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Karlsruhe hat entschieden

30. Juni 2009

Das Bundesverfassungsgericht hat die Klagen gegen den EU-Vertrag von Lissabon zurückgewiesen. Er verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Dennoch kann der Vertrag nicht sofort ratifiziert werden.

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Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor in Berlin ist durch eine EU-Fahne zu sehen (Foto: AP)
Deutschland darf dem Vertrag von Lissabon beitreten, wenn die parlamentarische Beteiligung erweitert wirdBild: AP

Es wurde mucksmäuschenstill im Saal, als der Vorsitzende Richter Andreas Voßkuhle mit der Urteilsverkündung begann. Mit Spannung hatten die Beschwerdeführer, Vertreter der Bundesregierung und des Bundestages auf das Urteil gewartet, das das Schicksal der EU mit bestimmt. "Das Grundgesetz sagt 'Ja' zu Lissabon, verlangt aber auf nationaler Ebene eine Stärkung der parlamentarischen Integrationsverantwortung", sagte Richter Voßkuhle. Der Senat sei zuversichtlich, dass "die letzte Hürde vor der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde schnell genommen" werde.

Ratifizieren ja, aber erst später

Der EU-Reformvertrag von Lissabon mit der Unterschrift des britischen Premierministers Gordon Brown (Foto: AP)
Der Reformvertrag von Lissabon sorgt für KontroversenBild: AP

Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats haben mit sieben zu einer Stimme entschieden, dass die sechs Klagen und die Verfassungsbeschwerde gegen den EU-Reformvertrag zurückgewiesen werden. Dennoch darf der Vertrag von Lissabon nicht ratifiziert werden - und zwar solange, bis der Bundestag ein spezielles Begleitgesetz ändert. Die Beteiligungsrechte des deutschen Parlaments müssten gestärkt werden, bevor der EU-Vertrag abschließend ratifiziert werden kann.

Die Kläger und Beschwerdeführer - die Linkspartei im Bundestag, zwei Bundestagsabgeordnete und eine Gruppe von Professoren - hatten argumentiert, Deutschland übertrage mit dem neuen EU-Vertrag zu viel Macht an die EU. Der Bundestag habe zu wenige Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Die demokratische Kontrolle durch das Volk, wie im Grundgesetz festgelegt, werde ausgehebelt, und die EU maße sich erstmals das Recht an, ihre Kompetenzen eigenmächtig auszuweiten.

Jo Leinen (08.05.2007/Rainer Jensen dpa/lbn)
Freut sich über das Urteil: EU-Parlamentarier Jo LeinenBild: picture-alliance/ dpa

Diesen Einwänden folgten die Verfassungsrichter nur zu einem kleinen Teil. Sie befanden, dass der EU-Vertrag von Lissabon das Wesen der Union nicht verändere. Die EU bleibe ein Staatenbund souveräner Staaten. Gegen eine Mitgliedschaft Deutschlands gebe es keine Bedenken.

Freude über das Urteil

Der Vorsitzende des Verfassungsausschusses des Europäischen Parlaments, Jo Leinen (SPD), ist mit dem Urteil in Karlsruhe hoch zufrieden: "Die Kläger sind abgewiesen worden bei ihrem Generalangriff auf diesen Vertrag. Er ist mit dem Grundgesetz vereinbar, er ist verfassungsgemäß und das ist der Hauptsatz des Richterspruchs." Das Begleitgesetz sei eine innerdeutsche Angelegenheit, die so möglichst bald in Berlin erledigt werden müsse.

Die Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungerichts, von links, Udo Di Fabio, Lerke Osterloh, Herbert Landau, Andreas Vosskuhle, Michael Gerhardt und Siegfried Bross, betreten den Gerichtssaal in Karlsruhe (Foto: AP)
Die Richter des Zweiten Senats haben entschiedenBild: AP

Der Bundestag will noch vor den Bundestagswahlen im September 2009 das notwendige Begleitgesetz nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts abändern. Das gaben die Regierungsfraktionen bekannt. Die Europäische Union hält an ihrem Zeitplan für die Ratifikation des Lissabon-Vertrages fest, teilte die schwedische EU-Ratspräsidentschaft in Stockholm mit. Im Oktober 2009 sollen die Iren zum zweiten Mal in einer Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon entscheiden. Sollte das Votum nach Zugeständnissen der übrigen EU-Staaten positiv ausgehen, fehlten nur noch die Unterschriften der Präsidenten in Polen und Tschechien.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine (Foto: AP)
Der Vorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine, hat gegen den Vertrag geklagt - und verlorenBild: AP

Das Gericht in Karlsruhe achtet in seinem Urteil auch darauf, dass seine eigenen Zuständigkeiten gewahrt bleiben. Mit dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg liegt das Bundesverfassungsgericht in einem Dauerstreit. Das deutsche Gericht erkennt die Urteile aus Luxemburg nur an, solange die Grundrechte deutscher Staatsbürger nicht berührt werden. Dabei soll es auch mit dem EU-Vertrag von Lissabon bleiben.

Der EU-Vertrag von Lissabon soll die Entscheidungsabläufe verschlanken und die EU fit für die nächste Erweiterungsrunde machen. Ohne den neuen Vertrag, der am 1. Januar 2010 in Kraft treten soll, würde es keine Aufnahmen von Ländern auf dem Balkan geben.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Julia Kuckelkorn / Mareike Röwekamp