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Kein Ende der sozialdemokratischen Epoche

Heinz Dylong23. Mai 2003

Die Geschichte der SPD begann vor 140 Jahren mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Und noch immer ist die Aufgabenstellung der Partei - soziale Gerechtigkeit – aktuell. Heinz Dylong kommentiert.

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Die Zeiten ändern sich, die Gesellschaft ändert sich naturgemäß auch, und demzufolge stehen auch die politischen Parteien stets vor neuen Herausforderungen. So ist es schon erstaunlich, dass es die SPD in diesen Tagen auf das stolze Alter von 140 Jahren bringt. Das spricht jedenfalls dafür, dass sie meist richtige Fragen stellte und oft auch vernünftige Antworten wusste. Für die Rechte der Arbeitnehmer einzutreten - bis ins 20. Jahrhundert hinein sprach man in Deutschland noch vom Proletariat - war für die SPD und die traditionell mit ihr verbündeten Gewerkschaften jedenfalls in den ersten hundert Jahren in einer Hinsicht relativ leicht. Immerhin ließ sich gut definieren, worin diese Rechte bestehen. Verbesserung des Arbeitsrechtes, Bildungschancen, Gesundheitsschutz oder Arbeitszeitregeln - da ließen sich Ziele sozialer Gerechtigkeit beschreiben, für die es zu kämpfen lohnte. Und auch der Gegner war klar erkennbar: Die Arbeitgeber, das etablierte Bürgertum und die konservativen oder rechtsliberalen Kreise in den Parlamenten und Regierungen.

Bei all dem entschied sich die SPD früh für den reformerischen Weg. Mochte auch die Programmatik radikal sein, in der politischen Praxis stand die SPD stets verlässlich für die parlamentarische Demokratie. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, das mutige Nein zu Hitlers Ermächtigungsgesetz gehört denn auch zu den bleibenden Verdiensten der deutschen Sozialdemokraten. Und in der jungen Bundesrepublik trug die SPD als Oppositionspartei maßgeblich zur Stabilisierung der Demokratie bei. Zudem erreichte sie als Regierungspartei - in den Ländern, dann auch im Bund - viele ihrer Ziele. Das verführte manchen liberalkonservativen Denker zu der Einschätzung, dass die sozialdemokratische Ära vorüber sei. Weit gefehlt, kann man da nur antworten, denn es bleibt genug zu tun, um der Vision einer gerechten Gesellschaft näher zu kommen.

Dabei geht es nicht so sehr um die SPD als solche, es geht um das Denken in den Kategorien von sozialer Gerechtigkeit. Und natürlich steht die Partei dabei vor der Aufgabe, eine aktuelle Definition eben dieser sozialen Gerechtigkeit zu liefern. Schon angesichts der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland kann es dabei nicht nur um den weiteren Ausbau von Arbeitnehmerrechten gehen. Es muss auch darum gehen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das fordert einen Entwurf des Sozialstaates, der wohl nicht ohne Zumutungen für die Arbeitsplatzbesitzer auskommt.

Hier liegt die aktuelle Herausforderung für die SPD. Dabei greift der SPD-Vorsitzende Bundeskanzler Gerhard Schröder freilich viel zu kurz, wenn er beim Blick auf sein konkretes Reformvorhaben seine parteiinternen Kritiker warnt, bei einer CDU/CSU-geführten Regierung käme alles noch schlimmer. Das "kleinere Übel" zu sein, ist der SPD nämlich noch nie gut bekommen.

Vermutlich sind leere Kassen die schlechteste Zeit für die Entwicklung gesellschaftlicher Visionen. Eine SPD ohne gesellschaftlichen Zukunftsentwurf würde jedoch zu einer blutleeren Partei verkommen. Dabei ist die sozialdemokratische Epoche keineswegs beendet. Denn solange die modernen Gesellschaften nach dem Muster von Arbeitgeber und Arbeitnehmer funktionieren und der von der SPD immer als Ordnungsfaktor anerkannte Staat seine Rolle ausfüllt - solange wird es auch Bedarf nach sozialdemokratischen Vorstellungen geben.