformulierte Themenideen vortragen. Ein Gespräch oder eine Diskussion darüber finden nicht statt. Stattdessen lesen manchmal alle acht Redakteure hintereinander dieselbe Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua vor, beispielsweise zu Libyen. Danach folgt die erste Stufe der Zensur: Die Redaktionsleiter geben bekannt, welche Themen in der Sendung nicht stattfinden dürfen oder welche, im Gegenteil, sogar stattfinden müssen.

Diese Entscheidung über Themenauswahl und -gewichtung der Sendung trifft die Redaktion nicht selbst. Jeden Morgen vor der Redaktionskonferenz müssen die vier leitenden Redakteure zur "Senderbesprechung". Ein Treffen von allen Redaktionsleitern mit dem Chefredakteur des englischen Haus-Senders, mit dem CCTV-Intendanten und vor allem mit Zensoren des chinesischen Propagandaministeriums und Außenministeriums, die klare Ansagen machen.

Morgens erlaubt, mittags verboten, abends wieder erlaubt

Fünfmal am Tag finden diese "Senderbesprechungen" in der Regel statt. Ein Thema, das morgens noch erlaubt ist, kann mittags schon verboten sein und umgekehrt. Fast eine Woche lang durfte CCTV zum Beispiel frei in seinen Nachrichten über den Crash zweier Hochgeschwindigkeitszüge bei Wenzhou mit mindestens 35 Toten berichten. Der Unfall hat in China fast so etwas wie eine Staatskrise ausgelöst. Wochenlang beherrschte er die Medien, sorgte für tausende Einträge in Internet-Blogs, für wütende Proteste online. Die Regierung ließ die Demonstranten gewähren.

Journalistin Kirsten Rulf im Newsroom des chinesischen Fernsehsenders CCTV (oto: Kirsten Rulf)
Die Germanen-Gefahr im NewsroomBild: DW

Dann kam eine E-Mail vom Eisenbahnministerium an Zensoren und verantwortliche Redakteure. Berichterstattung über das Zugunglück fand danach nicht mehr statt. Stattdessen wurden sechs Reporter mit jeweils einem Kamerateam nach Tibet geflogen, um dort live von der Wanderung der Bergantilope zu berichten - alle dreißig Minuten war die Wanderungsbewegung der Tiere die Topmeldung in den Nachrichten, sechs Minuten lang wurde berichtet, inklusive Erklärfilm und Live-Schalte.

Westliche Maßstäbe gegen chinesisches System

Der Maßstab, der in westlichen Redaktionen an Journalisten angelegt wird, gilt in weiten Teilen auch beim World Insight-Team: gutes Themengespür, Analyse, gewandter Schreibstil sind meinen Kollegen sehr wichtig. Aber das System verhindert, dass journalistische Tugenden am Ende die entscheidenden Qualitätskriterien für einen guten Beitrag sind. Vor allem auf saubere Recherche legt die Redaktion großen Wert, vielleicht gerade weil de facto kaum unabhängige Quellen zur Verfügung stehen.

Die Zensur des Internets ging soweit, dass die meiste Zeit selbst CCTV-eigene Email-Adressen nicht funktioniert haben. Die Kollegen nutzten deshalb ihre privaten gmx- oder googlemail-Adressen. Das Internet ist im Sender allerdings ohnehin so langsam, dass viele mittags heimlich nach Hause oder ins Café gegangen sind, um mit eigenem Laptop und Wifi zu recherchieren.

Nachrichtenagenturen kommen bei CCTV nur an einem einzigen Computer im ganzen Gebäude an, der bei insgesamt 24 Stockwerken voller Journalisten natürlich meistens besetzt ist. Ohnehin sind aber auch nur drei Nachrichtenagenturen zugelassen: Die staatliche chinesische Agentur Xinhua, das Sprachrohr der Regierung, die meist Meldungen der Kommunistischen Partei verschickt, Reuters und AP, aus denen china-kritische Themen allerdings herausgefiltert sind.

Wand mit Fernsehschirmen (Foto: AP)
CCTV für alleBild: AP

Subtile Kritik und vorsichtige Neugier

Nach der Themenkonferenz gehen die Beitragstexte in die Stufe zwei der Zensur: Ein sogenannter "Chief Political Editor", ein Zensor, bringt sie bei Bedarf in der Wortwahl auf Parteilinie. Dieser Mensch ist auch für meine Kollegen über Jahre hinweg meistens unsichtbar. Eine Kontrollinstanz ohne Gesicht, die keine ihrer Entscheidungen begründet. Fehler werden sehr subtil bestraft: Nachdem ich in einem Beitragstext über Muammar Gaddafi schreibe, er sei ein "exzentrischer, brutaler Diktator" darf ich keinen eigenen Beitrag mehr machen, sondern werde ungefragt für den Rest meines Praktikums für den wöchentlichen Nachrichtenblock eingeteilt. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, ist die Solidarität im Sender groß, das Arbeitsklima ist trotz allem fröhlich und offen.

Vor allem das bleibt als Eindruck nach acht Wochen Arbeit beim chinesischen Staatsfernsehen: Mit jeder Woche, die ich länger bei CCTV gearbeitet habe, haben mir meine Kollegen mehr Freundschaft und Neugier entgegen gebracht. Für viele war ich der erste Westkontakt überhaupt, sie hatten viele Fragen, wollten diskutieren und hören, wie Journalisten in Deutschland arbeiten. Alle meine Kollegen waren sehr politisch, der eine oder andere bewertet die eigene Regierung im geschlossenen Raum und persönlichen Gespräch oft beinahe gefährlich kritisch. Wir haben viel diskutiert und viel gelacht, aber Berlin- oder Brüsselkorrespondentin für die Chinesen werde ich trotzdem nicht. Obwohl es das Angebot gab – für eines der neuen Büros, die CCTV bald in Europa eröffnen will.

Autorin: Kirsten Rulf
Redaktion: Marlis Schaum