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Keine Bedauern

Charlotte Wiedemann23. Januar 2009

Massumeh Ebtekar gehörte 1979 zu den Botschaftsbesetzern, die 444 Tage die Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft als Geiseln festhielten. Sie hält die Aktion bis heute nicht für grundsätzlich falsch.

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Massumeh Ebtekar (Archiv 2002), Foto: ap
Massumeh Ebtekar: Professorin für Immunologie, Politikerin und viel beschäftigte Karrierefrau der Islamischen RepublikBild: ap

Das schmale Gesicht von Massumeh Ebtekar, die Augen stets leicht umschattet, wurde zum Gesicht der berühmtesten Geiselaffäre des 20. Jahrhunderts. Am 4. November 1979 hatten unbewaffnete Studenten die Marines der amerikanischen Botschaft in Teheran überwältigt und alle US-Diplomaten als Geiseln genommen. Amerika solle den Schah an die iranische Justiz ausliefern, verlangten die Besetzer; der geflohene Monarch hielt sich gerade in einer New Yorker Klinik auf.

NBC-INterview mit 'Mary' in der amerikanischen Botschaft am 11. Dezember 1979, Foto: AP
Als 'Mary' wurde sie Gesicht und Sprachrohr der BotschaftsbesetzerBild: ap

Massumeh Ebtekar, Studentin im zweiten Semester, stieß vier Tage später zu den Besetzern, als Dolmetscherin. Die 19-Jährige sprach fließend Amerikanisch, sie hatte mit den Eltern eine Weile in Massachusetts gelebt. Für die internationalen Medien verkörperte die zierliche junge Frau, die sich "Mary" nannte, fortan die schlimmste Demütigung, die der Supermacht USA je zugefügt worden war – die Geiselnahme währte 444 Tage.

Nicht nur fanatisierte Handlanger

Knapp drei Jahrzehnte später: Die Messingklinke ihrer Bürotür lässt sich von außen nicht herunter drücken. Und der Aufzug im Gebäude des Teheraner Stadtrats hält nicht in ihrem Stockwerk. Sicherheitsmaßnahmen für eine prominente Reformpolitikerin: Massumeh Ebtekar war Vize- Präsidentin in der Ära von Staatspräsident Khatami. Ihr Gesicht ist immer noch schmal, die Augen umschattet. Dr. Massumeh Ebtekar, Professorin der Immunologie, Frauen- und Umweltpolitikerin, viel beschäftigte Karrierefrau der Islamischen Republik, wirkt damenhaft milde und zugleich sehr distanziert. Über die Botschaftsbesetzung hat sie ein Buch geschrieben, "Takeover in Tehran": es will den Eindruck korrigieren, die Studenten seien nur fanatisierte Handlanger Khomeinis gewesen.

Geiselnehmer in der Teheraner Botschaft 1979, Foto: AP
444 Tage hielten iranische Studenten damals die Botschaftsangehörigen gefangenBild: AP

"Wir waren eine gut informierte Generation", sagt Ebtekar. "Wir wussten, was los war in der Welt." Für sie selbst galt das gewiss: Sie hatte in Teheran eine internationale Schule besucht, schrieb Arbeiten über Sartre und Camus. Zu Hause wurde viel diskutiert. Den entscheidenden Impuls ihres Lebens fand sie, wie Millionen junge Iraner, bei einem an der Sorbonne promovierten Soziologen: Ali Schariati. Der schillernde Utopist, westlich in seiner Erscheinung und in der Methodik seines Denkens, war damals immens populär. Seine Botschaft lautete sinngemäß: Weg mit dem Muff unter den schiitischen Talaren! Schluss mit religiöser Unterwürfigkeit. Erlösung nicht durch rituelle Selbstgeißelung, sondern durch Kampf, Kritik, Aufklärung. Schariati propagierte eine "Religion des Protests", einen "lebensbejahenden, kraftvollen und gerechten" Islam als Alternative zu westlicher Dekadenz. Die Botschaftsbesetzer waren überzeugt, in diesem Sinne zu handeln.

Vieles lief falsch

Massumeh Ebtekar bedauert heute nur den außenpolitischen Schaden. "Die Geiselnahme hätte viel früher beendet werden können", sagt sie. "Und die Chance für einen Neuanfang mit den USA wurde vertan." Sie hofft, dass die Eiszeit bald vorüber ist: mit Barack Obama und mit einem iranischen Reformpräsidenten, auf den sie nach der Wahl im kommenden Juni hofft. Sie würde sogar selbst gern in die USA reisen; eine Debatte dort zum 30. Jahrestag der Geiselnahme, warum nicht?

Die für Umwelt zuständige iranische Vizepräsidentin Massumeh Ebtekar spricht am 2. September 2002 im Sandton Convention Center beim UN-Weltgipfel in Johannesburg, Südafrika, Foto: dpa
Massumeh Ebtekar war die erste weibliche Vizepräsidenten im Iran seit der RevolutionBild: dpa

Neun Stunden sägten die Besetzer damals an jedem erbeuteten Tresor, riefen "Allahu Akbar", wenn er endlich die Akten preisgab. Monate puzzelten sie an der Rekonstruktion zerschredderter CIA-Dokumente. Die Funde wurden zu Dynamit: Fast alle prominenten bürgerlichen Schah-Gegner hatten irgendwann Kontakt zu den Amerikanern gehabt; nun wurden sie als Spione denunziert, waren politisch diskreditiert, viele wurden verhaftet. Mehdi Bazargan, der bürgerliche erste Premierminister der Islamischen Republik, war aus Protest schon zu Beginn der Besetzung zurückgetreten.


Ebtekar fällt es schwer einzugestehen, wie ihr damaliges Handeln jene konservativen Hardliner begünstigte, die ihr später als mächtige Gegner gegenüber stehen würden. Wie andere iranische Reformer vermag diese kluge Frau ihre eigene Entwicklung erstaunlich wenig zu reflektieren. Stattdessen flüchtet sie sich in eine gewagte These: Die Botschaftsbesetzer seien eine frühe Form von "civil society" gewesen, die spätere Reformbewegung eine "natürliche" Konsequenz. "Naturally", das sagt sie oft, in glatten, druckreif formulierten Sätzen - in einem Zimmer, dessen Türklinke sich von außen nicht bewegen lässt. "Persian Paradox", das ist der Name eines Blogs im Internet. Die Bloggerin: Massumeh Ebtekar.