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Kein Bonitätscheck im Netz

Michael Gessat8. Juni 2012

Nach öffentlichen Protesten ist das Facebook-Forschungsprojekt der Wirtschaftsauskunftei Schufa geplatzt. Aber das automatische Datensammeln im Internet bleibt weltweit der Megatrend in der IT-Branche.

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Breitbandkabel in einem Rechenzentrum Quelle: (ddp images/AP Photo/Daniel Roland)
Breitbandkabel bei DE-CIX in Frankfurt am MainBild: AP

Ohne die Schufa geht gar nichts in Deutschland, außer man zahlt alles in bar. Aber wer einen Kredit aufnimmt, wer einen Handyvertrag abschließt oder in letzter Zeit auch, wer eine Wohnung anmieten will - der muss einer Schufa-Anfrage zustimmen. Das heißt: Die Bank, der Telefonanbieter oder der Vermieter fragen bei der Wirtschaftsauskunftei nach, ob der Kunde die Raten oder die Mieten voraussichtlich zahlen kann; ob er also "kreditwürdig" ist. Und um das beantworten zu können, sammelt und speichert die Schufa - die Abkürzung steht für "Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung" – Daten: schätzungsweise 514 Millionen Einträge über 66 Millionen Privatpersonen.

Positive und negative Schufa-Einträge

Das sind zum Beispiel Informationen über Bankverbindungen, Kredite, Kreditkarten, Leasingverträge, Mobilfunk- und Versandhandelskonten von Menschen in Deutschland. Den Beruf, das Einkommen oder die Nationalität kennt die Schufa dagegen nicht. Wenn eine Person Schulden macht, ist das übrigens gar nicht schlimm - eingeräumte Kredite oder vorhandene Kreditkarten gelten der Auskunftei durchaus als positives Zeichen.

Das Logo der Schufa Quelle: dpa - Bildfunk
Logo der Wirtschaftsauskunftei SchufaBild: picture-alliance/dpa

Wer aber seine Raten nicht pünktlich zurückzahlt oder eine Rechnung nicht begleicht, der bekommt einen Negativeintrag verpasst. Aus allen Einzelinformationen macht die Schufa eine Zahl - den sogenannten "Scoring-Wert". Und nur den bekommen auch anfragende Banken, Firmen oder Vermieter zu sehen.

Firmengeheimnis Scoring

Wie dieses Scoring genau errechnet wird, das verraten Auskunfteien nicht. Die Schufa versucht seit einiger Zeit, zumindest die Kriterien der Bewertung transparenter zu machen. Bei Verbraucherschutzorganisationen sind vor allem solche Scoring-Kriterien heftig umstritten, die vom Bewerteten selbst gar nicht ohne weiteres zu steuern oder in ihrer Interpretation sehr spekulativ sind.

Beim "Geoscoring" wird zum Beispiel als Kriterium gewertet, ob jemand in einem reichen oder armen Stadtviertel wohnt - und wenn viele Nachbarn ihre Rechnungen nicht zahlen, bekommt man selbst auch eine schlechte Bewertung. Die Schufa selbst verzichtet nach eigenen Angaben auf dieses Verfahren - andere Auskunfteien sind da weniger zimperlich.

Informationsquelle Netz

Im Grunde sind natürlich nicht nur der Wohnort, sondern prinzipiell alle Informationen über eine Person interessant für die Einschätzung der Bonität. Wo kauft man ein, welche Hobbies hat man, wo macht man Urlaub? Doch die wenigsten Bürger wollen auf diese Weise überwacht und ausgewertet werden.

