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Kein super Wahljahr

Madelaine Meier29. Dezember 2015

Freude über den friedlichen Machtwechsel in Nigeria, Entsetzen über die Eskalation in Burundi: Afrikas Superwahljahr 2015 mit 13 Wahlen hinterlässt gemischte Gefühle. Beobachter sagen: Wahlen und Wähler werden wichtiger.

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Wahlaushänge in Tansania, Foto: picture-alliance/dpa/K.Ludbrook
Bild: picture-alliance/dpa/K.Ludbrook

Beobachter reiben sich verwundert die Augen: Zum ersten Mal in der Geschichte Nigerias erkennt im März ein unterlegener Präsident das Wahlergebnis ohne Protest an und übergibt bereitwillig die Macht an seinen Herausforderer. Ein halbes Jahr später das nächste historische Ereignis: Burkina Faso wählt einen neuen Präsidenten. Die Leute in den langen Schlangen vor den Wahlbüros wissen: Heute wird ihre Stimme zählen. Anders als in den vergangenen fast drei Jahrzehnten unter Blaise Compaoré, in denen das Wahlergebnis schon lange vorher feststand.

Dennoch wird 2015 nicht als das Jahr der afrikanischen Wahl-Wunder in die Geschichte eingehen. Denn es war auch das Jahr, in dem der Konflikt um die dritte Amtszeit des burundischen Präsidenten Pierre Nkurunziza völlig eskaliert ist: Wie 2014 in Burkina Faso demonstrieren Bürger und Menschenrechtsaktivisten auch in Burundi gegen den Machthunger ihres Präsidenten, als der sich eine dritte Amtszeit ermöglichen will - zuerst per Verfassungsänderung, als diese scheitert per Auslegung der weiterhin geltenden Verfassung. Seine Regierung zerschlägt den Protest gewaltsam, lässt Oppositionelle verfolgen und ermorden. Im Juli lässt Nkurunziza sich wiederwählen - da sind viele seiner Kritiker längst ins Ausland geflohen.

Wie in Burundi beschränken viele afrikanische Staaten in ihren Verfassungen die Amtszeiten ihrer Präsidenten auf zwei. Doch dabei bleibt es nicht immer: "Der Widerspruch zwischen Politikern, die ein drittes Mandat anstreben, und Demonstranten und Wählern, die sich dem entgegenstellen, ist ein interessanter neuer Trend in afrikanischer Politik", sagt Jakkie Cilliers, Leiter der Instituts für Sicherheitsstudien (ISS) in Pretoria im Gespräch mit der DW. Zwar sei jedes Land unterschiedlich, sagt der Politikanalyst. Trotzdem hat er insgesamt eine Veränderung wahrgenommen: Zuvor seien die Wähler eher apathisch gewesen und hätten hingenommen, dass ihre politische Führung solange im Amt bleibt, wie sie will. Jetzt ändere sich diese Denke langsam, sagt Cilliers. Wahlen seien nicht mehr nur ein einfaches Mittel für die Regierungen, sich ihre Macht weiter zu sichern. Die Wähler würden zu Aktivisten: "Ich denke, dass dieser 'voter activism' in vielen Ländern in den Vordergrund rückt. Die Menschen gehen auf die Straße und fordern einen Regierungswechsel."

Eine brennende Straßensperre in Bujumbura, Foto: Reuters/G. Tomasevic
Bujumbura im März 2015: Die Proteste gegen Präsident Nkurunziza enden blutig. Ein Demonstrant errichtet eine brennende StraßenbarrikadeBild: Reuters/G. Tomasevic

Die Wähler werden wählerisch

Für Ulf Engel war die spannendste Wahl in diesem Jahr die in Tansania. Er ist Professor für Afrikanistik an der Universität Leipzig. Anders als Robert Mugabe in Simbabwe oder Yoweri Museveni in Uganda, die sich seit Jahrzenten an der Macht festklammern, war der tansanische Präsident Jakaya Kikwete nach zwei Amtszeiten ganz verfassungskonform nicht mehr angetreten und hatte so den Weg freigemacht für einen neuen. Beobachter hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt zwischen der Regierungspartei CCM und der Opposition. Doch das Ergebnis fiel schließlich weniger knapp aus als erwartet. "Die Regierung hatte Sorge, ob sie die Wahl noch in trockene Tücher bekommt und hat dann auch nachgeholfen", sagt Engel. So gewann am Ende John Magufuli die Wahl - der Kandidat der Regierungspartei. "Es war keine runde Wahl: Es gab Übergriffe in Sansibar, das Wahlzentrum wurde besetzt, auf dem Festland wurden Wahlbeobachter verhaftet und teilweise rausgedrängt", sagt er. Aber das zeige einfach, dass Wahlen in Afrika durchaus eine wichtige Rolle spielten.

