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Kasachische Grautöne

30. November 2010

Wie fällt die Bilanz des kasachischen OSZE-Vorsitzes aus? Bei einer Parallelveranstaltung kurz vor dem OSZE-Gipfel in Astana zeichnen Nichtregierungsorganisationen ein durchwachsenes Bild der Lage.

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Die kasachische Hauptstadt Astana
Die kasachische Hauptstadt Astana ist Schauplatz des OSZE-GipfelsBild: Stefano Grazioli
Ihre Stimmen blieben ungehört. Damals, als Kasachstan als erste ehemalige Sowjetrepublik zum OSZE-Vorsitzenden 2010 gewählt wurde, hatten Menschenrechtsorganisationen gewarnt: Kasachstan sei nicht reif für diese Aufgabe, in dem von Staatspräsident Nursultan Nasarbajew autoritär geführten Staat gebe es massive Demokratiedefizite. Die Menschenrechte würden systematisch missachtet. Und daran hat sich trotz aller Versprechen im Vorfeld bis jetzt nichts maßgeblich geändert – zu diesem ernüchternden Ergebnis kommen Menschenrechtler heute.

Verpasste Chance?

Rachel Denber
Rachel Denber schätzt die Menschenrechtslage in Kasachstan als gemischt einBild: DW/Mikhail Bushuev
Nasarbajew habe seinen Worten über Demokratisierung und Verbesserungen der Menschenrechte, der Presse- und Versammlungsfreiheit keine Taten folgen lassen. Noch immer könnten beispielsweise Journalisten einfach verleumdet werden und müssten im schlimmsten Fall sogar mit tätlichen Angriffen rechnen, berichtet Rachel Denber, Zentralasien-Expertin der Organisation Human Rights Watch (HRW). "Allein in diesem Jahr gab es mindestens fünf solcher Fälle." Darüber hinaus habe die Regierung die Kontrolle über die elektronischen Medien. Dennoch sieht Denber die Situation im Land differenziert: "Man darf Kasachstan nicht nur in schwarz und weiß einteilen. Denn die Lage ist insgesamt widersprüchlich."

Als Beispiel dafür nennt die HRW-Expertin den OSZE-Parallelgipfel der Nichtregierungsorganisationen. Dieser sei von der Regierung unterstützt worden. "Wir haben dort sehr frei über die Menschenrechtslage in Kasachstan und ganz Zentralasien diskutieren können." Für Rachel Denber bleibt deshalb unter dem Strich ein gemischtes Bild. Ebenso gemischt beurteilt sie auch die Gesamtsituation der OSZE. Die Organisation müsse handeln, um wieder handlungsfähig zu werden, so Denber. Doch stattdessen stünde sie sich oft selbst im Weg – unter anderem durch das herrschende Einigkeitsprinzip: Derzeit können Entscheidungen nur getroffen werden, wenn alle 56 Mitgliedstaaten zustimmen.

Innerer Stillstand

Dieser Zustand aber lähmt die Effektivität der gesamten Organisation. Deshalb seien die Mitgliedstaaten jetzt in der Verantwortung, meint Rachel Denber. "Ich bin trotz allem optimistisch, was die Zukunft der OSZE betrifft. Zum Aufgeben ist es noch viel zu früh." Andere internationale Organisationen würden auf die OSZE zählen, nicht zuletzt deshalb, weil "sie sich mit den Krisen hier in der Region nicht befassen wollen". Zwar würde die OSZE nicht darum herumkommen, sich neu aufzustellen, um effektiver handeln zu können. Aber genau das werde sie auch tun, "dafür sorgen schon die anderen".

Yuri Dzhibladze
Für Yuri Dzhibladze ist eine Reform der OSZE längst überfälligBild: DW/Mikhail Bushuev
Der russische Menschenrechtler Yuri Dzhibladze sieht die Lage pessimistischer. Für ihn ist der anstehende Gipfel der Staats- und Regierungschefs so etwas wie die letzte Chance. "Wenn die OSZE es in den kommenden zwei oder drei Jahren nicht schafft, sich zu reformieren, dann wird sie bald niemand mehr ernst nehmen." Zu groß sei besonders in punkto Menschenrechte die Diskrepanz zwischen vollmundigen Versprechungen und der Realität. "Sollte sich an diesem Zustand nichts ändern, wird die Organisation daran kaputtgehen", meint Yuri Dzhibladze. Auf seiner Uhr ist es für die OSZE im übertragenden Sinn fünf vor zwölf.

Autoren: Esther Broders
Redaktion: Theresa Tropper