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Katastrophale Sicherheitslage in Kandahar

17. September 2010

Die südafghanische Provinz Kandahar versinkt immer mehr im Chaos. Kurz vor den Parlamentswahlen in Afghanistan droht die ehemalige Taliban-Hochburg wieder in die Hände der selbst ernannten Gotteskrieger zu fallen.

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Durch einen Selbstmordattentäter zerstörtes Wohnhaus in Kandahar (Foto:ap)
Durch einen Selbstmordattentäter zerstörtes Wohnhaus in KandaharBild: AP
Die Sicherheitskräfte in Kandahar, vor allem die Polizei, scheinen weder willens noch in der Lage zu sein, die Sicherheitsbedürfnisse der Bürger zu befriedigen. Die Menschen in Kandahar bezeichnen ihre jetzigen Lebensumstände als unerträglich. "Die Sicherheitslage ist nirgends so schlecht wie hier," berichtet Hassina Zarghon, eine von vielen Bewohnern Kandahars, die sich über die Situation in ihrer Provinz beklagen. "Hier herrscht bisweilen das blanke Chaos."

Leben mit der täglichen Bedrohung

Afghanischer Soldat vor einem Anschlagsort in Kandahar (Foto:ap)
Eigentlich sollten afghanische Soldaten die Bewohner schützen...Bild: picture alliance/dpa

Die rund 1,3 Millionen Menschen, die in der südafghanischen Provinz leben, fühlen sich seit fast drei Jahren wie im Krieg. Selbstmord-Attentate, Bomben-Drohungen und Überfälle bestimmen den Alltag. "Die Streitkräfte verkünden immer wieder, dass sie in den fernen Dörfern die Taliban bekämpfen. Dabei übersehen sie, dass die Taliban hier ins Zentrum gekommen sind", erklärt Maliha Ahmadzai aus Kandahar. "Sie ermorden täglich mehrere Menschen, Attentate bestimmen hier unser Leben. Die Soldaten müssen doch zuerst hier in der Stadt für Sicherheit sorgen, bevor sie in die Dörfer gehen."

Die Taliban betrachten alle, die nicht für sie kämpfen, als ihre Feinde. Ezmarai Jabarkhail, ein weiterer Bewohner der Stadt, fühlt sich an die gesetzlose Zeit des Bürgerkrieges nach dem Abzug der Sowjet-Armee Ende der achziger Jahre erinnert: "Kein Mensch kann mehr sein Leben planen. Egal wer morgens sein Zuhause verlässt, ob das ein einfacher Fahrer oder ein bekannter Politiker ist, keiner weiß, ob er am Abend wieder heil nach Hause kommen wird. In diesem Chaos leben wir zurzeit."

Misstrauen und Verunsicherung

Immer wieder führt die NATO Offensiven gegen die Taliban in Südafghanistan durch (Foto:ap)
Immer wieder führt die NATO Offensiven gegen die Taliban in Südafghanistan durchBild: AP

Auch die bevorstehende NATO-Offensive trägt zur Verunsicherung der Menschen in Kandahar bei. Nach offiziellen Angaben sollen rund 15.000 afghanische und 28.000 NATO-Soldaten bald eine umfassende Militär-Operation gegen die Taliban beginnen. Doch die Erfahrungen der früheren Jahre haben die Menschen gelehrt, dass mit Militäraktionen allein keine Sicherheit hergestellt werden kann. Die meisten ahnen: Nach dem Abzug der Militärs kommen die Taliban zurück.

Die Polizei, heißt es dann, werde für Ordnung sorgen. Doch gerade der Polizei trauen die Kandaharis kaum. Die meisten Polizisten sind schlecht ausgebildet, viele können nicht einmal lesen und schreiben. Zum Teil tragen die Polizisten keine Uniform. Der Polizei wird zudem vorgeworfen, nicht ernsthaft gegen die Taliban vorzugehen. Und aus Angst um die eigene Sicherheit sollen sogar Teile der Truppe mit den Taliban zusammenarbeiten, heißt es.

Polizisten oder Söldner?

Afghanische Polizisten während ihrer Ausbildung (Foto:ap)
Afghanische Polizisten während ihrer AusbildungBild: AP

Für Sardar Muhammad Zazi, Polizeichef von Kandahar, sind die Vorwürfe haltlos: "Unsere Polizei ist dafür da, den Menschen zu dienen. Wir dulden keine Kräfte unter uns, die die Gesetze nicht beachten," nimmt er seine Sicherheitskräfte in Schutz. "Jeder, der sich gegen die Gesetze stellt, wird aus der Polizei ausgeschlossen."

Der afghanische Sicherheitsexperte Munir Ahmad ist anderer Ansicht. Er kritisiert, dass die Polizei im Süden des Landes kaum noch im Sinne der Regierung arbeitet. Die meisten Rekruten seien ehemalige, bezahlte Kämpfer aus der sowjetischen Besatzungszeit. Die Mehrheit von ihnen, sagt Ahmad, sähen sich noch immer als Söldner. "Diese Männer fühlen sich nicht der Regierung verpflichtet, sondern folgen immer noch lokalen Warlords und ihren einstigen Kameraden."

Gerade diese Polizei soll nun am Samstag (18.09.2010) die Sicherheit der Parlamentswahlen im Süden gewährleisten. Sicherheitsexperte Ahmad Munir bleibt da eher skeptisch: "Für viele Menschen hier ist das nur ein Grund mehr, den Wahllokalen am Samstag fern zu bleiben."

Autor: Ratbil Shamel
Redaktion: Thomas Latschan/Iveta Ondruskova