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Eurovision Song Contest

Anne Herrberg / Nicole Scherschun24. Mai 2008

Zum 53. Mal findet der Eurovision Song Contest statt. 43 Länder nehmen dieses Mal daran teil – Rekord. Doch am europäischen Gesangswettbewerb scheiden sich die Geister: Ist das hohe Kunst oder nur eine skurrile Show?

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Dustin the Turkey, eine Puppe aus dem irischen Kinderfernsehen, tritt in diesem Jahr für Irland an (Quelle: RTE)
Für Irland tritt eine Band mit Dustin the Turkey, einer Puppe aus dem irischen Kinderfernsehen anBild: RTÉ

"Das ist doch ein absoluter Witz geworden. Die Songs sind furchtbar und die Nachbarländer wählen sich gegenseitig. Am besten man schafft ihn ab", so resolut wie dieser Kritiker äußern sich die Europäer selten, doch viele denken genauso. Wer kann, erinnert sich nur zu gern an die guten alten Zeiten, als Englisch noch nicht zur Gesangssprache Nummer eins befördert wurde und der Contest noch Grand Prix de la Chanson d’Eurovison hieß. Denn im ursprünglichen Sinne ist der Wettbewerb ein Komponisten-Texter-Wettbewerb und keine Show der Skurrilitäten und Kostüme.

Alles auf Anfang

Die erste Grand-Prix-Gewinnerin: Lys Assia (Quelle: AP)
Die erste Grand-Prix-Gewinnerin: Lys AssiaBild: AP

Der erste Wettbewerb fand vor 53 Jahren, 1956 in Lugano statt. Die Schweizerin Lys Assia – mondän, glamourös und elegant – nahm die Trophäe als erste mit nach Hause. Damals nahmen nur sieben Ländern am Grand Prix teil. Erst ab Ende der 1960er-Jahre wurde der Wettbewerb allmählich zum Großereignis und manchmal auch zum Politikum - beispielsweise 1968 als Massiel den Grand Prix für Spanien gewann, das von Franco regiert wurde.

Die spanische Sängerin Massiel, die eigentlich María de los Ángeles Santamaría Espinosa heißt, gilt bis heute als Stolz Spaniens. Immerhin hatte sie damals Cliff Richards den Preis vor der Nase weggeschnappt. Kürzlich deuteten die Autoren einer spanischen Dokumentation an, dass General Franco bei ihrem Sieg etwas nachgeholfen habe. War das 1968 etwa schon der erste Ausläufer der heute häufig kritisierten Struktur der Punktevergabe?

Europäischer Klüngel und Vetternwirtschaft

Der europäische Gedanke bekommt ganz eng definierte Grenzen, wenn es um die Vergabe der Punkte geht. Vor allem Nachbarländer beschenken sich gegenseitig mit Punkten, darunter besonders gern die Länder der ehemaligen Sowjetunion und Jugoslawiens. Diese von Fans des Wettbewerbs als unfair bezeichnete, aber gängige Praxis wurde auch schon häufig aufs Korn genommen.

Mehr als 20 Jahre später versuchen die Organisatoren nun, Vetternwirtschaft beim Song Contest zu vermeiden und stellten für den am Samstag (24.05.2008) stattfindenden Wettbewerb im Vorfeld eine neue Regelung auf: Durch zwei Halbfinale soll verhindert werden, dass ausschließlich die Länder ins Finale kommen, die sich gegenseitig Sympathiepunkte geben. Es soll schließlich auch ein friedlicher Wettbewerb sein.

Europäische Talentschmiede?

Nicole 1982 mit ihrem Siegertitel "Ein bisschen Frieden" (Quelle: DPA)
Nicole 1982 mit ihrem Siegertitel "Ein bisschen Frieden"Bild: PA/dpa

Denn nur der Frieden führt zum Sieg, wie Nicole 1982 eindrucksvoll mit ihrer Gitarre und dem Lied "Ein bisschen Frieden" bewies – bisher Deutschlands einziger Sieg, doch auch ein Hit?

Bislang kann man nur von einem wirklichen Superhit in der Geschichte des Wettbewerbs sprechen: "Waterloo" von ABBA im Jahr 1979. Eine Weltkarriere begann, die kein weiterer Interpret oder eine weitere Band nach dem Song Contest schaffte.

Hauptsache skurril, schrill und bunt

1998, als das Televoting eingeführt wurde und die Sieger nicht mehr durch eine Expertenjury gekürt werden, stiegen die Zuschauerzahlen rapide an - skurrile Auftritte wurden schlagartig zum festen Bestandteil des Contests.

Gruselkabinett: Lordi gewannen 2006 für Finnland
Gruselkabinett: Lordi gewannen 2006 für FinnlandBild: AP

Ist der Wettbewerb eine abgespeckte Variante der Völkerverständigung oder der Anfang der Verblödung, fragen sich Experten immer wieder. Die Frage war und ist nicht unbegründet, denn in den letzten Jahren kamen bisexuelle Stewardessen, trommelnde Großmütter, wilde Tänzer in Lendenschurz und Wolfspelz und zuletzt gruselige Monsterrocker aus Finnland auf die Bühne des Eurovision Song Contests - und waren erfolgreich. Auch in diesem Jahr wird es nicht langweilig werden: Finnland röhrt wieder, Frankreich versucht sich auf englisch und Irland will mit einem Truthahn gewinnen.

Geht Eurovision also nur noch als Quatschblödsinn oder martialische Gruselshow? Ja und nein, denn die serbische Gewinnerin des letzten Jahres, Marija Serifovic, war "ganz normal", ihre Musik hat sich durchgesetzt.

Wie lautet also das Erfolgsrezept für Platz eins? Deutschland sucht es verzweifelt. Und die Moderatoren im vergangenen Jahr hatten sogar einen Tipp: Deutschland solle einen Text des Autors Botho Strauß nehmen. Der schreibe auch halb in serbisch, halb in deutsch und russisch. Damit auftreten sollten dann aber Transexuelle aus Bielefeld, die den Balkan beschimpfen. Daraus wird nun aber nichts, denn dieses Jahr tritt für Deutschland die Mädchengruppe "No Angels" mit dem Song "Disappear", also "Verschwinden" an. Hoffentlich verschwinden bei diesem Titel die deutschen Punkte nicht auf den Konten der anderen Teilnehmer - wie so oft seit 1982.