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Kein Ethikunterricht für Grundschüler

Vera Kern17. April 2014

Ethik statt Religionsunterricht: Darauf haben Grundschüler kein Recht. Das urteilte nun das Bundesverwaltungsgericht. Doch in einigen Bundesländern gibt es bereits Alternativen zu Religion ab der ersten Klasse.

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Klassenzimmer (Foto: Christian Charisius)
Bild: picture-alliance/dpa

Darf man Tiere essen? Wie geht man mit dem Tod der Oma um? Was ist Gerechtigkeit? Für diese philosophischen Fragen ist an Grundschulen im Bundesland Baden-Württemberg kein Platz - zumindest nicht außerhalb des Religionsunterrichts. Das findet Anna Ignatius, Mutter von drei Söhnen aus dem baden-württembergischen Freiburg, jedoch ungerecht: Ihren konfessionslosen Kindern bliebe eine ethisch-moralische Bildung in der Grundschule verwehrt, so ihre Argumentation.

Doch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wies diese Klage jetzt ab: Es gibt keinen rechtlichen Anspruch auf Ethik-Unterricht in den ersten vier Klassen. Die Richter begründeten ihr Urteil insbesondere mit Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der schreibt Religionsunterricht in staatlichen Schulen als Pflichtfach vor. Zusätzlichen Ethikunterricht und die Vermittlung von Normen und Werten sieht es nicht vor. Die Richter betonten mit ihrem Urteilsspruch auch, dass das Grundgesetz die Religionsgemeinschaften in besonderer Weise schützt.

Bundesgericht urteilt über Ethik-Unterricht (Foto: Peter Endig/dpa)
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts: kein Recht auf Ethik-UnterrichtBild: picture-alliance/dpa

Unzeitgemäße Rechtslage?

Überholt finden Kritiker dieses traditionelle Rechtsverständnis. "Die säkulare Bildung führt in Deutschland seit jeher ein Schattendasein", so der Berliner Philosophie-Professor Markus Tiedemann gegenüber der Deutschen Welle. In Ländern wie Frankreich sei es undenkbar, dass man sein Abitur ablege, ohne in Philosophie geprüft zu werden. Anders als in Deutschland sind dort Kirche und Staat strikt getrennt.

Auch Doro Moritz, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Baden-Württemberg, hält das starre Festhalten am klassischen Religionsunterricht für nicht mehr zeitgemäß. "Wir brauchen eine Werteerziehung", sagte sie im Südwestrundfunk (SWR). Es könne nicht sein, dass man angesichts einer sich verändernden Gesellschaft darauf verzichte. Moritz weist zudem auf ein organisatorisches Problem hin: Grundschüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, müssten dennoch betreut werden.

Kruzifix in einem Klassenzimmer (Foto: Imago epd)
Religion im Klassenzimmer: im Grundgesetz so vorgesehenBild: imago/epd

Viele Landesregierungen sehen das genauso: In neun von 16 Bundesländern - darunter alle neuen - gibt es bereits Alternativen zum Religionsunterricht für konfessionslose Kinder: "Philosophieren mit Kindern" nennt sich der Unterricht in Mecklenburg-Vorpommern, "Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde" in Brandenburg, im katholisch geprägten Bayern schlicht "Ethik".

Ausnahme: Ethik für alle in Berlin

Diese Freiheiten können sie sich erlauben, weil Bildung in Deutschland Ländersache ist. Berlin hat sich sogar für eine besondere Regelung entschieden: Zum Pflichtfach für alle Grundschüler wurde hier Ethik deklariert. Religion hingegen ist ein freiwilliges Zusatzangebot. Ethik-Professor Markus Tiedemann hält das für richtungsweisend. "Es ist wünschenswert, dass Kinder aus unterschiedlichen Kulturen gemeinsam über Werte und Normen des Zusammenseins diskutieren." Sie nicht "in Schubladen zu separieren" sei für ihn das schlagende Argument. Unterfüttert wird es auch von der Entwicklung, dass immer weniger Kinder überhaupt getauft werden - und auch bei nicht-christlichen Kindern ein Bedarf nach Alternativen besteht.

Bei der Katholischen Kirche heißt es: Grundsätzlich begrüße man die Einführung von Ethikunterricht für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Man sei jedoch gegen einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle. Zum aktuellen Urteil sagte eine Sprecherin der Deutschen Bischofskonferenz auf Nachfrage der Deutschen Welle: Kein Kommentar.

Für Anna Ignatius, die Freiburger Mutter, ist mit dem Urteil der Verwaltungsrichter der Fall nicht beendet. Seit 2010 klagt sie, übrigens selbst promovierte Philosophin, sich bereits durch die Instanzen - zum dritten Mal erfolglos. Jetzt will sie vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ziehen. Die Entscheidung, welche philosophischen Fragen sich Grundschüler im Unterricht stellen dürfen, soll dann die höchste richterliche Instanz in Deutschland fällen.