Webcam an Computer Quelle: #15181830 Copyright: Alterfalter - Fotolia.com
Dauerüberwachung - Traum für Firmen, Alptraum für NutzerBild: Alterfalter - Fotolia.com

Genau deshalb hatten die Nachrichten über ein Forschungsprojekt, das die Schufa beim Hasso-Plattner-Institut der Universität Potsdam in Auftrag gegeben hatte, geradezu einen Sturm der Empörung ausgelöst: Die Wissenschaftler sollten herausfinden, ob und wie sich aus öffentlich verfügbaren Daten im Netz nützliche Informationen herausfiltern lassen. Das Ganze war ausdrücklich als Grundlagenforschung gedacht - wobei sich die Schufa auch aus eigenem Interesse die Frage stellte, "welche Konsequenzen die technologischen Entwicklungen des Internet für die eigene wirtschaftliche Existenz haben".

Schufa als Facebook-Schnüffler?

In der öffentlichen Wahrnehmung kam das anders an. Wollte die Schufa private Lebensäußerungen im Netz, zum Beispiel bei Facebook, durchforsten lassen, um daraus Hinweise auf die Bonität von Einzelpersonen zu gewinnen?

Smartphone mit Twiter-App Quelle: (c) dpa - Bildfunk+++
Eifrige Datensammler und Datenauswerter: Facebook und TwitterBild: picture-alliance/dpa

Darum sei es in dem Projekt nie gegangen, sagt der Softwarespezialist Felix Naumann, der die Forschungsarbeiten hätte leiten sollen. Es sei technisch gesehen "kaum denkbar, über die Bonität einer einzelnen Person aufgrund von Facebook-Einträgen" Rückschlüsse zu ziehen - hier habe die Schufa ohnehin hochqualitative Daten und brauche nicht auf ein "so unsicheres und schwieriges Medium wie das Web" zugreifen. Informationen über Unternehmen oder für Unternehmen lassen sich, so Naumann, schon eher automatisiert aus dem Netz gewinnen. Und was man tatsächlich aus sozialen Netzwerken oder Twitter-Postings herauslesen könne, seien Stimmungen - zum Beispiel die allgemeine Meinung zu einem Produkt. "Ich kann aber nicht gut herausfinden, was sagt denn der einzelne Herr Müller über dieses Produkt?"

Forschungsprojekt abgeblasen

"Data Mining", das Durchforsten von riesigen Datenmengen auf der Suche nach Trends oder wichtigen Informationen, ist momentan geradezu Thema Nummer Eins in der Informatik; überall auf der Welt befassen sich Forschergruppen an Universitäten oder in Unternehmen damit. Am Hasso-Plattner-Institut hingegen ist drei Tage nach der ersten Pressemitteilung Schluss mit dem Projekt - aufgrund "mancher Missverständnisse in der Öffentlichkeit über den vereinbarten Forschungsansatz und darauf aufbauender Reaktionen" könne man nicht mehr unbelastet und mit der nötigen Ruhe arbeiten, teilte das Institut am Freitag (08.06.2012) mit.

Professor Felix Neumann: "Was mich ärgert, ist, dass wir jetzt diese Forschungsfragen den privaten Unternehmen und dem Ausland überlassen, weil in Deutschland offenbar keine sachliche Diskussion möglich ist." Er kritisiert, dass die Presse ihre Berichterstattung vor allem auf ein internes Dokument aus dem Institut gestützt hatte: "Die Papiere, die an die Öffentlichkeit gelangt waren, waren schlicht Projektideen oder das Ergebnis eines Brainstormings"; einen konkreten Projektplan habe es noch gar nicht gegeben.

Offene Fragen

Im September hätte die Gruppe erste Ergebnisse publizieren wollen - daraus wird nun nichts. Und auch die Schufa muss nun anderweitig Antworten auf die Frage finden, ob die Informationsgewinnung aus dem Netz sogar eines Tages das eigene Geschäftsmodell bedroht.

Klar ist jedenfalls, dass längst alle Spuren, die Nutzer im Netz hinterlassen, mit großem Aufwand durchforstet werden, von den Betreibern der sozialen Netzwerke selbst, also von Google und Facebook, aber auch anderen interessierten Stellen bis hin zu Geheimdiensten.