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Kein Visionär

Vladimir Müller16. Mai 2002

Auf massiven internationalen Druck kündigt Jassir Arafat baldige Neuwahlen und eine Reform seiner Autonomiebehörde an - ohne allzu konkret zu werden. Vladimir Müller kommentiert.

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Wiederholt hat Jassir Arafat in seiner Rede vor den 88 Abgeordneten des palästinensischen Parlaments in Ramallah von Frieden gesprochen. Er wolle "niemals diese strategische Option" aufgeben. In der Tat wäre der Nahost-Konflikt näher an einer Friedens-Lösung, wenn die von Arafat angekündigten "dringenden Reformen" schnell verwirklicht würden. Freie Wahlen und Umstrukturierung der Autonomiebehörde, wie sie Arafat in seiner vom Fernsehen übertragenen Rede versprochen hat, wären schon ein bescheidener Anfang.

Von weiter gehenden Forderungen auch vieler palästinenscher Politiker war aber in Arafats Rede nichts zu hören. Der Palästinenserpräsident deutete zwar an, das bereits verabschiedete Gesetz zur Gewaltenteilung zu unterschreiben - es regelt die Kompetenzen von Regierung, Parlament und Justiz. Auf Teile seiner eigenen Machtbefugnisse zu verzichten ist Arafat aber vorerst offensichtlich nicht bereit. Er übernahm zwar Verantwortung für begangene Fehler. Daraus jedoch auch persönliche Konsequenzen zu ziehen, erschien dem Palästinenserpräsident nicht notwendig.

Um so klarer war seine Absage an die Terroranschläge gegen israelische Zivilisten. Sie dienten nicht den palästinensischen Interessen und trügen dazu bei, die internationale Gemeinschaft gegen die Sache der Palästinenser aufzubringen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Warnung bei den Adressaten auch erhört wird.
Zweifel sind angebracht: Ein Sprecher der radikal-islamischen Hamas-Bewegung hat bereits erklärt, die Anschläge würden fortgesetzt.

Überraschend sind Arafats Umstrukturierungspläne nicht gekommen. Reformen der Autonomiebehörde sind bereits voll im Gange: Der Machtkampf zwischen den Sicherheitschefs in Gaza und im Westjordanland zum Beispiel ist nur eine Form dieser "Umstrukturierung". Und auch die Abhaltung freier Wahlen kann nur der erste Schritt sein.

Selbst die Palästinenser erwarten mehr, vor allem einen entschlossenen Kampf gegen die Korruption und Vetternwirtschaft in Arafats Administration. Dazu war vom Vorsitzenden kein Wort zu vernehmen.

Ein großer Wurf ist Arafats Rede an die Nation nicht gewesen. Dabei - wäre er wirklich ein Staatsmann - hätte er mit ihr Geschichte schreiben können. Denn er hielt seine Ansprache am Tag der so genannten "Großen Katastrophe", den die Palästinenser traditionell mit Protesten und Schweigeminuten begehen: Genau vor 54 Jahren - am 15. Mai 1948, einen Tag nach der Gründung des Staates Israel - überfielen die Armeen der benachbarten arabischen Länder den gerade entstandenen Judenstaat und - wurden geschlagen. In Folge dieser Niederlage mussten 700.000 Palästinenser ihre Heimat verlassen.

Arafat hätte diesem Tag eine neue Bedeutung geben können. Doch der scheinbar Erstarkte zeigt alte Schwächen: Er reagiert nur auf Druck, in seinen Aussagen bleibt er vage, um so ausgeprägter bleibt sein Streben nach Machterhalt. Nein, Arafat ist kein Visionär. Nur ein gewiefter Machtpolitiker.