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Katholische Kirche zeichnet ehemaligen ungarischen Premier aus

19. April 2004

– "Einmischung in Innenpolitik"

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Budapest, 16.4.2004, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch

Dem früheren Ministerpräsidenten Viktor Orbán wurde am vergangenen Dienstag in Budapest die höchste Auszeichnung der katholischen Kirche für Nicht-Geistliche von Papst Johannes Paul II. verliehen. Die sozialistische Abgeordnete und Beobachterin im Europäischen Parlament Magda Kósáné Kovács kritisierte den Zeitpunkt der Auszeichnung als Einmischung in den Wahlkampf für die Europawahlen am 13. Juni. Orbáns Partei, der Fidesz (Bund Junger Demokraten – MD), verlangte unterdessen den Rücktritt von Kósáné, die dem Vatikan in der vergangenen Woche vorgeworfen hatte, die EU unter seine Kontrolle bringen zu wollen und damit einen politischen

Skandal ausgelöst hatte.

Papst Johannes Paul II. verlieh das Große Kreuz des Ordens des Heiligen Gregor – "Der Große" – dem früheren Ministerpräsidenten Viktor Orbán für die Verbesserungen der Beziehungen zwischen dem Staat und der Kirche während seiner Amtszeit. Der Papst lobte in seiner Begründung die Bemühungen des ehemaligen Premierministers, die ökumenische Arbeit und die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu fördern. Sein Name wurde vor einigen Jahren von dem inzwischen pensionierten Bischof László Paskai vorgeschlagen. Der päpstliche Gesandte in Budapest, Julius Janus, übergab am Dienstag (13.4.) die Auszeichnung an Orbán. Dabei wies er auf die "majestätische" Atmosphäre hin, in der Ungarn das Jahr 2000 als Jahrtausend der nationalen Identität zusammen mit der Einführung des Christentums gefeiert habe. Die christliche Religion sei hier seitdem besonders stark in den Köpfen der Menschen verankert, seit die Jungfrau Maria als Schutzpatronin Ungarns verehrt werde. Janus hob hervor, dass die Auszeichnung gleichzeitig ein Aufruf an Orbán sei, dem Kreuz und den christlichen Traditionen in Ungarn weiterhin treu zu bleiben.

Viktor Orbán zufolge war die Auszeichnung eine Anerkennung der harmonischen, vielseitigen und günstigen religiösen Umwelt, die in Ungarn nach einem halben Jahrhundert offizieller atheistischer Propaganda und Verfolgung aller Religionen durch die Kommunisten wieder etabliert werden konnte. "Wir wollten der Welt zeigen, dass das Christentum für Ungarn nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft repräsentiert", sagte Orbán. Sobald die mittel- und osteuropäischen Länder der EU beitreten, werde das Gewicht und der Einfluss der gläubigen Christen in der Gemeinschaft zunehmen, war sich Orbán sicher. "Ich würde mich in einer europäischen Gemeinschaft nicht wohl fühlen, die ihre christlichen Wurzeln für immer aufgibt." Wenn der europäische Verfassungsprozess einige Jahre später stattfinden würde, könnte ein Verweis auf das Christentum leichter eingebracht werden, fügte er hinzu. (...)

Die sozialistische Abgeordnete Magda Kósáné Kovács nannte die päpstliche Auszeichnung Orbáns eine Einmischung in die ungarische Politik und bezeichnete den Zeitpunkt der Verleihung als weiteres Beispiel dafür, wie der Vatikan versuche, die europäische Politik zu beeinflussen. Mit ihren Äußerungen in einem Interview mit der anti-katholischen Wochenzeitung Hetek provozierte Kósáné bei der katholischen Kirche verärgerte Reaktionen. Die Abgeordnete hatte behauptet, der Vatikan wolle über seine Büros in Brüssel das gesamte Europa für sich vereinnahmen. Der Kommentar von Kósáné bezog sich auf die christliche Lobbyarbeit für die Erwähnung des Christentums in der europäischen Verfassung.

Der Fidesz forderte infolgedessen die Streichung Kósánés von der Liste der sozialistischen Partei für die Europawahlen. Der Ruf Ungarns würde beschädigt werden, wenn Befürworter solch extremer Ansichten das Land im Europäischen Parlament in Strassburg verträten, sagte der Abgeordnete Péter Szíjjártó.

Die Reaktionen der Sozialisten auf die Äußerungen Kósánés waren geteilt. Die Sprecherin des ungarischen Parlaments, Katalin Szili, "bedauerte" die Kommentare ihrer Parteikollegin und betonte, es gäbe innerhalb der Partei keine offizielle Unterstützung für solch extreme Ansichten. Sie entschuldigte sich zudem am Sonntag bei den Katholiken in einem Gottesdienst in Mezõkövesd. Der Parteivorsitzende und Außenminister László Kovács sagte am vergangenen Montag (12.3.) im Parlament, die Äußerungen von Kósáné entsprächen zwar nicht der MSZP(Sozialistische Partei – MD)-Linie, ihre Kritik bezöge sich aber nicht generell auf den Vatikan, sie hätte lediglich dessen Außenpolitik verurteilt. Der Parteivorsitzende wies die Fidesz-Forderungen zur Streichung von Kósánés Namen von der EU-Kandidatenliste am Dienstag zurück und bestätigte ihren Listenplatz.

Kósáné reagierte ebenfalls scharf auf die Vorwürfe: Der Fidesz wolle einen unehrlichen Skandal heraufbeschwören, der allerdings in erster Linie auf die MSZP ziele. Auf einer Pressekonferenz erinnerte Kósáné Journalisten daran, "dass der Fidesz-Abgeordnete László versprochen hat, uns nach und nach zur Strecke zu bringen". Sie lehnte es ab, frühere Äußerungen zurückzuziehen. (...) (fp)