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Kein Wunder aus Brüssel zu erwarten

Alexander Kudascheff20. Juni 2007

Es ist ein richtiger Showdown vor dem Gipfel der EU in Brüssel. Die Hauptdarsteller sind die polnischen Zwillingen gegen den Rest Europas.

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Bild: DW

Es geht um Macht in der EU, um politisches Gewicht, um nationale Wünsche und Sehnsüchte, um die Selbstvergewisserung der eigenen Rolle im europäischen Club. Konkret: Polen, genauer die nationalkonservative Regierung, will deutlich mehr Gewicht bei Mehrheitsentscheidungen in der EU - als vorgesehen.

Im Einzelnen: zur Zeit gilt der Vertrag von Nizza. Bei ihm werden die Stimmen im Rat (also dem Entscheidungsgremium der Staats-und Regierungschef) so gewichtet, dass Deutschland 29 Stimmen bei Abstimmungen einbringt - und Polen, gerade mal halb so groß, 27 Stimmen hat. Diese krude Stimmenlogik ist das Resultat von mehreren Nacht- und Marathonsitzungen in Nizza Ende 2000, in der sich die Staats-und Regierungschefs - unter der erkennbar überforderten Leitung von Jaques Chirac - auf einen völlig undurchsichtigen Vertrag einigten. Schon damals stand fest: Ihm wird ein neuer, ein besserer Vertrag folgen.

Heraus kam die Verfassung. Sie regelte Abstimmungen wie folgt: Jeder Staat ist gleich wichtig, ob groß oder klein. Man braucht also eine Mehrheit der Staaten auf seiner Seite, um etwas durchzusetzen - nämlich 55 Prozent, bei zur Zeit 27 Ländern. Damit ist dem Prinzip Rechnung getragen, dass jeder Staat in der Union gleichwertig ist. Andererseits, das war die Lehre der Verfassungsdebatte, in der EU muss auch das demokratische Prinzip gelten. Das heißt. einer Mehrheit der Staaten muss auch eine Mehrheit der Bürger entsprechen. Und da einigte man sich auf 65 Prozent - vernünftig, knapp unter der Zweidrittelmehrheit.

Das ist die "doppelte Mehrheit", die in Zukunft bei Mehrheitsentscheidungen gelten sollte: einfach, übersichtlich, gerecht. Sie schließt nämlich aus, dass sich die Großen gegen die Kleinen oder die Kleinen gegen die Großen zusammentun können. Und sie berücksichtigt, dass bei wirklich wichtigen Entscheidungen in der 50-jährigen Geschichte der EU niemals ein Land in die Ecke gestellt wurde, sondern man immer bis ganz zum Schluss - und das erfolgreich - um einen Kompromiss gerungen hat.

Die Verfassung ist politisch tot, seit Franzosen und Niederländer in Volksabstimmungen Nein gesagt haben. Man will aber die inhaltliche Substanz retten, eine bessere Geschäftsordnung für die EU vereinbaren. Dabei verzichten die Befürworter der obsoleten Verfassung auf vieles, was ihnen emotinal wichtig war - von der Hymne bis zur Grundrechtecharta. Ja selbst auf die Idee einer Verfassung, die eben nicht durchsetzbar ist. Aber die Regeln, die Abstimmungsregeln - die wollen alle.

Nein, nicht alle: 26 von 27 EU-Mitgliedsstaaten wollen sie bewahren. Nur einer (bei den ebenfalls skeptischen Tschechen sieht es anders aus) tanzt aus der Reihe: Polen, das seinen Einfluss mit Hilfe einer Quadratwurzel vergrößern will.

Nun sieht es also nach einem Finale Furioso aus. Denn die Kazcynski-Brüder haben bis jetzt nicht einen Jota nachgegeben. Im Gegenteil scheint sie der Druck eher halsstörrischer zu machen. Die Zeichen von Brüssel stehen damit auf Scheitern - auch weil so mancher Polenkenner glaubt, den Brüder käme es in erster Linie darauf an, den Deutschen einen diplomatischen Erfolg zu verwehren.

Was engstirnig und uneuropäisch gleichermaßen wäre. Denn die EU braucht eine Geschäftsordnung - sonst droht ihr die Lähmung, der Stillstand, die Handlungsohnmacht. Aber das scheint die Zwillinge in Warschau nicht zu kümmern. Allein gegen den Rest Europas - das ist anscheinend die Heldenrolle, die ihnen gefällt. Leider. Immerhin ein Hoffnungsschimmer gibt es: Nach Brüssel kommt Präsident Lech Kaczsynski. Er gilt als kompromissbereiter als sein Bruder. Aber im Moment glaubt niemand so recht an ein Wunder von Brüssel. Ein Scheitern scheint wahrscheinlich.