Bildergalerie: Gauck in Tansania
Scheint immun gegen die Machtgier, die viele seiner Amtskollegen befallen hat: Ex-Präsident KikweteBild: DW / Khelef Mohammed

Cilliers schließt sich diesem Urteil an: Tansania sei ein Beispiel dafür, dass der Druck auf die Regierenden größer werde. "Zum ersten Mal gab es dort ein Unbehagen bei der Regierungspartei. Sie hat gemerkt, dass sie bei den Wahlen vor einer reellen Herausforderung steht. Das sind gute Nachrichten, denn sie müssen nun darüber nachdenken, ihre Regierungsführung zu ändern."

Schwere Zeiten für Wahlfälscher

Dreizehn Mal wurde dieses Jahr auf dem Kontinent gewählt. Im Sudan, in Togo, in Guinea-Conakry und der Côte d'Ivoire konnten sich die Präsidenten an der Macht halten. In Äthiopien erreichte die Regierung satte 100 Prozent - so das offizielle Ergebnis. Sicher hat jedes Land seine eigene Dynamik, seine eigene politische Tradition. Doch Entwicklungen wie die in Burkina Faso oder Tansania zeigen, dass sich die Menge der Wähler mehr und mehr in eine kritische Masse verwandelt, die sich Gehör verschafft.

Demonstranten in Ouagadougou, Foto: REUTERS/Joe Penney
Ein Afrikanischer Frühling in Burkina Faso? Besonders die junge Generation will nicht mehr hinnehmen, dass ihre Staatsoberhäupter ihre Macht Jahr für Jahr verlängernBild: Reuters/J. Penney

Der technische Fortschritt unterstützt diese Entwicklung: In Nigeria, der Côte d'Ivoire und Tansania beispielweise wurde elektronisch gewählt. So bekamen die Stimmberechtigten in Nigeria eine Karte, die biometrische Daten wie den Fingerabdruck speichert. Die mussten sie dann bei der Wahl vorlegen und einen Fingerabdruck zum Vergleich abgeben. "Es ist nicht mehr so leicht wie in der Vergangenheit, die Wahlurnen einfach zu stopfen", sagt Cilliers. Die elektronischen Verfahren und Standards, die die internationale Gemeinschaft eingeführt habe, hätten es Regierungen erschwert, Ergebnisse zu fälschen.

Doch eine Technologie, die Machtmissbrauch verhindert, ist bisher nicht erfunden worden. Und so verheißt der Ausblick auf das kommende Wahljahr in Afrika - in dem wie in 2015 mehrere spannende Wahlen anstehen - nicht viel Gutes: Dann wählen die Menschen unter anderem in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) und im Nachbarland Kongo-Brazzaville ihre Präsidente. Im letzteren Fall hat sich Präsident Sassou-Nguesso bereits die Weichen für seine Wiederwahl gestellt: Er ließ die Verfassung nach seinen Wünschen umändern, ermöglichte sich so ein drittes Mandat und ließ das in einem umstrittenem Referendum absegnen. Bei den Protesten dagegen gab es Tote und Verletzte.

"Third-Termism" - die verflixte dritte Amtszeit

Ähnliches zeichnet sich im Nachbarland DRC ab: Auch hier deutet einiges darauf hin, dass sich Präsident Joseph Kabila nicht an die Verfassung halten und nach zwei Amtszeiten abdanken wird. So hat er kürzlich sieben Politiker seiner Koalition entlassen, nachdem die in einem Brief von ihm gefordert hatten, sich an die Verfassung zu halten. Auch Ruandas Regierungschef Paul Kagame müsste eigentlich 2017 aufhören, doch er hat ebenfalls vorgesorgt: Seiner Verfassungsänderung hat das Parlament bereits zugestimmt.

Nigeria Goodluck Jonathan Abdulsalami Abubakar Muhammadu Buhari
Der unterlegene Präsident Jonathan (links) gratulierte seinem Nachfolger Buhari (rechts) noch während der Ergebnisverkündung telefonischBild: DW/Ubale Musa

Hat Burundis Präsident Nkurunziza seine Amtskollegen mit seinem drastischen Vorgehen ermutigt? Kann man von einem "Burundi-Effekt" sprechen? Ja, sagt Cilliers vom ISS in Pretoria: "Ich denke, dass die Geschehnisse in Burundi leider ein schlechtes Exempel für andere Regierungschefs statuiert haben. In Ruanda und der DRC werden sie nicht umhin kommen, sich um ein drittes Mandat zu bemühen."

Wer nach der Revolution in Burkina Faso 2014 an einem Afrikanischen Frühling gedacht hat, den hat die Krise in Burundi auf den Boden der Realität zurückgeholt. Wer glaubte, die freien und fairen Wahlen in Nigeria würden auch auf andere Staaten ausstrahlen, den haben die Manipulationsvorwürfe in Tansania und die Beschwerden der Wahlbeobachter wieder geerdet. 2015 war ein Super-Wahljahr in Afrika, aber kein super Wahljahr.