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"Kein Gefühl von Macht"

Das Gespräch führte Rainer Traube13. Oktober 2003

Die Autorin Elke Heidenreich ist mit ihrer TV-Sendung "Lesen!" erfolgreich. Im Interview mit DW-WORLD spricht sie über Leseförderung, russische Autoren auf der Frankfurter Buchmesse und den "neuen" Günter Grass.

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Elke HeidenreichBild: dpa

DW-WORLD: Frau Heidenreich, was ist das für ein Gefühl, wenn man plötzlich mit einer Bemerkung, mit einem Satz ein Buch zu einem Bestseller machen kann?

Elke Heidenreich: Es ist kein Gefühl von Macht. Ich freue mich, wenn die Leute die Bücher, die ich empfehle, auch wirklich lesen. Dafür mache ich das ja. Aber es zieht sehr viel nach sich. Alle die, die nicht erwähnt werden, sind beleidigt. Alle die, die hochgeistige Literaturkritik in den Feuilletons machen, sagen: "Diesen Kram, den sie da empfiehlt, das ist es ja wohl nun nicht." Es ist nicht immer Hochliteratur, die ich empfehle. Ich versuche erst mal die Leute ans Lesen zu bringen und zu sagen: "Fangt mal klein an. Wenn euch das gefällt, dann gehen wir einen Schritt weiter."

Die Frankfurter Buchmesse (8.-13.10.) geht nun zu Ende. Gibt es Trends im deutschen Büchermarkt? Was sind die großen Themen?

Die Buchmesse hat ja jedes Jahr ein Motto. In diesem Jahr ist das Motto "Russland". Dazu werden viele alte Russen wieder "ausgegraben", beispielsweise gibt es einen neuen, kleinen Verlag mit dem Namen Dörlemann in der Schweiz, der hat erst zwei Bücher. Und eins davon ist von Iwan Bunin. Das ist der erste Nobelpreisträger, den Russland überhaupt hatte. Ansonsten erscheinen sehr viele alte russische Romane in neuen und guten Übersetzungen. Das heißt, wir lernen die Russen jetzt ganz neu und anders kennen.

Terror, Zukunftsangst, Rezession: Die Welt ist für viele ein unsicherer Ort geworden. Schlägt sich das in den Themen nieder?

Ja. Und das ist auch der Grund, weshalb wir lesen sollten. Dann sehen wir, dass unsere Probleme weltweite Probleme sind.

Reden wir über die jüngeren Autoren – die 20-Jährigen. Es fällt wieder auf, dass sehr viele Jungautoren an den Start gehen, manche sind sogar schon regelrechte Literaturstars geworden. Was für Geschichten erzählen die 20-Jährigen?

Als ich damals das erste Buch mit dem Titel "Crazy" von Benjamin Lebert vorgestellt und sehr gelobt habe, haben mich viele gescholten und gesagt: Das ist doch keine Literatur. Nein, natürlich nicht! Das Buch hat ein 17-Jähriger geschrieben, der einfach nur geschrieben hat, wie es in ihm aussieht. Ein 17-jähriger, leicht behinderter Junge mit seinen ganzen Problemen in der Pubertät, in der Liebe, in der Schule. Ich fand wichtig, dass wir mal in die Köpfe von diesen jungen Leuten gucken. Die schlurfen vor uns her durch die Fußgängerzone mit ihren verkehrt herum aufgesetzten Baseballkappen und ihren Hosen, die in den Kniekehlen hängen, und wir wissen nicht, was sie denken.

Günter Grass ist im Ausland der vielleicht bekannteste Stellvertreter für deutsche Literatur schlechthin. Liefert der was interessantes?

Grass ist ja immerhin einer unserer Nobelpreisträger. Böll ist tot, Grass lebt noch – also guckt man immer, was Grass macht. Und Grass hat nach dem Nobelpreis geradezu einen Schaffensrausch gekriegt, ist noch mal jung geworden und tobt durch die Gegend, ist kreativ wie nie zuvor. Den Krebsgang, seine letzte Novelle, fand ich eher etwas langweilig. Aber jetzt hat er ein Buch mit dem Titel "Letzte Tänze" vorgelegt, das sind Radierungen und Zeichnungen, die zum Teil sehr schön sind und Gedichte, die sich mit dem Alter und mit Erotik beschäftigen.

Es gibt nur wenige deutschsprachige Autoren, die den Durchbruch im Angelsächsischen geschafft haben. Woran liegt das? Will die Welt die Geschichten deutscher Autoren nicht lesen? Oder schreiben wir nicht die richtigen Geschichten?

Das glaube ich nicht. Ich glaube, es liegt an der angelsächsischen Welt. Wir werden in Frankreich übersetzt, in der Türkei, in Spanien, in Holland, in Finnland. Nur mit Amerika ist es schwierig. Ich glaube, dass die Amerikaner kein Interesse daran haben, was Europa schreibt, während wir immer ein Interesse daran haben, was Amerika schreibt. Aber das ist wie mit Männern und Frauen. Ich sage immer: Frauen lesen all die Bücher von Falkner, Hemingway, Kafka, Steinbeck und Thomas Mann. Aber Männer lesen nicht Katherine Mansfield und Jane Bowles oder Annemarie Schwarzenbach. Männer interessieren sich nicht dafür, wie Frauen schreiben. Ich finde das schade.

Wie behält die Kritikerin Elke Heidenreich selbst den Überblick?

Ich lasse es auf mich zukommen. Ich habe alle Verlage gebeten, mir immer ihre Kataloge zu schicken. Und dann lese ich die Kataloge und streiche an, was mich interessiert. Das sind natürlich auch die großen Namen, weil ich auf dem Laufenden bleiben will, was passiert. Aber das sind oft auch Namen, die keiner kennt. Dann bestelle ich das und gebe jedem Buch ungefähr zwei Stunden Zeit, das sind bei mir rund 100 Seiten. Wenn es mich dann noch nicht gepackt hat, hat das Buch keine Chance mehr.

Sie reden nicht nur über Bücher. Sie haben auch selbst viel geschrieben. Reizt es nicht, wenn man so viel liest, mal wieder selbst zu schreiben? Nicht nur Erzählungen, sondern auch mal einen Roman?

Raumpatrouille Orion
Aus den sieben auf 35 Millimeter Schwarzweissfilm gedrehten Serien-Stunden von 1965/66 entsteht derzeit in Berlin und Muenchen eine Kinofassung der legendaeren TV-Serie Raumpatrouille Orion . Die Crew der 7-teiligen TV-Serie Raumpatrouille Orion landet jetzt im Producers-Cut im Kino. Foto: Elke Heidenreich als Nachrichtenoffizier Helma Krap.Bild: Bavaria
Ein Roman reizt mich überhaupt nicht. Ich schreibe gerne Kurzgeschichten und Erzählungen. Aber im Moment lese ich so viel für die Sendung, dass an Schreiben gar nicht zu denken ist. Wenn man zu viel liest, kann man auch nicht mehr schreiben. Ich glaube, die nächsten Jahre kommt nichts. Wenn ich wieder in ein ruhigeres Fahrwasser komme mit meinem Leben, dann wird auch wieder geschrieben. Ich schreibe, wenn mir was einfällt, wenn es kommt, aber es muss nicht sein.